Der französische Klaviervirtuose Henri Bonamy hat sich Anfang September zusammen mit der renommierten Geigerin Julia Fischer an dem George-Enescu-Festival mit einem komplexen Programm beteiligt, das beim Publikum im Bukarester Athenäum sehr gut angekommen ist. Der junge Musiker ist als Sohn einer rumänischen Geigerin aus Kronstadt/Brașov und eines französischen Kulturattachés in Hannover geboren worden und mit sechs Jahren nach Paris umgezogen. Sein Diplomstudium schloss er beim Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse de Paris ab. Danach setzte er seine Ausbildung bei der Escuela Superior de Música „Reina Sofía“ in Madid fort, wo er zum besten Klavierstudenten des Jahres ernannt und der Königin von Spanien vorgestellt wurde. Mit einem DAAD-Stipendium machte er seine Fortbildung an der Hochschule für Musik und Theater München, wo er sein Meisterklassendiplom erlangte und zugleich auch Orchesterdirigieren studierte. Dort unterrichtet und dirigiert er gegenwärtig.
Der 39-jährige Henri Bonamy, der Klavierkonzerte im In- und Ausland gibt, als auch Orchester dirigiert, manchmal auch gleichzeitig, wie z. B. beim Festival delle Nazioni in Italien, beantwortete für die ADZ die Fragen der Redakteurin Cristiana Scărlătescu.
Nach dem Studium in Frankreich, Spanien und Deutschland kann man behaupten, dass Sie in mehreren Kulturen beheimatet sind. Wo fühlen Sie sich eigentlich zu Hause?
Ach, zu Hause... Zuhause ist oft, wenn man gemeinsam musiziert. Ein „Zuhause“ im eigentlichen Sinne gibt es wahrscheinlich nicht. Mein Elternhaus ist in Paris, mehr oder weniger, und ich habe sehr schöne Erinnerungen daran. Aber es ist ein bisschen lang her, seit ich dort mein erstes Studium machte, bevor ich nach Spanien kam. In Spanien habe ich sehr starke russische Einflüsse erhalten. Es war gar keine spanische Musikschule dort. Es war eine Spritze russischer Schule für Klavier mit Meister Dmitri Bashkirov und Galina Eghiazarova. Aber auch an Spanien gibt es Erinnerungen, die mir am Herzen liegen, und Orte, wo ich mich wohl fühle. Aber jetzt wahrscheinlich vor allem in Deutschland. Seit 18 Jahren, seitdem ich in München wohne, habe ich mit Freunden, mit Kollegen und mit der Musikwelt mehr und mehr ein „Zuhause“ gefunden.
Ihre Mutter ist Geigerin. Woher stammt Ihre Liebe für das Klavierspiel?
Als ich kelin war, habe ich auch Geige spielen gelernt, aber nicht länger als ein paar Wochen. Auch dank der vielen Aufnahmen meiner Eltern und es gab natürlich einen Flügel und ein Klavier daheim, wo auch musikalische Leute vorbeikamen, mit denen ich musiziert habe.
Das Klavier ist ein mehrstimmiges Instrument, in dem man die Oper wiederfinden kann, oder sinfonisches Repertoire, wobei man versucht, eine Transkription von der Klangweise eines anderen Instruments im Klavier zu finden. Sogar bei den Sonaten von Beethoven kann man dies entdecken, sei es eine Sinfonie oder ein Streichquartett.
Somit übt dieses wunderbare vielseitige Instrument eine große Anziehungskraft auf mich aus.
Im Laufe Ihres Werdegangs haben Sie viele renommierte Meister als Professoren gehabt. Wer hat Ihre Karriere am meisten geprägt?
Die Karriere an sich ist eine Sache, die mit der Entwicklung der Züge in der Persönlichkeit eines Menschen zu tun hat, aber die Leute, die sie beeinflussen, sind nicht diejenigen, die am meisten künstlerisch expressiv sind. Eine der Personen, die meiner Meinung nach künstlerisch etwas zu sagen hatten, war Radu Lupu, weil ich ihn etwas kenne. Ich habe ihm, als ich relativ jung war, einige Male vorspielen dürfen. Aber wahrscheinlich war die stärkste pädagogische Persönlichkeit in meinem Leben Dmitri Bashkirov, weil er mir ein extrem starkes Input über längere Zeiträume gegeben hat, und sein Assistent Claudio Martínez Mehner. Er ist ein junger Pianist – nicht so jung wie ich, oder so alt inzwischen (lächelt) – der hat sich zuerst in Spanien und jetzt in Deutschland einen Namen als Professor gemacht. Seine Laufbahn hatte er als junger Assistent bei Bashkirov, zurzeit meines Studiums in Madrid, begonnen. Durch das Dirigier-Studium kamen andere Einflüsse auf mich zu. Julia Fischer, mit der ich beim Enescu-Festival spielte, ist eine der Persönlichkeiten, die für mich sehr viel bedeuten, weil man sich sehr gut versteht. Das Musizieren mit ihr ist auf sehr hohem Niveau und doch unkompliziert, sehr logisch und natürlich. Ich hoffe, dass ich noch viele andere Musiker kennenlernen werde, die mich weiter inspirieren werden.
Wann haben Sie Julia Fischer kennengelernt?
Zum ersten Mal haben wir 2002 zusammengespielt, aber wir kannten uns schon vorher. Ich habe ihre Bekanntschaft 1996 bei einem Festival in Berlin gemacht. Dort hatte ich einen Kurs zusammen mit anderen ausgewählten Pianisten besucht. Sie war relativ früh mein Draht nach München, weil sie mich zu Konzerten in Deutschland eingeladen hat. So sind wir in Verbindung geblieben und dann kamen Festivals, Musikprojekte. Außerdem habe ich zusammen mit ihr Kurse für Kammermusik, Violine für Jugendliche organisiert und geleitet, sowie im Mai dieses Jahres ein Kinderorchester „Die Kindersinfoniker“ in München gegründet.
Wann und wieso haben Sie sich für Orchesterdirigieren entschieden?
Gute Frage. Sogar vor meinem Studium in München habe ich es ein bisschen ausprobiert, weil ich einfach mehr Einsicht in die Musikliteratur gewinnen wollte. Was man als Dirigent weiß, ist das Wesentliche über Stücke. Ich habe gedacht, dass ich auf diese Weise mein Klavierrepertoire besser verstehen kann. So habe ich angefangen und es war mehr praxisbezogen als ich dachte. Am Anfang war der Wunsch, durch das Dirigieren besser zu verstehen, wie das jeweilige Musikstück gebaut ist. Dabei fängt man an, es zu mögen, mit anderen Leuten auch durch die Gestik zu kommunizieren, nicht nur mit den Tasten des Flügels.
Darüber hinaus muss man die Komponisten und die Epochen im Einzelnen studieren, nicht nur musikalisch, sondern auch kulturell. Wichtig für einen Dirigenten ist ein breites Spektrum von Repertoire-Kenntnissen zu haben. Mein Credo ist übrigens: Ich bin ein Pianist, der denkt, wie ein Dirigent, und ein Dirigent, der den musikalischen Inhalt wie ein Pianist zusammenfasst.
Ihr Programm für das George-Enescu-Festival umfasste Sonaten von Mozart, Brahms, Enescu und Ravels Rhapsodie „Tzigane“. Wieso haben Sie die Wahl für diese Werke getroffen?
Enescus 2. Violinsonate hat sich relativ früh als Hauptpunkt des Programms herausgestellt. Sie entstand, als ein junger Enescu über Wien nach Paris kam. In Wien war er in den Brahms'schen Musikkreisen schon als junges Genie anerkannt. Seine 2. Sonate ist sehr komplex und deshalb interessant zu üben. Ravel war zur selben Zeit am Pariser Konservatorium Student und auch als junger Komponist tätig. Darüber hinaus hat Ravel seine Werke auch sehr klassisch konstruiert. Des Weiteren schafft man auch eine gewisse Ausgewogenheit zwischen einer klassischen Sonate und einem prägnanten Virtuosen-Stück für Geige – wie eben Ravels „Tzigane“. Brahms weist, trotz seiner spätromantischen Stilrichtung, ebenfalls einen klassischen Geist auf, der durch eine gewisse Strenge der Form in der Ökonomie der Stilmittel zum Vorschein kommt. Folglich wirkt die Sonate von Brahms ausgewogen und passt sehr gut zu Mozarts Violinsonate.
Sie waren mehrmals im Rumänischen Athenäum zu Gast.
Genau, vor etwa 18-19 Jahren, da war ich ziemlich jung und habe sowohl mit Orchester als auch solo gespielt. Das sind sehr schöne Erinnerungen und ich freue mich immer auf das Publikum, auf den Saal und die Akustik.
Haben Sie hier in Rumänien auch in anderen Städten gespielt?
Ja, ich habe in Jassy, Ploiești, Kronstadt, Großwardein gespielt. Als Dirigent bin ich mehrmals nach Kronstadt und Großwardein eingeladen worden, wo ich die klassischen Programme, Ouvertüren, Konzerte und Sinfonien dargeboten habe.
Würden Sie gern ein Konzert mit George Enescus Werken am Pult der George-Enescu-Philharmonie leiten?
Würde ich gern! Ich habe schon vor, in Deutschland rumänische Musik mit meinem Jugendorchester zu spielen – etwa George Enescu und vielleicht Constantin Silvestri, Ciprian Porumbescu.
Wie empfinden Sie die berühmten rumänischen Komponisten, insbesondere aus Ihrer französisch-rumänischen Perspektive?
Die Rumänen haben versucht, sich stilistisch sehr individuell zu positionieren. Ihre Musik hat immer eine intellektuelle Dimension, aber es gibt natürlich einen Bezug zu den Volkstänzen und zur Naturstimmung. Obwohl es eine nationale Klavierschule gibt, haben sie versucht, sich paneuropäisch auszudrücken, und die Einflüsse der französischen und vor allem der deutschen Klavierschule auf ihre Musik zu zeigen. Es gibt viele Stücke im Westen, die man wieder entdecken und erdenken sollte. Und dies ist eine Aufgabe, der ich mir gern annehme.
Man muss jedoch diese Werke mit ein bisschen mehr Zeit und Ruhe genießen, denn man hat heutzutage keine Zeit mehr, um sich in die richtige Stimmung einführen lassen, damit man sich der Botschaft und Schönheit der Musik erfreuen kann.
Aus dem Gesichtspunkt des Musikers, aber vor allem des Dirigenten, ist es sehr wichtig wie man einen musikalischen Text versteht. Die Mehrheit der Informationen ist schon im Text enthalten. Wenn man sie richtig „liest“, hat man die Chance zu verstehen, was mit der Musik gemeint wird.
Welches sind Ihre Lieblingskomponisten?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn man kann die Antwort nicht so leicht eingrenzen. Beim Dirigieren würde ich sagen auf alle Fälle Beethoven und Schumann. Beim Klavierspielen Brahms, Debussy und Skrjabin. Haydn wiederum ist genial zum Proben, Klavierspielen und Dirigieren. Und Bartók ist einfach ungemein spannend. Aber eigentlich sollte man den Komponisten am besten mögen, den man gerade spielt.
Bitte erzählen Sie uns von dem zuvor erwähnten Kindersinfoniker-Projekt in München, das Sie leiten.
Kindersinfoniker ist ein zusammen mit Julia Fischer entwickeltes Projekt. Aus tiefer Überzeugung, dass Kindern früh die Möglichkeit gegeben werden sollte, in Gemeinschaft zu musizieren, wurde das Orchester der Kindersinfoniker ins Leben gerufen. Mir persönlich ist diese neue Aufgabe eine Ehre und zugleich eine Folge meiner bisherigen Tätigkeiten.
In den letzten acht bis zehn Jahren habe ich auch Jugendorchester in München geleitet. Sie waren sehr gemischt und bestanden sowohl aus Profimusikern als auch aus angehenden Studenten. Jedes Jahr haben wir zwei-drei sehr schöne Projekte mit einem sinfonischen Programm vorbereitet und danach in Italien und Deutschland vorgespielt.
Daneben entdecke und spiele ich gern auch die Werke junger zeitgenössischer Komponisten. Ich habe auch in Gruppen gespielt, die neue Musik interpretiert haben, und empfinde dies wie eine Herausforderung. Auch wenn man die Botschaft des Autors nicht immer versteht, versucht man so zu spielen, dass die Melodie gut klingt. In diesem Sinn probe ich im Februar für eine Oper mit einer kleinen Gruppe von Musikern, mit einem modernen Libretto.
Sie haben viele Preise bei internationalen Klavierwettbewerben in Frankreich, Deutschland, Italien, Japan und der Schweiz erhalten. Welcher der Preise ist am wichtigsten für Sie?
Wahrscheinlich der in Italien gewonnene Preis, in Terni, beim internationalen Klavierwettbewerb„Alessandro Cassagrande“ und ein Sonderpreis in Genf, den ich quasi als eine Krönung meiner Karriere als Pianist empfand.
Wann darf das Publikum nach „Pictures at an Exhibition“ mit Werken von Mussorgsky und Debussy und „Piano Works by Brahms and Schubert“ ein drittes Album von Ihnen erwarten?
Im Moment setze ich die „French Touch“-Tour fort. Das ist ein von mir konzipiertes Programm mit ausschließlich französischen Komponisten von Rameau über Chopin, Ravel, Debussy und Poulenc bis hin zu einer Eigenbearbeitung des berühmten Trenet-Chansons „La Mer“. Dieses Programm scheint wahnsinnig gut beim Publikum angekommen zu sein. Deshalb gehe ich damit in der nächsten Konzertsaison auch nach Amerika. Im Februar 2020 starte ich im Münchner Gasteig ein „French Touch II“. Wahrscheinlich werde ich eine Aufnahme von der Tournee machen und sie als CD veröffentlichen. Mehr Angaben sind bei www.henribonamy.com verfügbar.
Herzlichen Dank für das Gespräch.