Nicht viele Germanistinnen und Germanisten können sich glücklich schätzen, von ihren Kollegen, Freunden und Weggefährten eine Festschrift verehrt zu bekommen. Noch weniger Germanisten können sich über eine derart umfängliche Widmung in Buchform freuen, die mehr als ein halbes Tausend Seiten stark ist. Und vielleicht keine andere Germanistin als die auf diese Weise geehrte Jubilarin Maria Sass kann es genießen, dass ihr 60. Geburtstag mit dem 50-jährigen Jubiläum desjenigen universitären Instituts zusammenfällt, an dem sie studierte, dem sie lange Jahre selbst als Leiterin vorstand und an dem sie heute wirkt: dem Germanistiklehrstuhl der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt.
Der „Literaturgeschichte und Interkulturalität“ betitelte, von Doris Sava gemeinsam mit Stefan Sienerth herausgegebene und Maria Sass gewidmete Sammelband wird durch ein Vorwort der beiden Herausgeber eröffnet, das den persönlichen, beruflichen und wissenschaftlichen Werdegang der Jubilarin kurz schildert. Nach dem Besuch der deutschen Schule in Zeiden/Codlea begann Maria Sass im Jahre 1979 das Studium der Germanistik und Rumänistik an der Fakultät für Philologie und Geschichte in Hermannstadt, das sie 1983 als Jahrgangsbeste abschloss.
Von 1983 bis 1991 war Maria Sass als Gymnasiallehrerin in Fogarasch/Făgăraș tätig, bevor sie als Assistentin für deutsche Sprache und Literatur an die seit 1995 nach dem Dichter und Philosophen Lucian Blaga benannte Universität in Hermannstadt wechselte, wo sie im Jahre 1999 ihre Dissertation über die Beziehungen des rumänischen Lyrikers George Coşbuc zur deutschen Literatur verteidigte. Der im Titel der Festschrift genannte Forschungsschwerpunkt der Interkulturalität war also bereits in der Promotion von Maria Sass sichtbar ausgeprägt.
Während ihrer Zeit als Leiterin des Germanistiklehrstuhls (2004-2015) wirkte Maria Sass nicht nur durch die Veranstaltung von Tagungen, die Herausgabe von Publikationen der Hermannstädter Germanistik, durch Projektkoordinierungen und Kooperationsinitiierungen, sondern auch durch Mitgliedschaften in Prüfungsgremien, Promotionsausschüssen und Redaktionskomitees, nicht zuletzt im Fakultätsrat und Universitätssenat.
Zu den Lehr- und Forschungsschwerpunkten der Jubilarin zählen die rumäniendeutsche Gegenwartsliteratur (Joachim Wittstock, Andreas Birkner, Paul Schuster, Eginald Schlattner et al.), deren Rezeption und Übersetzung sowie Fragen der Interkulturalität und des deutsch-rumänischen Kulturaustausches. Zu weiteren Schwerpunkten der wissenschaftlichen Tätigkeit von Maria Sass zählt das Werk Heinrich von Wlislockis, des siebenbürgischen Forschers und Sammlers von volksliterarischen Roma-Produktionen, sowie die Beschäftigung mit Persönlichkeiten der rumänischen Literaturgeschichte (George Coşbuc, Ştefan Octavian Iosif), die sich für die deutschsprachige Kultur und ihre Vermittlung interessierten. Auch als Übersetzerin (u. a. Joachim Wittstock, Erika Mitterer) sowie als Übersetzungskritikerin und -wissenschaftlerin ist Maria Sass an interkulturellen Begegnungsprozessen aktiv beteiligt, wovon nicht zuletzt ihre umfassende Publikationstätigkeit Zeugnis gibt, die in ihrer Festschrift in einem zehn Seiten umfassenden Schriftenverzeichnis zusammengefasst ist.
Mit einem persönlich gehaltenen ersten Kapitel wird die Festschrift für Maria Sass eröffnet. Joachim Wittstock würdigt darin die Jubilarin und ihr interkulturelles Anliegen: „Dem sich aus dem geistigen und sprachlichen Herüber und Hinüber ergebenden Kontakt, dem Blick von einem kulturellen Horizont zum benachbarten, hat die Germanistin und Rumänistin Maria Sass stets erhöhtes Augenmerk geschenkt.“ Desgleichen würdigt Andrei Terian die komparatistischen und translatologischen Leistungen der Gefeierten und Holger Viereck bedankt sich für die „großartigen Veranstaltungen“ der Sommerakademie, die Maria Sass seit 2012 gemeinsam mit der Donauschwäbischen Kulturstiftung in Hermannstadt durchführt. Adina-Lucia Nistor geht in ihrem onomastischen Beitrag auf den marianischen Vornamen der Jubilarin sowie auf ihren Familiennamen als Patronym bzw. Herkunftsnamen ein und wünscht der Geehrten abschließend: „Mögen Sie, liebe Maria Sass, gesund bleiben und von Gott und den Menschen geliebt sein.“
Das zweite Festschriftkapitel zur Geschichte der rumäniendeutschen Literatur beginnt mit einem Beitrag des Doktorvaters von Maria Sass, Horst Schuller, der Kronstädter rumänisch-deutschen Übersetzern als „literarischen Treuhändern durch die Zeit“ seine Aufmerksamkeit schenkt. Roxana Nubert untersucht die Rezeption Nikolaus Lenaus in der deutschsprachigen Presse des Banats, während sich Carmen Popa mit der Rezeption deutschsprachiger Kulturzeugnisse in der rumänischen Presse Hermannstadts befasst. Stefan Sienerth beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem Kronstädter Schriftstellerprozess des Jahres 1959, und zwei weitere Beiträge stellen einen der in diesem Prozess verurteilten Schriftsteller ins Zentrum ihrer Betrachtungen: Rodica Brad studiert die Korrespondenz Wolf von Aichelburgs mit Emil Cioran und Ovidiu Matiu nimmt die Verfolgung des siebenbürgisch-sächsischen Autors, Malers und Komponisten durch die Securitate ins Visier. Mariana-Virginia Lăzărescu widmet ihren Beitrag der Sprache in Ursula Ackrills Roman „Zeiden, im Januar“, während Iulia-Karin Patrut dem Zusammenhang von Geschichte und Subjekt bei Herta Müller nachgeht. Veronica Buciuman schließlich betrachtet Werke von Herta Müller, Aglaja Veteranyi und Carmen Francesca Banciu unter dem Gesichtspunkt einer Poetik der Angst.
Im dritten Festschriftkapitel zur Geschichte der deutschen Literatur untersucht Sunhild Galter das Romeo-und-Julia-Motiv in Novellen von Brentano, Kleist und Keller. Gabriel H. Decuble reflektiert den Werkbegriff im Kontext von Nietzsches Artistenmetaphysik, während Ioana Crăciun ihren Beitrag dem ersten Hollywood-Film Friedrich Wilhelm Murnaus mit dem Titel „Sunrise“ widmet, dessen Drehbuch von Carl Mayer ein zentrales Motiv aus Hermann Sudermanns Erzählung „Die Reise nach Tilsit“ verwendet. Drei weitere Beiträgerinnen befassen sich mit deutschsprachigen Erzählern: Maria Irod mit Leopold von Sacher-Masoch, Olivia Spiridon mit Johannes Weidenheim und Grazziella Predoiu mit Ilma Rakusa.
Das letzte Kapitel der Festschrift für Maria Sass ist den Forschungsfeldern Sprachwissenschaft, Didaktik, Übersetzungswissenschaft und Komparatistik gewidmet. Sigrid Haldenwang befasst sich mit dem Vornamen der Jubilarin und dem „Marientag“ in den siebenbürgisch-sächsischen Mundarten, und Radu Drăgulescu untersucht rumänische Pflanzennamen, die sich auf die heilige Maria beziehen, etwa die Bezeichnung für das „Wohlriechende Geißblatt“, das auf Rumänisch den Namen „Mâna Maicii Domnului“ (Hand der Muttergottes) trägt. Doris Sava beschäftigt sich mit der lexikografischen Umsetzung des Variantenreichtums im Deutschen, während Carmen Elisabeth Puchianu ihren Beitrag über Theaterperformance „der Theaterliebhaberin Maria Sass zum Geburtstag“ widmet. Das Frauenbild in DaF-Lehrwerken (Delia Cotârlea), Migration und Transmigration (Ellen Tichy), das Deutsche als Kultur- und Bildungssprache (Eugen Christ), Übersetzung als Medium transkulturellen Lernens (Nadjib Sadikou) sind weitere Themen des Sammelbandes, der mit zwei (von insgesamt fünf) englischsprachigen Beiträgen schließt: zum Expressionismus und Neo-Expressionismus in rumänischer Dichtung (Ştefan Baghiu) und zu Vasile Alecsandris Reisebeschreibung „Călătorie în Africa“ aus dem Jahre 1853 (George Manolache). Ein Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Ende des Sammelbandes rundet die lehrreiche und lesenswerte Festschrift für Maria Sass ab.
Literaturgeschichte und Interkulturalität. Festschrift für Maria Sass. Hg. von Doris Sava und Stefan Sienerth. Berlin: Peter Lang 2019. 532 S. ISBN 978-3-631-79521-7. 84,10 Euro.