Am letzten Aprilwochenende herrschte im Bukarester Athenäum „magischer Frühling“, zumindest wenn man den Veranstaltern (Nationales Kunstzentrum „Tinerimea Română“, Apa Nova und Lanto Communication) Glauben schenken wollte, die zwei Konzerte mit dem Rumänischen Jugendorchester unter der Leitung von Cristian Mandeal unter besagtes Motto gestellt hatten. Am 26. April standen unter dem Titel „Tschaikowsky in Love“ sinfonische Werke des russischen Komponisten auf dem Programm („Der Sturm“, „Francesca da Rimini“, „Romeo und Julia“), neben Werken für Marimba und Vibraphon von Keiko Abe, Emmanuel Séjourné und Akira Ifukube.
Das erste der beiden Konzerte des „magischen Frühlings“, das am Tag zuvor stattgefunden hatte, war eine über drei Stunden dauernde Marathonveranstaltung, weil an diesem Abend zwei Konzerttypen unter einen Hut gebracht werden mussten: eine Konzertveranstaltung für Soloperkussionisten und Perkussionsensembles sowie eine Konzertveranstaltung für Sinfonieorchester mit Solokonzerten für Schlaginstrumente. Man konnte also am 25. April gleich zwei abendfüllende Konzerte in einem genießen und hatte außerdem das Privileg, zwei rumänischen Erstaufführungen und einer Welturaufführung beiwohnen zu können.
Bereits beim Betreten des Athenäums spürte der Besucher, dass ihn ein Genuss der besonderen oder zumindest anderen Art erwartete, denn man wurde von Balletteusen in farbigen Tutus begrüßt und konnte sich mit einem elegant dargereichten Häppchen für das bevorstehende Konzerterlebnis stärken. Besagte Balletteusen traten auch später bei der Überreichung von Blumenbouquets auf der Athenäumsbühne wieder in Erscheinung und versöhnten so den Zuschauer, der zuvor die gloriose Selbstinszenierung der Organisatoren, Sponsoren und Koproduzenten des Events sowie das penetrante Product-Placement der Musikinstrumentenfirma Adams hatte über sich ergehen lassen müssen, wieder mit der Welt des schönen Scheins.
Musikalisch gesehen war dieser Konzertabend mit Überlänge jedoch ein ungetrübter Genuss, denn man hatte die Gelegenheit, Spitzenkönnern zu lauschen und ausgiebig ihrem meisterlichen Spiel mit Augen und Ohren zu folgen. Der Abend begann mit einem Solostück von Emmanuel Séjourné, das vom Komponisten selbst auf dem Vibraphon dargeboten wurde. Die ruhige, abgeklärte Art des Solisten, seine absolute Beherrschung des Instruments, seine Klangmagie und seine stupende Technik schufen eine Atmosphäre, die es den Zuhörern gestattete, sich auch im Folgenden ganz auf die Klänge der auf der Bühne im hellen Scheinwerferlicht erstrahlenden Schlagidiophone einzulassen.
Der zweite Programmpunkt bestand im Auftritt des Ensembles „The Wave Quartet“, das neben seinem jungen rumänischen Gründungsvater Bogdan B²canu die Japanerin Emiko Uchiyama, den Österreicher Christoph Sietzen und den Bulgaren Vladimir Petrov zu seinen Mitgliedern zählt. Auf vier Marimbaphonen ließen die Ausnahmemusiker, von denen zwei, der Rumäne und der Österreicher, bereits im zarten Alter von kaum zwanzig Jahren an österreichischen Hochschulen zu unterrichten begannen, Werke von Ástor Piazzolla und Daniel Wirtz erklingen. Ein besonderer Genuss war das letzte der dargebotenen Stücke: Ástor Piazzollas „Libertango“.
Den Abschluss der ersten Hälfte des Konzertabends bildeten drei Ragtimes, die von allen sechs Perkussionisten, die an diesem Abend auftraten, gemeinsam dargeboten wurden. Zu den Musikern des Ensembles „The Wave Quartet“ kamen noch der bereits erwähnte Emmanuel Séjourné sowie Peter Sadlo hinzu, der in München und Würzburg studiert hat und als Solopaukist der Münchner Philharmoniker noch unter Sergiu Celibidache wirkte. Peter Sadlo übernahm auch den Solopart in diesen drei wahnwitzig schnell gespielten, sich rhythmisch gewissermaßen überschlagenden Musikstücken, und der Zuschauer konnte vor seinem geistigen Auge gleichsam einen wild gewordenen Stepptänzer seine Schritte, Schläge und Sprünge vollführen sehen. Zugleich versammelte dieses Sextett drei Generationen von Perkussionisten: Peter Sadlo war der Lehrer von Bogdan Băcanu, und dieser hatte wiederum Christoph Sietzen zum Schüler.
Nach einer kurzen Pause, die wegen der zahlreichen Umbauten auf der Bühne und wegen des Aufbaus der diversen Schlagwerke fast vierzig Minuten dauerte, begann der zweite Teil des Konzertabends, der maßgeblich vom Rumänischen Jugendorchester unter der Leitung von Cristian Mandeal gestaltet wurde. Es erklang die Welturaufführung des Konzertes für Marimba und Orchester Nr. 1 von Emmanuel Séjourné mit Bogdan B²canu als Solisten, dem dieses Werk auch gewidmet ist. Es handelt sich dabei um ein gefälliges dreisätziges Musikstück, das in angenehmen Klängen schwelgt und in den Gefilden der Unterhaltungs- und Filmmusik zuhause ist.
Es folgte in rumänischer Erstaufführung ein Werk des amerikanischen Komponisten Paul Creston (1906-1958): sein Concertino für Marimba und Orchester op. 21 aus dem Jahre 1940 mit Peter Sadlo als Solisten. Das beliebte, anregende und rhythmisch überaus vielfältige Werk mit den drei Sätzen „Vigorous“ (kräftig), „Calm“ (ruhig) und „Lively“ (lebhaft) ist bis heute nicht nur Teil des Examens von Musikhochschülern im Fach Schlagzeug, sondern auch ein Probespiel-Stück für Orchester-Schlagzeuger. Ein doppelter Genuss, wenn man ein solches Stück von einem Meister, Altmeister und Großmeister wie Peter Sadlo dargeboten bekommen konnte!
Den Abschluss und zugleich den Höhepunkt der musikalischen Marathonveranstaltung bildete das Konzert für Schlagzeug und Orchester „Frozen in Time“ des heute vierzigjährigen israelischen Komponisten Avner Dorman. Das Werk, das im Bukarester Athenäum seine rumänische Erstaufführung erlebte, wurde 2007 von den Hamburger Philharmonikern mit Martin Grubinger als Solisten uraufgeführt. Es versammelt musikalisch nicht nur mehrere Kulturen – die Titel der drei Sätze lauten: Indoafrica, Eurasia, The Americas –, sondern instrumental auch ein voluminöses Schlagwerk mit Trommeln, Metallophon, Glockenspiel, Crotales, Vibraphon, Marimba etc., das durch Röhrenglocken und weitere Idiophone aus dem Orchester noch ergänzt wird. Hier konnte sich der Solist Christoph Sietzen, der an der Musikhochschule Wien unterrichtet und beim ARD-Musikwettbewerb 2014 den dritten Preis im Fach Schlagzeug erhalten hat, voll und ganz entfalten. Mit wechselnden Schlägeln hastete er in seinem Schlagwerkgeviert hin und her und machte Weltmusik zur Wirklichkeit, weswegen ihm das Publikum den dritten Satz, der auch dem Orchester einiges abverlangte, nochmals als Zugabe abforderte, wozu sich Cristian Mandeal auch gerne und ohne Zögern bereiterklärte.
So ging ein langer und an musikalischen Erlebnissen reicher Abend voller spielerischer Ausgelassenheit zu Ende. Man hätte sich nur gewünscht, dass der Generaldirektor des Nationalen Kunstzentrums „Tinerimea Română“ und Moderator des Abends Marin Cazacu, der bei seinen Überleitungstexten in Superlativen geradezu schwelgte, auch den rumänischen Perkussionisten Alexandru Atanasiu und die Internationalen Perkussionsfestivals der vergangenen Jahre im Bukarester Radiosaal erwähnt hätte, aber künstlerische Objektivität und Nationalstolz hatten hier wohl gegenüber der von Sponsoren diktierten Eventideologie das Nachsehen.