Am 29. November erreichte uns, die ehemaligen Coetus Honteri, die traurige Nachricht vom Ableben unserer geliebten und geschätzten Kollegin und Freundin Beatrice Primus, geborene Martin. Sie wurde am 12. September 1953 in Kronstadt geboren und wuchs zwei- ja sogar mehrsprachig auf: „Aus dem Volksradio tönte Russisch, von der Amme hörte ich Ungarisch, von den Eltern mal Deutsch, mal Rumänisch – in den 1950er Jahren in Siebenbürgen, Rumänien, wo ich geboren wurde. Mit drei Jahren hatte ich noch immer nicht zur Sprache gefunden. Das sollte sich später ändern.“ Und das änderte sich später tatsächlich mit Erfolg. Nach dem Abitur am Honterusgymnasium in Kronstadt begann Primus Anglistik und Germanistik an der Fakultät für Fremdsprachen der Universität Bukarest zu studieren. Nach der Auswanderung nach Deutschland erkannte sie, dass ihr Siebenbürger Deutsch dort fremdartig klang, „und so fand ich Gefallen am Deutschen aus fremder Perspektive. Das Deutsche im Sprachenvergleich wurde mein Hauptanliegen.“
Beatrice Primus studierte von 1975 bis 1980 an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) in München, wo sie ihr erstes Staatsexamen in den Fächern Germanistik und Anglistik ablegte. 1986 wurde sie mit einer Arbeit über Grammatische Hierarchien promoviert, für die sie das Prädikat „summa cum laude“ erhielt. Von 1980 bis 1995 arbeitete sie als wissenschaftliche Angestellte für Germanistische und Theoretische Linguistik am Institut für Deutsche Philologie der LMU. Im Jahr 1995 habilitierte sie sich dort mit einer Arbeit zu Kasus und semantischen Rollen.
Von 1996 bis 1997 trat Primus eine Professur für Deutsch als Fremdsprachenphilologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg an. Bald darauf folgte von 1997 bis 1998 eine Professur für Germanistische Linguistik an der Universität Stuttgart. 1998 bis 2019 war Primus Inhaberin des Lehrstuhls für Sprachwissenschaft des Deutschen an der Universität zu Köln. Außerdem war sie Mitglied des Senats- und Bewilligungsausschusses für die Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinde (DFG) und ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Im Mai 2015 wurde ihr der Leo-Spitzer-Preis der Universität zu Köln für herausragende wissenschaftliche Leistungen verliehen.
Zu den Schwerpunkten von Beatrice Primus in Forschung und Lehre zählten die Experimentelle Linguistik (insbesondere Syntax, Semantik und Pragmatik), Schriftsysteme und Medialität von Sprache, Grammatiktheorie sowie Fragestellungen im Umfeld von Kasus, semantischen Rollen und grammatischen Relationen. Sie war Herausgeberin der Zeitschrift „Written Language and Literacy“ und der Buchreihe „Linguistische Arbeiten“.
„Was charakterisiert einen Handelnden? Was macht eine Sache zum betroffenen Objekt? Das sind große, immer noch ungelöste Fragen der Sprachwissenschaft, die ich immer wieder gerne verlasse, um mich scheinbar Harmloserem zu widmen: dem kleinen Komma und dem Zerlegen eines Buchstabens in seine kleinsten Bestandteile, um zu erfahren, was diese uns über den Lautwert des Buchstabens verraten“, erklärte Beatrice Primus. Primus war Mitglied des „rats für deutsche rechtschreibung“ und wusste bes-tens, wovon sie spricht.
Trotz der vielen Tätigkeiten, Verpflichtungen und Verantwortungen war Bea, wie ihre Freundinnen und Freunde sie zu nennen pflegten, nie eingebildet oder eitel, sondern immer freundlich und entgegenkommend. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass sie ihre ganze Bibliothek der Uni Kronstadt vermachte. Und das war eine erneute großzügige Geste, denn gleich nach der Wende hatte sie für die Bibliothek der Germanistikfakultät Bukarest eine wertvolle Bücherschenkung organisiert. Somit spannte sich der Bogen der Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft von der Stadt ihrer Kindheit zur Stadt ihrer ersten Studienjahre. Sie hat ihre siebenbürgischen Wurzeln trotz ihrer hohen akademischen Position und ihrer brillanten wissenschaftlichen Karriere in Deutschland nie vergessen. Bis in die letzten Stunden blieb sie eine warmherzige, gutmütige, joviale und aufrichtige Freundin, was aus ihren traurigen Zeilen hervorgeht, die sie für ihre Kolleginnen und Kollegen niederschreiben ließ:
„Meine Kraft geht zu Ende und mein Kampf auch. Bei allem Leiden der letzten Jahre und insbe-sondere Monate kann ich doch auf ein schönes, erfülltes und abwechslungsreiches Leben zurückblicken.“
Bea mit dem schelmischen, wohlwollenden Lächeln, dem eleganten, weiblichen Auftritt, die hochbegabte, verdienstvolle Linguistin und Professorin Beatrice Primus wird man nicht vergessen. Ihr Kampf mit dem Tod ging zu Ende, aber die Perspektiven, die sie in der Forschung und Lehre eröffnete, sind unsterblich und grenzenlos.