Mit Musik die Elemente bezwingen

Mitreißendes Open Air Konzert von Harry Tavitian im Dorfmuseum

Das Dorfmuseum als würdige Kulisse für Harry Tavitians folkloristisch inspirierten Jazz. Fotos: George Dumitriu

Meditation eines „Musikschamanen” an der Elektroorgel

Manuela Tavitian schützt ihren Mann vor dem beginnenden Regenschauer

Am vergangenen Sonntag um 17.00 Uhr neigte sich das sechstägige Sonderprogramm anläßlich des 75. Jahrestags des Dorfmuseums mit einem Open Air Konzert des armenisch-rumänischen Jazzmusikers Harry Tavitian dem Ende zu. Während die Menschen in sommerlicher Gluthitze auf das Erscheinen des Künstlers warteten, herrschte an den Ständen der Aussteller Aufbruchsstimmung. Sticker, Töpfer und Holzschnitzer packten ihre Kunstwerke wieder ein, während sich die Bänke vor der Bühne füllten. Wer keinen Sitzplatz mehr fand, ließ sich im Gras oder im Vorgarten der umliegenden Häuschen nieder, dazwischen frei herumlaufende Hühner. Am Himmel braute sich langsam eine dunkle Wolke zusammen, als der Maestro seinen Platz hinter der Elektroorgel einnahm.

Mit seinem Markenzeichen, dem bestickten armenischen Käppchen auf dem Kopf und dem langen, am Ende bizarr gezwirbelten Bart, wirkt Harry Tavitian mehr wie ein Mönch als ein Musiker. Zusammengesunken sitzt er hinter der Elektroorgel, neben ihm ein Schemel mit einfachen, hölzernen Blasinstrumenten.

Das erste Lied beginnt mit einer zarten Weise auf der Flöte. Doch plötzlich entlockt er der unter seinen Händen erbebenden Orgel Klänge, als wolle er mit Himmel und Erde, Wasser und Feuer, dem Wind und den Vögeln kommunizieren. Mit behenden Fingern wühlt er die Tasten auf. Donnergrollen und Wasserplätschern, Glockenklang und Trommelwirbel erfüllen die gewitterschwangere Luft. Der Schamane bezwingt die Elemente der Natur! Da öffnet der Himmel seine Schleusen...

Frau Tavitian eilt mit dem Schirm auf die Bühne, bis das Zeltdach aufgebaut ist, doch der Künstler bekommt von alledem nichts mit. Wie in Trance verschmilzt er mit seiner Musik, wechselt von der Orgel zu einer blasrohrartigen Flöte, „trompetet” mit dem Mund, trällert und singt: „düdüdüdldüdaad – BAO!”. Ein armenisches Lied aus dem 12. Jahrhundert endet dann eher mystisch, mit den Klängen einer... Kuhglocke!

Ist das noch Jazz, wie wir ihn kennen? Sein Repertoire sprengt Raum und Zeit. Von den transsilvanischen Tänzen Bela Bartoks springt er zu armenischer Folklore, der Titelmelodie von „The Sound of Music” und Stücken aus dem Beginn der Blues Zeit. „I love my country, but my country don't love me” singt Harry mit perfektem amerikanischen Slang. Ein Satz, der im Publikum spontanen Zwischenapplaus auslöst.


Welche Message verbirgt sich hinter dieser Musik, frage ich den gebürtigen Armenier nach dem Konzert. Der Künstler holt weit aus, erzählt von seinen Großeltern, die Anfang des 20. Jahrhunderts vor dem Genozid gegen die Armenier aus der Türkei nach Constanta geflohen sind. Hier ist er aufgewachsen, Rumänien ist sein zuhause - sich selbst bezeichnet er als „Adoptivrumäne”. Da er sich jedoch mit beiden Kulturen verbunden fühlt, durchdringen folkloristische Elemente beider Länder seine Musik.

Am Anfang geschah dies ganz natürlich, ohne jede Absicht. Doch in fast 40 Jahren Jazzkarriere entwickelte er diesen Stil bewußt weiter, mit dem Ziel „die beiden großen spirituellen Räume auf dem Balkan und dem Kaukasus zu einer Synthese zu bringen”. Die armenischen Lieder seien ein  Dank an seine Vorfahren, bekennt Harry Tavitian. Doch auch ein paar Blues gibt er in jedem Konzert zum Besten, als Hommage an die Urahnen der Jazzmusik. Viele seiner Stücke lassen das typische Swing Element vermissen, erklärt er den eigenwilligen Charakter seiner Musik, und dennoch gehören sie zum Jazz, denn was diesen ausmacht, ist allein die spontane Improvisation!

Welche Art Leute begeistern sich für seinen Jazz? Gibt es den typischen Harry-Tavitian Fan? Der weitgereiste Künstler schüttelt den Kopf. An jedem Ort und in jedem Land in Europa, berichtet er aus eigener Erfahrung, gibt es eine kleine Jazz-Community, die sich aus allen Altersklassen zusammensetzt. Obwohl die Individuen höchst unterschiedlich sind, ähneln sich die Gruppen sehr. Egal, wo man seinen Auftritt hat, das Publikum reagiert immer auf dieselbe Art.

Doch dann fügt der Musiker, der seit 1984 in sieben deutschen Städten gastiert hat, schmunzelnd hinzu: „Nur die Deutschen, die haben mich anfangs überrascht, denn es brauchte lange, bis das Publikum mit der Musik mitging. Doch als ich es endlich geschafft hatte, da wußte ich - ab jetzt gehören sie mir!”


Am 12. Juni gibt es noch einmal Gelegenheit, Harry Tavitian in Kronstadt/Bra{ov life zu erleben, gefolgt von einem Konzert am 24. Juni in Baia Mare.