Diesem Anfang wohnte ein Zauber inne. Schon die Auswahl der Werke für das Antrittskonzert von Cristian Măcelaru war ein Statement: Es wurde kein Feuerwerk gezündet, sondern die Seele erforscht. Es standen Werke auf dem Programm, die Zeugnis über die Ästhetik des Dirigenten ablegen: Modernes, Feinfühliges, Erhabenes: Mahler-Widmann-Dvorák, hieß die spannende Zusammensetzung, die auch eine große stilistische Bandbreite bot.
Von Anfang an wurde deutlich: Cristian Măcelaru ist jemand, der die Nähe sucht, denn er wollte, bei aller Aufregung des Beginns, die Einführungen zu seinen Antrittskonzerten persönlich gestalten, im Gespräch mit WDR 3-Journalist Nicolas Tribes, was einen sehr privaten Blick auf seine Ästhetik ermöglichte und einen entspannten, nahbaren, sympathischen Maestro offenbarte. Das Publikum dankte auf seine Weise: Bereits beim ersten Gang zum Podium gab es besonders lauten Beifall. Möglicherweise waren vielen noch die vorherigen Konzerte von Cristian Măcelaru beim WDR Sinfonieorchester in den vergangenen Jahren in Erinnerung: Strawinskys „Sacre du printemps“, Tschaikowskys 4. Sinfonie oder Mussorgski/Ravels Bilder einer Ausstellung.
Cristian Măcelaru ist in der Musikszene schon kein Geheimtipp mehr, sondern ein umworbener Maestro. Die von ihm dirigierten Konzerte prägen sich ein, seine präzise Technik führt Orchester zu Höchstleistungen, seine Leidenschaft steckt das Publikum an, seine genaue Kenntnis der Werke sowie des Kontextes ihrer Entstehung erzeugen ein tiefes Verständnis des Erlebten. Bei ihm ist Musik kein Zufall und keine Show, sondern Mittel, die Tiefe der menschlichen Seele zu erkunden.
Cristian Măcelaru, 39, in Temeswar/Timișoara geboren und hier in der Schulzeit ausgebildet, zog bereits mit 17 in die USA, wo er zunächst eine sehr erfolgreiche Karriere als Geiger begann, um sich dann dem Dirigieren zuzuwenden. Schon bald gab es hohe Anerkennung durch den Georg-Solti-Preis für junge Dirigenten 2012 und bald darauf den Solti Conducting Award 2014. Es folgten Engagements bei den großen amerikanischen Orchestern (New York, Chicago, Cleveland, Los Angeles) und eine intensive, langjährige Bindung als Conductor in Residence des wunderbaren Philadelphia Orchestra, eines der führenden amerikanischen Ensembles. In den vergangenen Jahren kamen zahlreiche große europäische Orchester hinzu: das Concertgebouw Amsterdam, das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Gewandhausorchester Leipzig und viele mehr.
Bereits die ersten Takte von Gustav Mahlers 4. Sinfonie machten den Ansatz des Maestro deutlich: sensibel, fein, doch bewegt, drängend. Das WDR Sinfonieorchester spielt diese Musik, die vordergründig hell und heiter ist, doch gleichzeitig das Grotesk-Abgründige hervorbringt, präzise, mit Freude und höchster Konzentration. Die Wendungen vom Lyrischen zum Dunklen vollziehen sich in den raschen Wechsel der Tempi und der Dynamik. So erscheint diese vordergründig kindlich-heile Welt voller Brüche und Unsicherheiten.
Cristian Măcelaru leitet das WDR Sinfonieorchester sicher durch die Mäander einer Musik voller Magie und Zweideutigkeit, voller Sehnsucht nach einem Glück, das nie zu fassen zu sein scheint. Ein faszinierendes Panorama von Seelenzuständen entfaltet sich vor den Augen des Hörers. Er ist beim Dirigieren mit seinem ganzen Wesen dabei: Seine Gesten und die Mimik stehen im Einklang mit der Musik, er geht ganz darin auf und nimmt die Musiker des Orchesters gleich mit, so den engagierten Konzertmeister José Maria Blumenschein, der die Solopartien mit großer Einfühlsamkeit spielt.
Der 3. Satz (Ruhevoll. Poco adagio) wird unter der Leitung von Cristian Măcelaru zu einem Meisterstück: wunderbar organisch im Aufbau, lyrisch, wobei gleichzeitig Spannung erzeugt wird, bis zur vorläufigen, aufbrausenden Klimax, die dann sanft ins Piano abgleitet – ein Traum, der sich in seiner ganzen Fragilität vor den Augen des Zuhörers entfaltet.
Das Finale der Sinfonie mit dem wunderbaren Sopran-Solo entführt in die Traumwelt des „himmlischen Lebens“ voller Schönheit und verstörender Kontraste. Dank Cristian Măcelarus analytischer Herangehensweise, seiner großen Sensibilität, des Gefühls für Proportionen, wird diese Sinfonie zu einem wahren Erlebnis.
Jörg Widmanns „Tanz auf dem Vulkan“, 2018 für den scheidenden Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, Sir Simon Rattle, komponiert, ein kurzes Essay über die Kondition des Dirigenten und seines Verhältnisses zum Orchester, eröffnet den zweiten Teil des Konzerts. Während die Musiker bereits eine Big Band-Atmosphäre zaubern, tritt der Dirigent auf die Bühne und entfacht ein musikalisches Feuer mit zahlreichen Anklängen an Bekanntes, es lodert an allen Ecken und Enden, bis sich, urplötzlich, aus dem Nichts, der Sturm legt, der Löwenbändiger seinen Taktstock niederlegt und sich in den Rhythmen des Beginns zurückzieht. Ein (selbst)ironischer Kommentar zum Wirken eines Dirigenten und zu den Bewährungsproben, denen er ausgesetzt ist.
Antonín Dvoráks Te Deum, ein seltener gespieltes Werk, ist ein Stück voller Schönheit und herrlicher Harmonien, hell, zuversichtlich und positiv. Es entspricht dem Seelenzustand des Komponisten bei der Entstehung anlässlich des Antritts der Position des Leiters des National Conservatory of Music in New York. Das WDR Sinfonieorchester, der wunderbare Chor des Bayerischen Rundfunks und die bestens aufgelegten Solisten: Simona Šaturová, Sopran, und Michael Nagy, Bariton, lassen eine ganze Welt in hellen Farben erstrahlen.
In der begeisterten Reaktion des Publikums entdeckt man die Vorfreude auf eine Zusammenarbeit, die mit Sicherheit so manche Entdeckung sowohl hinsichtlich des Repertoires wie auch der Herangehensweise an die Musik bereithält. Es kommt eine spannende Zeit auf das WDR Sinfonieorchester zu.