Die Beiträge über die Theologinnen Renate Klein und Ortrun Rhein wurden zum Anlass des 30. Ordinationsjubiläum von Frauen in der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien verfasst, das in diesem Jahr begangen wurde, und sind auch auf evang.ro erschienen. Sie gehörten zu den ersten Frauen, die nach jahrzehntelangem Verbot zum Theologiestudium zugelassen wurden, wurden aber nie ordiniert.
Renate, du hast noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs begonnen, Theologie zu studieren. Wie kam es dazu?
Theologie war nicht meine erste Option, genauer gesagt, es war gar keine Option. Ich wollte in Klausenburg/ Cluj-Napoca Chemie und Physik auf Lehramt studieren, aber zu der Zeit (1988) war die Anzahl der Studienplätze auf der Universität überall begrenzt und die Konkurrenz sehr groß. Kurzum, ich wurde nicht aufgenommen. Es folgten einige Monate Arbeit in der Fabrik. Ödes Zeug – von 6.30 Uhr morgens bis 15.00 Uhr die immer gleichen Bewegungen am Fließband, begleitet von den derben Flüchen der Arbeiterinnen. Im Rückblick kann ich sagen, dass ich diese Zeit nicht missen möchte. Ich habe viel über das Leben gelernt. 1989 bahnte sich dann die Umentscheidung zur Theologie an – das lag in großem Maß daran, dass mein damaliger Freund (heute Ehemann) schon im Jahr davor die Aufnahmeprüfung bestanden hatte und nun vom Militärdienst zurückkam, um sein Studium anzutreten. Meine Motivation war eher naiv: Auf der Kanzel stehen und die Leute belehren (mein Großvater nannte mich schon als Kind „Frau Professor“) – das stellte ich mir grandios vor. Gemeinsam mit einer weiteren Kandidatin stellte ich einen Antrag auf die Aufnahme von Frauen zum Theologiestudium an das Landeskonsistorium. Es wurden daraufhin zwei Studienplätze für Frauen bewilligt. Ich bereitete mich für die Aufnahmeprüfung vor und bestand sie. Einer der beiden Studienplätze gehörte also mir.
Nach Jahrzehnten des Verbots gehörst du zur ersten Generation von Frauen, die Theologie studierten. Wie seid ihr aufgenommen und behandelt worden? Was war dir wichtig im Studium? Was hat dich als Frau gestützt, was hinterfragt?
Wir waren ordentliche Hörerinnen und ganz regulär immatrikuliert, aber wir gehörten nicht ganz dazu. Das lag schon einmal an unserem Standby-Status, wenn ich das so nennen darf. Man hatte die Studienplätze für Frauen bewilligt, ohne aber auch über die Zukunft von studierten Theologinnen in der Kirche zu befinden. Auf die Frage: „Was für eine Berufsperspektive haben wir nach dem Studium?“ (zu einem Beschluss der Frauenordination hatte man sich noch nicht durchgerungen) hieß es nur: „Fangt erst einmal mit dem Studium an, dann sehen wir weiter.“ Und so verfassten wir immer wieder Anträge an die kirchliche Oberbehörde und baten um Beschlussfassung in dieser Angelegenheit. Es gab zwar Diskussionen in der Landeskirchenversammlung, aber die männliche Perspektive dominierte. Man vertröstete uns: „Schließt jetzt einmal euer Studium ab, dann sehen wir weiter.“ Vor allem aber irritierte mich die Frage: „Willst du denn überhaupt Pfarrerin werden? Für wen sollen wir den Beschluss fassen?“ Ein Grundsatzproblem muss doch grundsätzlich und nicht personengebunden gelöst werden, oder? Ich hatte mich für das Vikariat entschieden. Der Beschluss zur Frauenordination war immer noch nicht gefasst. Und ich hörte wieder das schon bekannte: „Mach nur das Vikariat, dann sehen wir weiter.“
Aber zurück zum Studium selbst. Unter den Studienkollegen fühlte ich mich ganz gut aufgenommen. Nur die Regeln im Haus fand ich etwas seltsam. Abgesehen davon, dass wir als Frauen in dem Wohnheim gar nicht wohnen durften – das war den Herren vorbehalten, mussten wir die Toilette der Kantine unten im Hof benutzen, statt die oben bei den Vorlesungsräumen. Das bedeutete jedes Mal zwei Stockwerke runter und wieder rauf. Den Zugang zur Bibliothek konnte man uns nicht verweigern, aber es gab tatsächlich Diskussionen darüber, was denn passieren würde, wenn mir als Frau auf dem Weg zur Bi-bliothek ein in ein Handtuch gewickelter Mann begegnen würde, der gerade aus dem Gemeinschaftsbad auf dem Weg in sein Zimmer wäre (die Studentenzimmer hatten damals noch kein eigenes Bad). Gott sei Dank weichten diese Regeln im Verlauf des Studiums etwas auf, sodass ein einigermaßen normales Miteinander möglich war.
Frauenordination ja oder nein war während meiner ganzen Studienzeit ein großes Thema – immerhin musste man ja für uns Frauen (und es wurden schon während meiner Studienzeit immer mehr) eine „Lösung“ finden. Es gab viele kontroverse Meinungen dazu und manchmal etwas merkwürdige Begründungen. Zum Beispiel stellte man die Frage: Was passiert, wenn eine Pfarrerin schwanger ist und dann ihren Dienst nicht ausüben kann, oder wenn sie menstruationsbedingt als unrein gilt und keine Gottesdienste halten darf? Es gab auch die Ansicht, dass Frauen auf der Kanzel nichts zu suchen hätten, wie der sehr plakative Titel des Beitrags eines unserer Pfarrer in der Studentenzeitung „Die 7. Posaune“ belegt: „Ehebrecher, Mörder, Diebe, Meineidige und Frauen, die predigen“.
Abgesehen von solch wenig frauenfreundlichen Fragen und Aussagen, denen wir immer wieder ausgesetzt waren, war das Studium spannend. Am Anfang waren es vielleicht weniger die theologischen Inhalte, die mich faszinierten (für mich war schon die theologische Sprache zunächst einmal eine Nummer zu hoch), sondern die spannende Zeit, in der wir lebten – wir hatten 1989 mit dem Studium begonnen. Das war die Zeit der Revolution, der rasanten Veränderungen, der Umstrukturierung des Studiums und der Regeln – auch bei uns im Haus. Und ich war Teil davon. Auch die schon erwähnte „7. Posaune“ hat mich sehr geprägt und mein Selbstbewusstsein gestärkt.
Nach und nach fand ich mich auch ins Studium ein und war vor allem vom Alten Testament fasziniert, von seiner Vielfalt und Lebensnähe. Ein Studienjahr in Bern eröffnete mir dann noch weitere Horizonte. Es beeindruckte mich, dass man dort ohne die Frage, ob eine Frau zur Pfarrerin tauge, studieren konnte.
Du hast das Studium abgeschlossen, hast aber die Ordination nicht angestrebt. Warum?
Ich habe mein Studium abgeschlossen und Vikariat gemacht. Bei der mündlichen Prüfung nach dem Vikariat saß ich unter lauter Herren. Es war die Prüfung im Liturgischen Singen, Abendmahlsliturgie. Alle Kollegen wurden mit „Herr ...“ angesprochen, sie wurden geprüft und sangen himmlisch oder eher mäßig den Teil der Abendmahlsliturgie, der von ihnen verlangt wurde. Als Letzte kam ich dran. Ich wurde mit den Worten aufgefordert: „Na, kann die Renate das auch?“ Ja, die Renate konnte das auch. Ich habe gesungen, bin aufgestanden und hinausgegangen. Zu den weiteren Prüfungen bin ich nicht mehr erschienen. Dass nach jahrelangem Hinhalten dann noch dieses Mindestmaß an gleicher Behandlung fehlte, war zu viel.
Was war dein beruflicher Weg nach dem Studium, was machst du heute? Inwiefern hilft dir das Theologiestudium dabei?
Nach dem Vikariat war ich mit Johannes, meinem Ehemann, erst einmal ein Jahr in Jerusalem. Das Studium an der Hebräischen Universität in Jerusalem war die beste Studienerfahrung meines Lebens. Ich habe meine Hebräischkenntnisse deutlich erweitert und vertieft, Einblicke ins Judentum erhalten, aber auch die religiösen Konflikte im Heiligen Land hautnah erlebt. Das hat bleibende Eindrücke hinterlassen. Nach der Rückkehr aus Israel war ich zunächst an der Schule in Fogarasch/ F²g²ra{ als Religionslehrerin und aushilfsweise als Grundschullehrerin tätig, entwickelte aber den Gedanken, promovieren zu wollen. Ich tat es in Hamburg mit einem Stipendium des DAAD. Prof. Dr. Ina Willi-Plein begleitete mit viel Geduld meine Arbeit, in der ich versuchte, den biblischen Jakobsgeschichten rezeptionsästhetisch auf den Grund zu gehen, sie mit der jüdischen Auslegung des Midrasch und dem Josefroman von Thomas Mann zu verbinden.
Nach dem Promotionsstudium kehrte ich nach Fogarasch zurück. Ich gab den Gedanken ans Unterrichten aber nie auf. Ich war eine Zeit lang Sprachenlektorin am Theologischen In-stitut in Hermannstadt und unterrichtete Hebräisch, Griechisch, Latein und Deutsch, an manchen Tagen gleich alle Sprachen hinter-einander. Da musste das Umdenken sehr schnell gehen und war nicht immer ganz einfach. Der Religionsunterricht in Fogarasch blieb mir zudem ebenfalls erhalten. Später übernahm ich den alttestamentlichen Lehrstuhl in Hermannstadt. Ich erlebte die Übernahme des Theologischen Instituts in die Lucian-Blaga-Universität. Insgesamt 16 Jahre dozierte ich Altes Testament, einige Jahre leitete ich den Studiengang auch. Ich hatte allerdings vor allem in den letzten Jahren den Eindruck, dass man als Lehrkraft an der Universität immer nur irgendwelchen Leistungspunkten hinterherjagen muss. Das hat mir den Spaß an der Sache genommen. Zudem wollte ich etwas bewegen, aber bei der verschwindend kleinen Studentenzahl spürte ich kaum den frischen Wind, der etwas hätte bewegen können. Also bewarb ich mich auf die vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) ausgeschriebene Stelle der Schulbuchbeauftragten. Seit 2019 beschäftige ich mich hauptamtlich mit der Herausgabe von Schulbüchern für den deutschsprachigen Unterricht in unserem Land. Ich finde Übersetzer oder betreue Autorenteams und lese Korrektur. Es ist eine Arbeit, die mir Spaß macht und wo ich etwas bewegen kann. In den fünf Jahren, seit ich das mache, sind immerhin über 60 Schulbücher, die in unseren Schulen genutzt werden, über meinen Schreibtisch gegangen.
Trotz meiner sehr arbeitsintensiven und nicht mehr so ganz neuen Beschäftigung bin ich meiner Liebe zur Theologie immer treu geblieben. Ich halte gelegentlich Gottesdienste in Fogarasch, unterrichte die alten Sprachen und ein wenig Altes Testament an unserem theologischen Studiengang, wenn auch nur als sogenannte Stundengeberin. Ich glaube, es würde mir etwas fehlen, wenn ich das nicht machen würde.
Gibt es Erfahrungen, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?
Was ich nicht für möglich gehalten hätte, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte: Ich war gerade frisch gebackene Doktorin der Theologie und wurde – ich empfand das als große Ehre – zu einem Pfarrfrauentreffen eingeladen, um dort einen Vortrag zum Thema Brot (des Lebens) zu halten. Ich hatte mich gründlich vorbereitet, hatte die alt- und neutestamentlichen Stellen studiert und einiges dazu gelesen und freute mich auf den Vortrag vor den Pfarrfrauen. Aber ich wurde während meines Vortrags unterbrochen und der „Ketzerei“ beschuldigt. Eine der Frauen stand auf und hielt mir eine Rede, die mit den Worten begann: „Mein Mann hat einmal gepredigt, dass …“. Offensichtlich waren meine Gedanken nicht konform mit seiner Predigt und das war nicht zu tolerieren. Auch andere Pfarrfrauen äußerten scharfe Kritik. Ich fühlte mich verletzt und blieb den Treffen fortan fern. Ich fand die, von mir als frauenfeindlich empfundene Haltung einiger Pfarrfrauen alles andere als ermutigend.
Aber ich möchte nicht schließen, ohne auch die mehrheitlich positiven Erfahrungen in Form eines anekdotenhaften Erlebnisses zur Sprache zu bringen: Es war einer meiner ersten Predigteinsätze – ein Ostergottesdienst in Rode/ Zag²r. Ich hatte Herzrasen vor Aufregung. Ich kam in die Kirche und sah… niemanden. Viele waren schon ausgewandert. Die, die noch da waren, saßen brav auf ihren Plätzen, aber ihre Plätze waren halt nicht die besten in der Gemeinde. Sie saßen irgendwo an der Seite und hinter den Säulen oder auf der Empore. Ich hielt meinen Gottesdienst vor dem beinahe unsichtbaren Publikum. Als ich ihn beendet hatte und am Ausgang war, drückte mir der Kurator ein Kissen mit dem Kirchenschlüssel in die Hand und gab mir zu verstehen, dass ich vor der Kirche eine Rede halten müsse. Ich stotterte ein paar Sätze zusammen und erhielt das Feedback des Kurators: „Sie haben aber ein gutes Organ!“ Ich war etwas verdutzt ob dieser Aussage, aber mir dämmerte nach und nach, dass das positiv gemeint war. Obwohl „nur“ eine Frau, hatte man mich offenbar gut verstanden, und das war alles, was zählte.
Es ist eine Erfahrung, die ich in allen Gemeinden gemacht habe, in denen ich Gottesdienste gehalten habe: Dass nicht mein Geschlecht eine Rolle spielt, sondern die Tatsache, dass überhaupt jemand da ist, der bereit ist zu hören, was die Gemeinde bewegt und an ihrem Leben teilnimmt. Auch wenn ich selbst diesen Weg nicht eingeschlagen habe, finde ich es gut und richtig, dass die Frauenordination in unserer Kirche möglich ist und inzwischen einige haarsträubende Vorurteile abgebaut werden konnten.