Eine umfassende Darstellung der Geschichte des Deutschen Staatstheaters Temeswar (DSTT), von der Gründung dieser wichtigen Kulturinstitution bis Anfang des 21. Jahrhunderts, bietet Horst Fassel, Theaterwissenschaftler, Professor für deutsche Literatur, Vorsitzender der wissenschaftlichen Gesellschaft Thalia Germanica und ehemaliger Geschäftsführer des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen in „Das Deutsche Staatstheater Temeswar (1953-2003)”. Die Monografie, die ein jahrzehntelanges intensives Studium dieser Aspekte und unzählige Publikationen des Autors zu diesem spezifischen Thema umfasst, setzt sich als Ziel, die kulturgesellschaftliche Bedeutung der deutschsprachigen Institution in einem multikulturellen Raum darzustellen, ihre geschichtliche Entwicklung von den Anfängen bis in der heutigen Zeit, mit ihren Höhepunkten und Schwierigkeiten zu beleuchten. Die Ermittlung des Stellenwertes des Berufstheaters innerhalb der gesamten regionalen und nationalen Kulturlandschaft stützt sich auf die Untersuchung seiner Theatertätigkeit, der Beiträge sämtlicher Mitwirkenden, von Theaterprogrammen und -zeitschriften, Theaterkritiken, Memoiren und nicht zuletzt auf die Beziehung zu anderen Theatereinrichtungen, um somit die kulturpolitische Funktion hervorzuheben.
Die Vorgeschichte der Gründung dieser als Minderheitentheater gedachten Einrichtung, die sich ausführlich mit der Tradition des deutschsprachigen Theaters in diesem Raum beschäftigt, fungiert als Argument für das Dasein einer Kulturinstitution dieser Sparte in deutscher Sprache in Rumänien. Für Temeswar, Zentrum eines multikulturellen Gebiets, Treffpunkt zahlreicher Zivilisationen, in dem Deutsche, Ungarn, Juden, Serben, Bulgaren zusammen mit den Rumänen leben, war und ist die Gründung einer deutschen Staatsbühne wichtig. In der vielsprachigen kulturellen Infrastruktur behauptet sich das Deutsche Staatstheater Temeswar auch als Kultur- und Identitätsträger für die deutsche Minderheit, andererseits als Vermittler der deutschen Kultur in deutscher Sprache.
Das in den 50er-Jahren gegründete DSTT war damals das einzige deutschsprachige Theater außerhalb des deutschen Sprachraums. Diese Sonderstellung wird vom Verfasser akribisch dokumentiert, belegt durch die Beschreibung der sozialpolitischen Situation im Laufe der Jahrzehnte, Präsentation der Zielsetzungen der einzelnen Intendanten, der Rolle der Dramaturgen und der anderen Leistungsträger des Theaters, Aufstellung und Auswertung der Spielpläne, Rezeption der Vorstellungen in den Medien. Ein Sonderkapitel widmet Horst Fassel den Einzeldarstellungen: In chronologischer Reihenfolge werden Porträts von Theaterleitern/Intendanten, Schauspielern, Regisseuren, Bühnenbildnern und Dramaturgen geboten. Ein besonderer Akzent fällt auf die Präsentation der Darsteller, Mitglieder eines vielseitigen Ensembles, wobei einige hervorgehoben werden, die sich über Jahrzehnte auf der Bühne behaupteten und als Stabilisatoren des Deutschen Staatstheaters gelten. Gewürdigt in Einzelbeiträgen sind jene Theatermenschen, die sich in die Gesamtleistung des Ensembles eingliedern und damit die Identität des Theaters prägen. In einer gründlichen Untersuchung werden die einzelnen künstlerischen Leistungen, die zur Erweiterung des Bekanntheitskreises des Theaters beigetragen haben, honoriert.
Der Verfasser verfolgt durch die Jahrzehnte das Repertoire und die Rezeption der Vorstellungen und gelangt zur Schlussfolgerung, dass in der Spielplangestaltung des DSTT Konstanten festgestellt werden können – Stücke aus der klassischen Literatur, Texte deutschsprachiger Dramatiker, Volksstücke aus der deutschsprachigen Tradition wie auch banatschwäbische Mundartstücke, rumänische Dramatik in deutscher Übersetzung, Pantomime, Lyrikabende, Märchenstücke, Unterhaltungsprogramme. Die Aufstellung der Spielpläne lässt sich anhand der kontextgebundenen Kulturpolitik motivieren, wobei auf die „rezeptartige” Struktur aus der Zeit vor 1989 hingewiesen wird, eine Tatsache, die sich durch die damaligen ideologischen Vorgaben erklären lässt, die landesweit gültig waren. Es wird festgehalten, dass nach diesem Raster thematische Variationen möglich waren: Inszenierungen mancher Stücke von in- und ausländischen Gastregisseuren, vereinzelt Kooperationen mit in- und ausländischen Bühnen, bis 1989 insbesondere aus der DDR. In diesem Fall wie auch in anderen sind Differenzierungen notwendig, auch wenn es sich um rezeptartige Spielplänezusammensetzungen handelt, die einerseits der Zensur gerecht sein sollten und andererseits publikumsorientiert waren. Die objektiv-kritische Position von Fassel beruht auf der Darstellung von Fakten, alle aus dem geschichtlichen Kontext betrachtet.
Ein Durchblick der krisengeschüttelten Zeiten der 80er und 90er Jahre, als die massive Auswanderung der Deutschen aus dem Banat stattfand, die nach dem Umsturz vom Dezember 1989 zu einem Tiefpunkt in der Existenz des Theaterensembles geführt hatte, erklärt diese Situation. Zu den besonderen Schwierigkeiten, mit denen sich das DSTT konfrontiert sah, zählt der Verfasser folgende: Schrumpfen des Ensembles, insbesondere nach 1990; Mangel an männlichen Schauspielern; Mangel an Nachwuchs (eine Folge der Schließung der deutschen Schauspielabteilung der Theaterhochschule aus Bukarest, die einzige Ausbildungsstätte in deutscher Sprache, im Jahre 1979); Wahl der Stücke orientiert nach Schauspielern, Regisseuren und Publikum; Schrumpfen des Publikums, insbesondere im ländlichen Bereich, wegen der massiven Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland, usw. Spezielle Aufmerksamkeit wird der Sondersituation gewährt, als 1990/1991 nach der Auswanderung der deutschen Bevölkerung aus dem Banat das Theater um sein Überleben kämpfen musste, dann jedoch durch die Gründung der deutschen Schauspielschule (1992) wieder Hoffnung aufkam, denn dadurch konnte das Personalreservoir gefestigt werden. Die Absolventen sind heute Mitglieder des jungen und dynamischen Ensembles, das mittels einer neuen Repertoirepolitik ein vielfältiges Theaterprogramm bietet. Die stattgefundene Wandlung in der Kulturpolitik des Theaters, die Anpassung an die westlichen Tendenzen der Theaterwelt, ist teilweise auch durch neue Zuschauergruppen bedingt, die neue Ansprüche stellen. Fassel bemerkt berechtigterweise, dass der Trend in Richtung experimentelles Theater führt, ohne jedoch Prognosen für die Zukunft zu verlauten.
Ein umfangreiches Kapitel untersucht die Formen der Selbstdarstellung und der Rezeption – unter anderem die Mittel der Eigenwerbung durch Programmhefte, Zeitschriften und Memoiren. Hinzu kommen Publikationen bezogen auf diverse Theaterevents, darunter Einzelereignisse, Jubiläen, Tourneen, Teilnahme an Festivals, Gastspiele im In- und Ausland. Die Rezeption wird über die Theaterkritik in den rumänischen und landeseigenen deutschsprachigen Medien sowie aus bundesdeutscher Perspektive untersucht. Die theaterinterne Zeitschrift „Gong” nimmt eine wichtige Rolle ein, unter anderem mit der ambitionierten Zielsetzung, das Publikum auf theaterästhetische und theatergeschichtliche Aspekte aufmerksam zu machen.
Dem Stellenwert und der Besonderheit des Deutschen Staatstheaters widmet die Dokumentation große Aufmerksamkeit, inbesondere durch die Recherche der Theaterkritik, die eine theaterästhetische Werteskala bestimmt und dadurch auch publikumsorientierend wirkt. Hervorgehoben werden die deutschsprachigen Periodika in Rumänien, die regelmäßig Theaterkritiken brachten, wie auch Interviews und andere Beiträge, die ein breites Spektrum der Theaterdarbietungen reflektieren. Die Beziehung zu anderen Berufstheatern (Nationaltheater Temeswar, Ungarisches Staatstheater Temeswar, Jüdisches Staatstheater Bukarest, Deutsche Abteilung des Staatstheaters Hermannstadt), Studententheatergruppen, deutschen Laientheatern und die Partnerschft mit dem bundesdeutschen Theater der Badischen Landesbühne Bruchsal unterstreicht die Notwendigkeit eines Austausches und der Kommunikation unter den Theaterschaffenden.
Schlussfolgernd sei bemerkt, dass die neueste Theatergeschichte von Horst Fassel dem Leser eine Dokumentation mit neuen Blickpunkten und auch Korrekturen zu einigen Positionen der Forschung bringt. Eine beeindruckend umfassende Bibliografie und ein von Paul S. Ulrich präzise aufgestelltes Register bieten dem Leser ein wichtiges Instrument für weitere Recherchen.
Diese wissenschaftlich gut dokumentierte monographische Darstellung des Deutschen Staatstheaters Temeswar ist zu begrüßen, denn sie übertrifft die bislang herausgegebenen Studien, Einzelmonografien und Überblicksdarstellungen und bereichert damit die europäische Theatergeschichte, die sich diesem Segment der regionalen Kulturphänomene widmet. Die Anregung, an dieser Theatergeschichte weiterzuschreiben, ist ein wichtiger Impuls für die nächsten Generationen und ein Appell an ihre Verantwortung.
Eleonora Ringler-Pascu ist Leiterin des Instituts für Schauspielkunst an der West-Universität Temeswar