Die Jahrestagung 2019 der Internationalen Stefan Zweig Gesellschaft fand vor Kurzem in Zusammenarbeit mit dem Heine Haus Hamburg, mit der freundlichen Unterstützung durch die Hermann Reemtsma Stiftung, die Stadt Salzburg und das österreichische Kulturforum Berlin in der Hansestadt Hamburg statt. Die Gesellschaft fördert durch Lesungen, Ausstellungen, Tagungen und Publikationen die wissenschaftliche und literarische Auseinandersetzung mit dem Schaffen des weltweit bekannten österreichischen Schriftstellers und Pazifisten Stefan Zweig (1881-1942).
Den Auftakt bildete ein Rundgang durch die 2015 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannte einmalige Speicherstadt Hamburg, wobei den Teilnehmenden an der diesjährigen Tagung ihre faszinierende Geschichte und Bauarchitektur vorgestellt wurden. Es folgte eine Führung durch die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg „Carl von Ossietzky“. Die Gründung der Ratsbibliothek, aus der später die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek entstehen sollte, geschah 1479, „noch vor der Entdeckung Amerikas“, wie die Direktorin mit berechtigtem Stolz betonte. Die Universität feierte heuer 100 Jahre seit ihrem Bestehen, ihre Wurzeln reichen jedoch bis in das beginnende 17. Jahrhundert zurück. Die Bibliothek, die als Kultureinrichtung über wertvolle Sondersammlungen und Nachlässe verfügt, weist ca. 700 Treffer zu Stefan Zweig auf. Kein Wunder, denn in Hamburg wurde 1918 Zweigs Theaterstück „Legende eines Lebens“ uraufgeführt, in der Stadt an der Elbe hielt Zweig bedeutende Vorträge über Romain Rolland und Sigmund Freud, pflegte Kontakte zu zahlreichen namhaften Dichterkollegen und Übersetzern. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang das Richard Dehmel-Archiv, das Manuskripte, Briefe, Musikalien, Bücher und Varia wie Lebenszeugnisse und Zeitungsausschnitte enthält. Für die Teilnehmenden an der Tagung war die Einführung in das Richard Dehmel-Archiv durch Dr. Mark E. Amstätter sowie in den Briefwechsel zwischen Zweig und Dehmel ein besonderes kulturelles Erlebnis.
Handschriften in Ruhe einsehen zu können, einzelne Briefe in den Händen halten zu dürfen, ist selten der Fall. Im Anschluss bot die Lesung aus ausgewählten Briefen durch Malte Godglück und Robert Tillian einen erleuchtenden Eindruck über die Beziehung zwischen den beiden Schriftstellern, die von Verehrung bis zu Zerwürfnis reichte.
Westlich der HafenCity befindet sich die 2017 eröffnete Elbphilharmonie, im Volksmund Elphi genannt. Sie ist das neue Konzerthaus Hamburgs, ein architektonisches Juwel direkt am Wasser gelegen. Die Besichtigung des Gebäudes, gefolgt von einer Hafenrundfahrt mit Barkasse, war auch bei Regenwetter unvergesslich schön.
Ein Highlight der Tagung waren Vortrag, Lesung und Gespräch zum Thema „Stefan Zweig: Ein vielseitiger Weltliterat mit Hamburg-Verbindung“, an dem die Schauspielerin Mechthild Großmann und die Literaturwissenschaftlerinnen Dr. Jasmin Sohnemann und Dr. Beate Borowka-Clausberg teilnahmen. Die Lektüre des Textfragments aus der Biografie „Maria Stuart“ stellte nochmals die Aktualität von Zweigs Ideen und die Aussagekraft seines Schreibstils unter Beweis.
In dem Hamburger Stadtteil Blankenese konnte das Künstlerhaus Dehmel besichtigt werden, was den Tagungsteilnehmenden einen Zugang zu einem bedeutenden Kapitel der deutschen Literaturgeschichte gewährte. Danach präsentierte Rudolf Angeli die Jubiläumsreise der „Schachnovelle“ und Elke Rehder schenkte allen Anwesenden einen Original-Holzschnitt zu diesem bekannten Werk Zweigs.
Der Vortrag der jungen Doktorandin Tina Sturm-Ornezeder aus Salzburg, gehalten im eindrucksvollen Mendelssohn-Saal der Hochschule für Musik und Theater, führte die Tagungsteilnehmenden in den noch wenig erforschten Romanentwurf „Clarissa“ von Stefan Zweig ein und überzeugte durch den originellen Beitrag der Referentin, die eine Transkription des Originaltextes mit Anmerkungen und Interpunktionszeichen, ein Glossar mit Orts- und Personennamen, mit Fachbegriffen und einem Kommentar sowie die Digitalisierung ausgearbeitet hat. Der Roman greift, so die Referentin, Zweigs Sehnsucht nach der „Welt von gestern“ auf, drückt seine Erbitterung, Hoffnungslosigkeit und Depression als Folge des Kriegs aus.
Der anschließende Vortrag von Bernd Oei aus Bremen betitelt „’Der Grenzgänger: Stefan Zweig und der europäische Traum’. Zeitlosigkeit von Zweigs politischen Essays, Vision und Kritik Europas“, begeisterte das Auditorium, weil er vom Weitblick des Referenten, von seiner gründlichen Kenntnis der damaligen Zeit und der aktuellen sozial-politischen Lage zeugte. Es wurden anregende kulturgeschichtliche Assoziationen hinsichtlich der Modernität der Konzepte Zweigs von Geschichte und Literatur hergestellt. Hervorgehoben wurde dabei die Rolle Zweigs als Gutmensch auch im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau im Demokratisierungsprozess sowie als Sprachkünstler, der sich durch Bescheidenheit, Demut, Freundschaft und Liebe zu den Menschen auszeichnete und sich für ein Europa ohne Grenzen einsetzte.
Die Tagung wurde mit einem Konzert abgeschlossen, das Philipp Manuel Gutmanns deutsche Erstaufführung der Fassung für Klavier und Gesang von vier Gedichten aus den „Silbernen Saiten“ von Stefan Zweig und Kompositionen von Johannes Brahms und Felix Mendelssohn-Bartholdy brachte. Dem hoffnungsvollen Gedicht „Morgenlicht“, das mit dem Vers „Nun wollen wir dem Licht entgegen“ beginnt, folgte das Gedicht „Mittagsträumerei“, „Im Abendpurpur“ und „In tiefer Nacht“. Die stimmungsvolle Vertonung der Zweig-Gedichte ließ die Zuhörenden in die Seelentiefe und in die Gefühlswelt des Dichters eintauchen, die Poesie und Magie seines Wortes nachempfinden. Dem Bariton Hussain Atfah und dem Pianisten Matthias Veit ist das Gelingen der musikalischen Matinee in hohem Maß zu verdanken.
Dank gebührt vor allem aber dem Vorsitzenden der Internationalen Stefan Zweig Gesellschaft, Hildemar Holl, der mit seinem Team auch in diesem Jahr eine spannende und niveauvolle internationale Tagung organisierte, an der im Sinne Stefan Zweigs Vertreter mehrerer Nationen aus Europa teilnahmen, in verschiedenen Sprachen kommuniziert wurde und eine interkulturelle, freundschaftlich-kollegiale Atmosphäre sowie ein reger Gedankenaustausch herrschten.