Eine berührende Ausstellung über das Schicksal der jüdisch-österreichischen Geigenvirtuosen Alma und Arnold Rosé und eine in diesem Rahmen vorgeführte Videoaufnahme des Interviews mit der Cellistin und Holocaust-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch wurden vom Haus der Geschichte Österreich erstellt und Ende Oktober leihweise auch in Bukarest, anlässlich des Nationalen Theaterfestivals, in der Galerie Hanul Gabroveni präsentiert.
Arnold Josef Rosenblum, später bekannt als Arnold Rosé, wurde 1863 in einer rumänisch-jüdischen Familie in Jassy/Iași geboren. Die musikalische Begabung der beiden Brüder, Arnold und Eduard, bewog die Familie Rosenblum, nach Wien zu übersiedeln.
Arnold Rosé studierte zwischen 1873-1877 am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien bei Carl Heißler. Er debütierte 1879 im Alter von 16 Jahren auf der Bühne des Gewandhauses Leipzig und wurde 1881 zum ersten Konzertmeister des Wiener Hofopernorchesters ernannt – ein Amt, das er für 57 Jahre inne haben würde.
1882 wurde das Rosé-Quartett gegründet und dieses gilt als eines der bedeutendsten Streichquartette der Wiener Musikgeschichte. Ab 1905 trat Arnold Rosé zumeist mit den Wienern Paul Fischer (2. Violine), Friedrich Buxbaum (Cello) und dem gebürtigen Großwardeiner Anton Ruzitska (Viola) auf.
Rosé spielte mit vielen Meistern der Zeit zusammen, doch seine Verbindung zum Komponisten Gustav Mahler, dem damaligen Direktor der Wiener Hofoper, ging über ihre dienstliche Beziehung hi-naus, als er seine Schwester, Justine Mahler, 1902 heiratete, nachdem sich sein Bruder Eduard Rosé mit Mahlers jüngerer Schwester, Emma, bereits 1898 vermählt hatte. Damit zählte die Familie Mahler-Rosé zum musikalischen „Hochadel“ Wiens.
Zwei Generationen Wiener Musikadel
Wie auch zuvor wurden musikalische Talente in der Familie Rosé weiter gefördert. Arnold und Justine Rosés Kinder, Alma und Alfred, erhielten zuerst Unterricht von ihrem Vater. Dann wurde Alma Violinschülerin von Otakar Ševcík und Alfred studierte Komposition bei Arnold Schönberg in Berlin. 1922 wurde er als Korrepetitor und Dirigent für die Staatsoper und das Burgtheater angestellt und im selben Jahr debütierte Alma mit nur 15 Jahren als Geigensolistin bei einem Wohltätigkeitskonzert in der ehemaligen Kaiservilla in Bad Ischl, wo sie gemeinsam mit ihrem Vater und Bruder auftrat.
Almas Wiener Debüt erfolgte 1926 mit dem Staatsopernorchester unter der Leitung ihres Vaters im Großen Musikvereinsaal. Auf dem Programm stand unter anderem auch das Doppelkonzert für zwei Violinen von Johann Sebastian Bach in d-Moll BWV 1043, das ein Vater-Tochter-Duett ermöglichte. Das später, 1929, aufgenommene Doppelkonzert, wobei Arnold Rosé die erste Geige spielte, auf seiner Stradivari namens „Mysa“, Baujahr 1718, die ihm die Wiener hohe Gesellschaft durch die Bemühung seiner langjährigen Förderin Gräfin Mysa von Wydenbruck-Esterházy geschenkt hatte, und seine Tochter die zweite Geige auf einer kostbaren Guadagnini aus dem Jahr 1757, die er bei einer Konzertreise in Holland erworben hatte, ist das einzige überlieferte Tondokument von Alma Rosé. Sie tritt öfters mit den Wiener Philharmonikern auf, deren Konzerte häufig im Rundfunk (RAVAG) ausgestrahlt wurden.
Die Rosés galten als Wiener Musikadel in der ersten und zweiten Generation. Das Rosé-Quartett führte 1928 eine umjubelte USA-Tournee durch und Arnold Rosés Welterfolg spiegelt sich in zahlreichen Ehrungen wider, darunter die Wiener Ehrenbürgerschaft, die ihm 1923 anlässlich seines 60. Geburtstages verliehen wurde, die Ehrenmitgliedschaft des Staatsopernorchesters zu seinem 50. Jubiläum als Konzertmeister und anlässlich seines 70. Geburtstages auch jene der Wiener Philharmoniker sowie 1935 das Österreichische Verdienstkreuz für Kunst und Wissenschaft erster Klasse.
Dritter Geiger in der Familie
Alma heiratete 1930 den tschechischen Geiger Váša Príhoda, erhielt die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft und siedelte in die Nähe von Prag über. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, aber auch als Solistin unternahm sie Konzertreisen durch ganz Europa und gründete das Damenorchester Wiener Walzermädeln, mit dem sie auf von Erfolg gekrönte Europatourneen ging. Auch mit ihrem Vater tritt Alma im Rosé-Quartett fallweise auf. Von ihrem Mann ließ sich Alma 1935 scheiden und kehrte nach Wien zurück.
Gedemütigt und in Todesgefahr
Unter nationalsozialistischem Druck trat Arnold Rosé 1937 zum letzten Mal mit den Wiener Philharmonikern und seinem Quartett auf und gleich nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich März 1938 musste er die Staatsoper verlassen. Als jüdischen Künstlern waren Arnold, Alma und Alfred Rosé öffentliche Auftritte untersagt und die Familie blieb ohne Einkommen. Arnold und Alma gelang es, 1939 nach London zu fliehen und Alfred mit seiner Frau in die USA. In London verdienen Vater und Tochter sehr wenig. Sie bekommen Angebote für die Stradivari-Geige, aber für Alma kommt das nicht in Frage.
Ein vielversprechendes Engagement zieht sie nach Den Haag, von wo aus sie ihrem Vater regelmäßig Geld schickt. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Belgien und in die Niederlande 1940 sowie der sofortigen Umsetzung der antijüdischen Maßnahmen ist es Alma weder möglich zu fliehen noch als Musikerin öffentlich aufzutreten. Daher war sie auf Hauskonzerte angewiesen, mit denen wohlhabende niederländische Musikliebhaber jüdische Künstlerinnen und Künstler unterstützten und demonstrativen Widerstand gegen die NS-Machthaber leisteten.
Vergebens versucht Alfred, seinem Vater und seiner Schwester die Auswanderung in die USA zu ermöglichen. Die Neugründung des Rosé-Quartetts in England eröffnete jedoch Arnold Rosé und seinem langjährigen Wegbegleiter Friedrich Buxbaum zahlreiche Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten.
Für Alma bedeutete ihre tschechoslowakische Staatsbürgerschaft nur kurzfristigen Schutz vor den antijüdischen Maßnahmen, als einzige Rettung blieb die Möglichkeit, eine Ehe mit einem „Arier“ zu schließen. So ging sie 1942 eine Scheinehe mit Constant van Leeuwen Boomkamp ein. Auch so drohte ihr mehrmals die Deportation, aber dies konnte jedes Mal durch die Intervention ihres Ehemannes und ihrer Freundin, Anne Marie Tellegen, die Alma später zur ihrer Nachlassverwalterin bestimmte, abgewendet werden.
Almas Flucht am 14. Dezember 1942 über Frankreich in die Schweiz scheiterte, sie wurde am Bahnhof in Dijon verhaftet. Kurz davor gelangte ihre Guadagnini-Geige in die Obhut von Anne Marie Tellegen, die sie Almas Vater in England übersandte. Tellegen versuchte die Deportation ihrer Freundin mithilfe einer französischen Anwältin aufzuschieben. Schließlich verließ Alma Rosé Paris am 18. Juli 1943, zusammen mit tausend in Güterwaggons gepferchte Jüdinnen und Juden, mit dem Transport Nr. 57, der in Richtung Auschwitz fuhr. Fast die Hälfte von ihnen wurde gleich nach der Ankunft ermordet. Alma wurde im Frühjahr 1944 nach Birkenau versetzt.
Ein Frauenorchester im Vernichtungslager
Dort erhielt Alma Rosé eine Geige und gab heimlich Konzerte für die Mithäftlinge, von denen die SS bald erfuhr. Die Oberaufseherin des Frauenlagers in Birkenau, die aus Oberösterreich stammende Maria Mandl, die dort 1943 ein Frauenorchester gegründet hatte, hörte Alma spielen und setzte sie als neue Orchesterleiterin ein. Ein aus Berufsmusikern bestehendes Männerorchester gab es im Konzentrationslager bereits seit 1941.
Zur Aufgabe des Orchesters gehörte es, am Lagertor des Frauenlagers beim Ausmarsch der Zwangsarbeite-rinnen morgens und bei ihrer Rückkehr abends Märsche zu spielen, sowie sonntags, bei offiziellen Anlässen wie Lagerinspektionen oder zu Weihnachten Konzerte für das SS-Personal und privilegierte Funktionshäftlinge zu geben. Darüber hinaus musste das Frauenorchester zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Unterhaltung der SS-Führung bereitstehen.
Das Orchester verfügte hauptsächlich über „Mandolinen, Gitarren, einige Geigen, ein Cello, ein Paar Sängerinnen und dann auch ein Klavier“, erinnerte sich Szymon Laks, französisch-polnischer Komponist und Leiter des Männerorchesters in Birkenau. Hinzu kamen Akkordeon, Kontrabass, Flöte und Trommeln.
Aus Berichten von Notenschreiberinnen und -kopis-tinnen ist bekannt, dass Alma Rosé ein Repertoire von etwa 200 Musikstücken für das Frauenorchester erarbeitet hat, die leider nicht erhalten blieben, aber dank der überlebenden Orchestermitglieder konnten einige teilweise rekonstruiert werden.
Almas Auftrag war es, ein rasch zusammengestelltes Amateurensemble in ein professionelles Orchester zu verwandeln. Darüber hinaus entschied die Qualität des Orchesters über Leben und Tod! Zunächst sorgte Alma Rosé für gute Instrumente, die von der Lagerleitung aus dem Gepäck der ankommenden Transporte zur Verfügung gestellt wurden. Um höchstmögliche Professionalität zu erzielen, wurde mindestens zehn Stunden täglich geprobt. Alma baute das Orchester auf rund 50 Frauen aus. „Man musste fähig sein, ein Musikinstrument zu spielen oder mindestens in der Hand zu halten. Hauptsache war, so viele Menschen wie möglich (…) zu retten“, erinnerte sich Anita Lasker-Wallfisch, eine Überlebende, die damals mit 18 Jahren als Cellistin im Frauenorchester gewirkt hat. Eine Aufnahme als „Orchestermädchen“ bedeutete für viele Rettung in letzter Minute. Die meisten Orchesterfrauen erlebten das Kriegsende, Alma Rosé war nicht darunter, weil sie am 5. April 1944 gestorben war, vermutlich an Botulismus. Ihr Vater und Bruder erfuhren telegrafisch über ihren Tod und Alfred bemühte sich weiter, seinen Vater zu sich in die USA zu holen.
Wiedergutmachung nach dem Krieg
Arnold Rosé wurde Anfang 1946 wieder seine alte Stelle als Konzertmeister der Wiener Philharmoniker angeboten, die er jedoch aus Krankeitsgründen absagen musste. Wenige Wochen nach dem Erhalt des Visums für die USA verstarb dieser am 25. August 1946.
Die Nachrufe in der englischen, österreichischen und weltweiten Presse würdigten den großen Künstler. Seine Bronzebüste wurde von Anna Mahler, der Tochter des berühmten Komponisten, geschaffen und 1950 im Theater an der Wien enthüllt. Heute ist sie im historischen Archiv der Wiener Philharmoniker gelagert. Ein Gedenktafel wurde für den Geigenvirtuosen am ehemaligen Wohnhaus der Familie, Wien 19, Pyrkergasse 23 angebracht. Eine kleine Gasse in der Per-Albin-Hansson-Siedlung wurde nach Alma Rosé benannt. Das Familiengrab am Grinziger Friedhof hat die Stadt Wien ehrenhalber unter ihre Obhut genommen.
Nach jahrzehntelanger Recherche und zahlreichen Interviews mit Zeitzeugen veröffentlichten Richard Newman und Karen Kirtley 2000 die Biografie „Alma Rosé. Vienna to Auschwitz“, die 2003 auch in deutscher Übersetzung im Weidle Verlag erschien.
Wo bleiben die Geigen?
Die Stradivari ihres Vaters, heute bekannt als „ex Viotti, ex Arnold Rosé“, wurde letztendlich 2006 von der österreichischen Nationalbank für ihre Sammlung historischer Streichinstrumente und für die Leihgabe an hochbegabte Musikerinnen und Musiker angekauft.