Nur von außen angestrichene Neubauten orthodoxer Kirchen sind für Iosif Stieger nicht einfach weiße Wände, die zum Ausprobieren nach Lust und Laune berechtigen. Prediger und Künstler, die gerne mit der Türe ins Haus fallen, haben in der Ostkirche schließlich viel mehr als in jeder anderen christlichen Konfession keinen einfachen Stand. Zum Einen ist das Weiß als Untergrund nicht gegeben. Man muss es eigenhändig Quadratmeter um Quadratmeter einarbeiten, ohne den Prozess beschleunigen zu wollen. Und zweitens schreibt der byzantinische Kanon vor, das ikonographische Programm der Urkirche an der Schwelle vom Morgen- zum Abendland zu achten, statt nach eigenem Gutdünken an ihm zu regulieren. Nicht so sehr der Freiheitsgedanke, sondern Frömmigkeit gibt in der Orthodoxie vor, wie weit Rahmen strapaziert werden dürfen. Reifen soll nicht das Bild, sondern der Mensch, der es sieht. Erstaunlich oder nicht: es gibt Kunsthandwerker, die sich dem bereitwillig unterordnen, sehr früh ihre Berufung dazu verspürt haben. Kirchenmaler Iosif Stieger zählt zu ihnen.
2011 fing er an, den Innenraum der neuen orthodoxen Kirche von Michelsberg/Cisnădioara rundum mit Fresken zu bemalen. Weil Gerüste schon lange nicht mehr nötig sind, wird seine Arbeit hier vermutlich auch bald mit letzten Details gekrönt werden können. Aktuell ist besonders Bücken gefragt. Oder, wo Iosif Stieger sich häufig nach der Decke gestreckt hat, nunmehr sitzendes Arbeiten an Wandfüßen. Sämtliche Kuppeln und Gewölbe tragen die ihnen zugedachten Malereien von Personen, Geschichten und Parabeln des Alten und Neuen Testaments. Das meiste ist vollendet, doch spannend bleibt es bis zum finalen Pinselstrich. Allein der Boden bekommt nichts ab.
Baustellenfeste Schuhe mit dicker Profilsohle und knöchelhohem Schaft hat der aus Großau/Cristian stammende Kirchenmaler an, um an seinem derzeitigen Arbeitsplatz in Michelsberg 40 heiligen Märtyrern, denen die orthodoxe Dorfkirche geweiht ist, täglich neu trittsicher begegnen zu können. Ein paar ganz wenige warten noch darauf, kanonisch getreu und bildlich von ihm wiedergegeben zu werden, wonach einer Kirchweihe bei vollständig neuen Fresken endlich nichts mehr im Wege stehen dürfte. Auf der Zielgeraden, die einem zumeist das Gefühl vermittelt, unter Zeitdruck zu stehen, sieht sich Iosif Stieger dennoch nicht. Er arbeitet genauso ruhig wie zum Baustellen-Auftakt vor zwölf Jahren, registriert das Nörgeln des ungeduldigen Priesters von Michelsberg zwar kritisch, nimmt es aber kaum zum Anlass, einen Zahn zuzulegen. Gut Ding will Weile haben. Außerdem spürt man Mitte Mai trotz Heizung in der kleinen Kirche noch herzlich wenig vom transsylvanisch warmen Sommer, den das ganze Dorf dringend herbeisehnt, die barocke Kirche der traditionell evangelischen Siebenbürger Sachsen gleich gegenüber eingeschlossen.
Also kombiniert er das solide Schuhwerk und die arbeitstaugliche Hose mit einer dicken Jeansjacke. Richtig kalt ist es natürlich nicht mehr im rumänisch-orthodoxen Gotteshaus, aber warm wiederum auch noch nicht. Die Jahreszeit hingegen, die sich für das Arbeiten mit Löschkalk eignet, hat begonnen. Anfang März war es möglich, nach vier Monaten Winterpause die Fresken-Expansion nicht mehr weiter ruhen lassen zu müssen. Das schneeweiße Kalziumkarbonat nämlich, mit Hanf und Wasser gemischt, trocknet nur bei genügend hoher Raumtemperatur. Mit der Kelle sollte es so tief wie möglich „in die Poren des Mörtels eingedrückt“ werden, damit die Fresken später gut haften.
Alte Technik, neue Probleme
Das Zeitfenster während der Trocknung des Kalks, das ein Malen mit Farben auf dem natürlich weißen Untergrund erlaubt, ist kurz, und die Frage nach dem tragenden Mauerstoff mindestens ebenso heikel. Es geht um die Verhärtung der Farben mit dem Kalk. Am wenigsten praktikabel findet Iosif Stieger handelsübliche Baumarkt-Ziegeln mit Löchern – Feuchtigkeit, die aushärtender Löschkalk absondert, nehmen sie schwer auf, weswegen die Zwischenschicht aus Mörtel vor dem Auftragen der Kalkschicht mit extra viel Wasser bespritzt werden will. Nochmal hartnäckiger als die Hohlraum-Backsteine jedoch ist Beton, klagt Iosif Stieger in Michelsberg. Ausgerechnet die Säule, der er den Heiligen Kaiser Konstantin und seine Mutter Helena aufgemalt hat, stellte sich ihm resistent betoniert entgegen und gab nicht vor intensivster Wasserbehandlung nach. „Das war nervigste Plackerei.“
Immerhin kein Kopfzerbrechen bereitet ihm der Kalk, obwohl auch der nicht mehr so einfach wie noch vor zwei bis drei Jahrzehnten zu finden ist. Doch es gibt die Grube SC Calcarul Codlea SRL am Rand des Dorfes Vlădeni vor Zeiden im Burzenland. Sehr teuer, aber gute Qualität. Die orthodoxe Kirchengemeinde Michelsberg hatte vor 14 Jahren vorausschauend beträchtliche Mengen aus dem Kreis Bihor angekauft, ohne zu ahnen, dass gar das Doppelte nötig sein würde.
Ersatz für die unterdessen hinfällige Option Nordwestrumänien als Bezugsquelle machte Iosif Stieger in Zeiden und Vlădeni ausfindig. Mit dem feinen Unterschied, dass er den Material-Nachschub nicht bei der marktbeherrschenden Geschäftsgesellschaft einkaufen ließ, sondern Kontakt zu einem kleinen, privaten Familienunternehmen knüpfte, das ihm für seine Arbeit denselben, nicht verklumpenden Kalk liefert.
Aus dem nordwestrumänischen Großkarol/Carei hingegen kommt weiterhin der Hanf, die „Armatur“ jeden Fresken-Untergrunds. „Er muss nicht so fein wie für das Weben grober Stoffe präpariert sein, aber Holzanteile sollte er auch nicht mehr haben“, beschreibt Iosif Stieger, der sich an seine Kindheit in Großau erinnert, als es üblich war, im eigenen Garten stets auch ein wenig Hanf anzubauen und im Hausrat einen Kamm für seine Ernte aufzubewahren. Gold wert ist heute jede Gelegenheit, das Verbot der als Droge eingestuften Pflanze doch noch irgendwie zu umgehen. Die Kirchenmalerei rechtfertigt es. Alles Blattgold übrigens, das ihm für die Michelsberger Kirche zur Verfügung stand, hat Iosif Stieger bereits in Heiligenscheinen an der Decke sowie in der Kuppel verarbeitet. Mit Rauschgift kann er es in seiner seriösen Tätigkeit ohnehin nicht am Hut haben. Aber die Sucht nach Vollendung, die treibt ihn an. Seit der Kindheit in Großau.
Beharrlich bis in die Bukowina
„Schon damals zu meiner Zeit waren die deutsche und die rumänische Schule im Dorf gemischt. Ob die Orgel und der Altar in der evangelischen Kirche barock sind oder nicht, hat mich gar nicht beschäftigt. Im Gottesdienst jedenfalls haben sie auf mich gewirkt“, erzählt Iosif Stieger, dessen Vater beruflich „Maurer, aber weltoffen und belesen“ war. Sehr bald kam das entscheidende Aha-Erlebnis. „Eines Tages streifte ich auf meinem Schulweg die alte rumänische Kirche von Großau, Baujahr 1811. Ihre Außenbemalung war mir interessant, und ich dachte, das ist ganz sicher typisch orthodox.“ Ein Blick auf einen Mann im Wagen, den rot gemalte Pferde zogen, und schon war es feurig um ihn geschehen. Sein Vater lernte einen rumänisch-orthodoxen Kirchenmaler in Hermannstadt kennen, bei dem er ab der 8. Klasse in die Lehre ging. Das war gar nicht simpel, selbstverständlich.
Zeichenlehrerin Sieglinde Bottesch in Großau dagegen hatte einige Jahre zuvor seine Begabung entdeckt. Dass er später dranblieb statt aufzugeben, verdankt er auch ihr. „Mir und meiner Generation hat sie wunderbar vermittelt, was schöpferische, was essentielle Kunst bedeutet.“ Seinen Hermannstädter Lehrmeister der harten Jahre des Anfangs fern der Familie – „sie hat mich eher vergessen“ – schätzte er nicht. „Kein guter Pädagoge, und als Stilist chaotisch.“ Nie ließ er ihn malen. Dafür lernte Iosif Stieger umso besser, wie Mörtelschicht und Kalk aufzutragen sind. „Der Meister dachte, ach, was will denn der hier, der wird es bestimmt nicht länger als zwei bis drei Monate lang aushalten.“
Er blieb. Bezog auch monatlich 100 Lei Lehrlingsgehalt, kaufte sich in einer Bücherei am Edelhotel „Zum Römischen Kaiser“ einen dicken Bildband byzantinischer Kirchenmalerei und ging einige Jahre später zur weiteren Ausbildung nach Gura Humorului. Der Meister dort kümmerte sich ebenfalls nicht um ihn. Aber „ich ging Sonntag für Sonntag zu Fuß die fünf Kilometer nach Voronetz oder zum Kloster Humor, studierte die Malereien.“ Unnahbare Lehrmeister hier wie dort, und trotzdem fand Iosif Stieger „Orientierung“. Mehrere, nein, „zu viele“ Jahre später dann erhielt er die Zulassung zu einer vom Patriarchat der Orthodoxen Kirche Rumäniens veranstalteten Prüfung, die er selbstverständlich bestand, und die es ihm erlaubte, an Sommerkursen teilzunehmen. Nachdem er alle absolviert hatte, bestand er die biblische und theologische Prüfung sowie die Wand-Probe zum lizenzierten Kirchenmaler. „Nur Pigmente und Wasser, kein Bindemittel.“
Die Freiheit liegt im Detail
Künstlerisch bildend wurde für ihn das Orthodoxe zum Daheim, was die Mutter gar kein bisschen gerne gesehen hat. Iosif Stieger stammt aus landlerischem Elternhaus, einem altösterreichischen Gesellschaftsmodell protestantischer Konfessionszugehörigkeit, zieht es aber vor, seinen deutschen Vornamen nach rumänischer Orthographie zu schreiben. Keine Frage, dass er sich schon öfter von Seinesgleichen und Siebenbürger Sachsen einiges anhören musste und verletzenden Streitigkeiten sachte aus dem Weg zu gehen gelernt hat.
Nicht anders hält er es in seinem orthodoxen Alltag. Wissend eben, dass auch und gerade im Byzantinischen Reich nicht immer alles in christlicher Art und Weise ausgehandelt wurde, wenn etwa Neid inklusive Mord auf höchster Ebene die Entscheidung in der Frage der Thronfolge brachte. Dennoch: die prunkvollen Gewänder, mit denen Iosif Stieger die Kaiserinnen und Kaiser von Byzanz auf den Fresken der neuen orthodoxen Kirche in Michelsberg gekleidet hat, sind jeden Besuch wert. Noch dazu unterliegen sie eher nicht dem orthodoxen Kanon. Der bestimmt zwar den Staat, nicht aber seine Gestaltung.
Kirchenmaler Iosif Stieger hat seine Freiheit gesucht und gefunden. Was misstrauische Nicht-Orthodoxe darüber denken? Gleichgültig. Nicht einmal Martin Luther soll das Byzantinische scheeläugig von der Seite her bemängelt haben, nein, im Gegenteil – der Reformator höchstpersönlich berief sich in der Konfrontation mit der Römisch-Katholischen Kirche gerne auf „die Griechen“. Er warf eine Menge über Bord, doch am christlichen Logo der mittig vereinten Lettern „X“ und „P“ hielt Luther fest. Nicht für Frieden („Pax“), sondern wegen dem, der seit zwei Jahrtausenden „seinen“ Frieden predigt. Im Griechischen als die Buchstaben „H“ und „R“ zu lesen. Treten auch im Protestantischen hellenisch designt auf. Hauptsache, man bleibt wach für sie. Gott vergelt´s.