Er ist ein Künstler, dessen landschaftliche Gestaltungen man der Land Art oder der Earth Art zuordnen kann, und nebenbei ist er auch Bauer, wie er selbst sagt – Dieter Pildner, der auf seiner „Azienda Pievalinghe“ bei Montaione in der Toskana lebt. Er ist Deutscher, spricht auch fließend Spanisch, Italienisch und Französisch. Und in seiner Bibliothek stehen viele Bücher in diesen vier ihm vertrauten Sprachen. Er hat einen deutschen Pass und lebt seit über vierzig Jahren auf seinem Gutsbesitz, der 80.000 Quadratmeter umfasst und den man à piedi in etwa einer Stunde umschreiten kann.
Dieter Pildner entstammt altem österreichischen Adel. Seine Ahnen mütterlicherseits, die Fellner von Feldegg, wurden 1621 in den Ritterstand erhoben. Sie lebten in Wien und in Piacenza, in der Lombardei. Sein Vater aber hieß mit dem Nachnamen von Steinburg und stammte aus Siebenbürgen. Das Adelsdiplom trägt die eigenhändige Unterschrift der Kaiserin Maria Theresia. Doch Dieter Pildner ist „zu den Anfängen“ zurückgekehrt und nennt sich wieder, wie einst jener gutbürgerliche sächsische Ahnherr, einfach Pildner.
Der Lebensweg des Künstlers begann 1940, als er in Bukarest geboren wurde. Im Jahr 1941 übersiedelte er mit seinen Eltern nach Temeswar, wo sein Vater für „eine symbolische Reichsmark“ eine „arisierte“ Apotheke in Besitz nahm. Dann, gegen Kriegsende, 1944, musste die Familie nach Österreich fliehen, bis in die amerikanische Zone. Als DPs, Diplaced Persons, eingestuft, emigrierten sie nach Argentinien. In Südamerika lebte Dieter Pildner zeitweilig auch in Chile, Mexiko und Brasilien, danach kam er 1960 zum ersten Mal nach Deutschland, hielt sich aber zwischenzeitlich auch ein Jahr lang illegal in Frankreich auf. Acht Jahre lebte Dieter Pildner in Deutschland, dann zog er fort, denn das Land schien ihm, wie er meint, „eng wie ein Puppenkabinett“.
Die Toskana hingegen und das liebliche mediterrane Klima, wo man sogar „in den Pinienwäldern wohnen kann“, erinnerte ihn an Südamerika und an die Weite jener Landschaften. Und so erwarb er 1968 zusammen mit seiner Frau Anna, die aus dem Fränkischen stammte, dieses Anwesen mit einem historischen Gebäude, das schon 1427 im Kataster von Florenz vermerkt ist.
Pievalinghe wurde so zur Welt des Künstlers, die er seit über 40 Jahren täglich selbst gestaltet – umgestaltet und neugestaltet. Doch die Formen moderner Land Art sind für Dieter Pildner nicht unbedingt das, was andere berühmte Land-Art-Künstler bisher getan haben, wie z. B. die amerikanischen Bildhauer Michael Heinzer, der 1967-1970 in Arizona gewaltige Erdmassen versetzte, und Dennis Oppenheim, der 1967 ein besonderes Earth Art Project realisierte, oder Walter De Maria, der 1968 in der Wüste von Nevada Kilometer lange Linien schuf, und Richard Long, der Wege, Steinkreise und Gehspuren erfand, um so eine ihm gefällige, natürliche Umwelt zu entwerfen. Dieter Pildner ging seinen eigenen Weg und erklärte die Anlage von Pievalinghe zu einem einmaligen, großen natürlichen Kunstwerk, das man betreten kann und in das er selbst immer wieder „eintritt“, um sich vom Alltag, von der zeitgenössischen Gesellschaft, die er als anstrengend und einengend empfindet, zu befreien.
Für Dieter Pildner wird dieser kreative „Eintritt“ in die Natur, die ihn dann schützend umgibt und auf ihn „wie ein Jungbrunnen“ wirkt, zum geistigen, befreiend wirkenden Wechselbad. Das aber ist für ihn existenziell notwendig, denn nur in ständigem Wechselgang aus der Realität des Alltags in pantheistische Bereiche könne er kreativ sein. Dabei spielen Pantheismus und Phytomythologie eine richtungweisende Rolle und prägen so die Ergebnisse seiner künstlerischen Kreativität. Denn als Künstler findet er Religion, Glauben und Anregungen nur in der Natur, dem einzigen Ort von Betrachtungen.
Sein jüngstes Bodenwerk, das nun langsam in einer Hanglage seines Grundstücks entsteht, trägt den vieldeutigen Titel „Amphitheater“. Betritt man dieses Werk toskanischer Land Art, das von einer beeindruckenden Suite von Zypressen umrahmt sein wird, so öffnet sich einem ein weites Panorama „nach Osten hin, zum Sonnenaufgang, zum Erwachen, zum Tagesbeginn, zum Licht, das aus dem Osten kommt.“
Die bildhauerischen Arbeiten, die Pildner bisher aus Eisen und Stein schuf, befinden sich im großen Freilichtraum der Natur, und damit in einer ständigen Ausstellung – freistehend und gleichzeitig doch Bestandteile der Landschaft, in die sie integriert werden. So z. B. das symbolhafte Ensemble „Gräser“, aus senkrecht angeordneten Eisenstangen, die filigran wirkende Skulptur „Sound“ auf einer Umfriedung, durch die man hindurchblicken kann und die nach der Lithografie „Jazz“ von Henri Matisse entstanden ist, oder das vieldeutige Werk, das den Titel „Stein mit Nägeln“ trägt. Hier kam die Anregung von einer Ausstellung afrikanischer Nagelkunst, die vor einigen Jahren in Forte di Belvedere in Florenz zu sehen war. Dabei wurde Pildner an die Leiden des hl. Sebastian erinnert, doch er wollte keine figürliche Darstellung schaffen, denn seine „emotionalen Bedürfnisse“ ließen sich kreativ „nur als Struktur verwirklichen“.
Im kommenden Jahr will Dieter Pildner eine einmalige Großskulptur gestalten, deren Standplatz ebenfalls nach Osten ausgerichtet sein wird. Es soll eine hohe eiserne Pyramide werden, ähnlich wie beim Hauptvertreter der kinetischen Kunst Jean Tinguely, doch „symbolhaft statisch und nicht beweglich“. Und dieses Werk, zusammengeschweißt aus vielen alten, heute nutzlosen Geräten und Werkzeugen, will er „Zivilisation“ nennen. Denn, „ein ganz wichtiger Gedanke, mit dem ich immer wieder operiere, oder auch die Besucher vor den Kopf stoße“, so der Künstler, „ist mein Anliegen, das ‘Inùtile’, wie der Italiener sagt, darzustellen, das Nutzlose, das Zwecklose, das Sinnlose in unserer Zeit. Und irgendwann bekommt dann das ‘Inùtile’ sogar einen Sinn und wird vielleicht auch nützlich. Aber das weiß man niemals im Vorhinein.“