Ende Mai fand in Bukarest die mittlerweile 28. Folge der Internationalen Woche der Neuen Musik (SIMN 2018) statt, die von ihrem vor zehn Jahren verstorbenen Gründungsdirektor, dem Akademiemitglied Ștefan Niculescu, 1991 ins Leben gerufen und auch in diesem Jahr wieder von dem Komponisten und ehemaligen Rektor der Nationalen Musikuniversität Bukarest, Dan Dediu, als ihrem künstlerischen Leiter konzipiert und mit einem exzellenten Programmheft begleitet wurde.
Das Konzept, das dem bewährten Motto „Grenzen…und jenseits von ihnen!“ folgte, sowie die vier Programmlinien der Internationalen Woche der Neuen Musik wurden auch in diesem Jahr beibehalten. Die Programmlinie „Odysseus“ legte den Schwerpunkt auf das Neue, Originäre und Experimentelle, das dem Abenteurertum des irr- wie heimfahrenden Helden der griechischen Mythologie im Innersten entspricht. Die Programmlinie „Gulliver“ war dem kritischen Geist gewidmet, wie ihn der Swiftsche Romanheld verkörpert, der in seiner Kritik gleichwohl virtuelle Räume und Offenheit gegenüber neuen Möglichkeiten zu schaffen imstande war. Die Programmlinie „Nirwana“ präsentierte musikalische Werke, die durch Sakralität und Ritualität den Weg des Menschen zur Verschmelzung und Vereinigung mit dem Universum und zur Entdeckung seines Mysteriums eröffnen. Und die Programmlinie „Matrix“ schließlich warf musikalische Schlaglichter auf eine künftige posthumane Welt, einen hoch technologisierten Cyberspace mit freier Improvisation und algorithmischen Implementierungen für eine kommende Eutopie.
Die vom Ministerium für Kultur und Nationale Identität sowie vom Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler Rumäniens organisierte Internationale Woche der Neuen Musik rückte auch diesmal wieder bedeutende rumänische Komponistenpersönlichkeiten (in diesem Jahr Tiberiu Olah, Liviu Glodeanu und Corneliu Dan Georgescu) in den Blickpunkt der Veranstaltung, wie gleichermaßen auch jüngeren rumänischen Komponisten und Interpreten besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Nahezu vergessene Werke wurden in dieser Festivalwoche genauso zu Gehör gebracht wie aktuelle Auftragswerke zeitgenössischer Musik. Nicht zuletzt wurde in der Programmstruktur dieser Bukarester Woche Neuer Musik auch der Zentenarfeier des modernen rumänischen Staates gedacht, der in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen feiert.
Neben Veranstaltungen in verschiedenen Sälen der Nationalen Musikuniversität Bukarest, in der Aula des Verbands der Komponisten und Musikwissenschaftler Rumäniens und im Green Hours Club an der Calea Victoriei gab es auch Konzerte im Bukarester Athenäum und im Mihail-Jora-Saal des Rumänischen Rundfunks.
Einer der musikalischen Höhepunkte der Internationalen Woche Neuer Musik war gewiss das Abendkonzert am Mittwoch, dem 23. Mai, im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks, das im Rahmen der Programmlinie „Nirwana“ veranstaltet wurde. Es war den Werken zweier junger rumänischer Komponisten gewidmet, die, im selben Jahr 1981 geboren, auch beide persönlich der Aufführung ihrer Werke durch das Radiokammerorchester unter der Leitung von Sebastian Felea beiwohnten. Es handelte sich dabei um die geistliche Kantate „Die Passion Christi“ (2012) von Diana Iulia Simon und um die einaktige Oper „Der Klavierlehrer“ nach der phantastischen Erzählung „Bei den Zigeunerinnen“ von Mircea Eliade. Die Gesangssolisten der beiden chorlosen Werke waren die Mezzosopranistin Antonela Bârnat, die als einzige in beiden Werken auftrat; ferner die Sopranistin Alexandra-Ariadna Mihai, der Tenor Andrei Mihalcea, der Bariton Florin Simionca und der Bass Iustinian Zetea in der Passionskantate; schließlich die Sopranistin Oana Trîmbițaș und der Bassbariton Cristian Hodrea in der Kammeroper mit dem grandiosen Tenor Tiberius Simu in der Titelrolle.
Diana Iulia Simons geistliche Kantate für fünf Solisten und Kammerorchester beruht textlich auf einer Synopse dreier Evangelien (mit Ausnahme des Markusevangeliums). In zwölf Teilen wird in dieser Kantate die Passionsgeschichte erzählt, vom Letzten Abendmahl bis zum Tod des Erlösers am Kreuze, wobei die Christusfigur in dieser Kantate sowohl vom Bariton als auch vom Sopran interpretiert wird, um deutlich zu machen, dass die Christusgestalt nicht in einer exklusiv männlichen Repräsentation zur Erscheinung kommt, sondern allererst in einer feminin-maskulinen Doppelhypostase adäquat Stimme gewinnt. Die Rolle des Judas wird in dieser Passionskantate vom Mezzosopran, die Rolle des Pilatus vom Tenor und die Rolle des Evangelisten vom Bass übernommen. Alle Solisten, mit Ausnahme des Baritons, verkörpern zudem die Hohepriester und das Volk, und die Rufe „Er hat Gott gelästert!“ und „Kreuziget ihn!“ erschallen stimmkräftig auch aus dem Orchester: aus dem Munde einzelner Instrumentalisten. Die Musik, die ganz im Dienste des biblischen Textes steht, macht dabei Anleihen an impressionistische Musik, an die Rhythmik des Jazz und an die Tradition geistlicher Passionsmusiken von Bach bis Penderecki. Das dreiviertelstündige Werk wurde nach seinem Verklingen mit starkem Beifall bedacht, der umso stärker wirkte, als er nur von einem kleinen Häuflein von Zuhörern im höchst spärlich besetzten Mihail-Jora-Saal des Rumänischen Rundfunks gespendet wurde, dies aber lebhaft und voller Begeisterung.
Nach der Pause stand dann die einstündige Oper „Der Klavierlehrer“ für vier Solostimmen und Kammerorchester auf dem Programm, die ebenfalls in zwölf fließend ineinander übergehende Teile gegliedert war. Tudor Feraru hatte den Operneinakter während eines Kanada-Aufenthalts in den Jahren 2007 und 2008 geschaffen, was die englische Sprache des Werkes erklärt, trotz der in rumänischer Originalsprache verfassten Eliadeschen Vorlage. Für die Zuhörer wurde der Operntext simultan auf eine Leinwand projiziert, doch die Musik ermöglichte auch ein unmittelbares Verständnis des auf Englisch gesungenen Librettos, insofern sie sich ganz dem Text unterordnete und ihn dadurch deutlich zur Geltung brachte. Die vom Komponisten selbst hergestellte englische Adaptation von Eliades phantastischer Erzählung „Bei den Zigeunerinnen“ (1959), die unter anderem auch die Namen der Protagonisten verändert (der Klavierlehrer heißt hier Oliverson und nicht Gavrilescu!), bleibt der Erzählung Eliades in den Hauptzügen dennoch treu und begleitet die Phantastik der Narration kongenial mit musikalischen Mitteln. Wunderbar das Ende der Oper, das die letzten Worte der Erzählung „Es ist wie im Traum…“ („As if in a dream…“) in einem scheinbar ewigen Harfensolo weiter klingen lässt, bis dieses dann irgendwann doch abrupt und unvermittelt abbricht. Während des lang anhaltenden Applauses verteilte der Komponist dann anschließend noch Blumen an den Dirigenten und die Gesangssolisten, die außerdem auch vom Orchester mit starkem Beifall bedacht wurden.