Der jüngste Film des mehrfach preisgekrönten Regisseurs Corneliu Porumboiu mit dem Titel „La Gomera“, der auf dem diesjährigen Internationalen Filmfestival in Cannes seine Weltpremiere erlebte und der als rumänische Nominierung ins Rennen um den nächsten Auslandsoscar geht, ist ein spannender Thriller mit Vlad Ivanov in der Hauptrolle, der schauspielerisch auf dem besten Weg ist, zu einer rumänischen Filmikone zu werden.
Bereits in der ersten Szene des Films heftet sich die Kamera Tudor Mirceas auf das Gesicht Vlad Ivanovs in langer Großaufnahme und auch im weiteren Verlauf zoomt und fokussiert das Auge der Kamera immer wieder auf dessen Antlitz, als wandle man in diesem Film, unterbrochen durch kurze Handlungssequenzen, durch eine Galerie von Marmorbüsten, die ausschließlich ein und demselben bedeutenden Charakterkopf huldigen. Und in der Tat bleibt Vlad Ivanov den Zuschauern dabei nichts schuldig: statuarisch und doch bewegt, massiv und doch fragil, ungerührt und doch sensibel begleitet er die Filmhandlung mit seinen Blicken, mit seiner sparsamen Mimik und mit der scheinbar unbewegten Fassade seiner Stirn, hinter der unendliche viele Gedanken auf und ab zu wogen scheinen.
Vlad Ivanov verkörpert in Corneliu Porumboius Thriller „La Gomera“ den korrupten Polizisten Cristi, der von der Staatsanwältin im Bukarester Drogendezernat (Rodica Lazăr) und von mehreren seiner Kollegen während der Arbeit observiert und sogar noch zu Hause mit Kameras überwacht wird, weil man ihn verdächtigt, dass er mit der international operierenden Drogenmafia gemeinsame Sache macht und sich mit Unsummen gewaschenen Geldes bestechen lässt.
Mit der Verhaftung von Cristis Kontaktmann, dem Drogenhändler Zsolt (Sabin Șambrea), spitzt sich die Handlung des Filmes zu. Zsolt ist der einzige, der weiß, wo die verschwundenen dreißig Millionen Euro Schwarzgeld verblieben sind, und gleich mehrere Personen haben ein starkes Interesse, sich des geheimen Wissens des inzwischen in Untersuchungshaft befindlichen Zsolt zu bemächtigen. Die Staatsanwältin möchte einen Fahndungserfolg erzielen und der Drogenmafia dadurch einen empfindlichen Schlag versetzen; der Drogenboss Paco (Agustí Villaronga) will Zsolt, der die Drogenmillionen für sich abgezweigt hat, einen Denkzettel erteilen und das geraubte Geld wieder in seinen Besitz bringen; Zsolts Komplizin Gilda (Catrinel Marlon) will ebenfalls wissen, wo das Drogengeld lagert, um die Beute mit diesem wie geplant zu teilen; und Cristi versucht einerseits, durch einen Deal mit der Staatsanwältin Straffreiheit zu erlangen, andererseits durch einen Deal mit dem Drogenboss noch mehr Geld zu bekommen, um sich damit endgültig ins Ausland absetzen und dort ein neues Leben beginnen zu können. Im Laufe der Filmhandlung verzichtet Cristi jedoch auf diese seine ursprüngliche Geldforderung und ersetzt sie durch die Bitte an den Drogenboss, seinen Rachezorn zu bändigen und die räuberische Verräterin Gilda zu verschonen.
Wie aber soll es gelingen, Zsolt aus dem Untersuchungsgefängnis zu befreien, um dadurch dem von ihm versteckten Geld auf die Spur zu kommen? Hier setzt nun die La-Gomera-Handlung ein, die im Film am Anfang steht, wobei die zeitlich früheren Bukarest-Szenen per Rückblende auf der Leinwand erscheinen. Cristi erhält von der schönen Gilda, die ihren perfekten Körper im Laufe der Filmhandlung mehrfach ausgiebig präsentieren kann – man fühlt sich dabei ein wenig an die Rolle Mădălina Gheneas in Paolo Sorrentinos Film „Youth“ (Ewige Jugend) erinnert –, das Ticket für einen Flug auf die Kanarische Insel La Gomera, wo er unter Anleitung verschiedener Mafiosi das dort praktizierte Kommunikationssystem Silbo Gomero, eine aus Pfiffen zusammengesetzte Sprache – seit 2009 Teil des immateriellen UNESCO-Weltkulturerbes! – erlernen soll, was ihm in der vulkanisch zerklüfteten Gebirgslandschaft der Kanareninsel auch hervorragend gelingt.
Nach Bukarest zurückgekehrt, kommt es mit Hilfe sowohl der Drogenmafia als auch der Staatsanwaltschaft und unter Einsatz besagter Pfeifsprache zur Befreiung Zsolts, der dann – in einem Showdown auf dem Gelände eines Bukarester Filmstudios vor der Kulisse von Westernfilmen – Angehörige der Mafia wie der Polizei zu den verschwundenen Millionen führen soll. Das gefährliche Unternehmen endet in einer gewaltigen Schießerei, bei der sämtliche Mafiosi inklusive Zsolt den Tod finden. Zur gleichen Zeit schafft Gilda die in zwei Matratzen eines Bukarester Hotels versteckten dreißig Millionen Euro beiseite, von deren Verbleib sie wiederum durch die Pfeifsprache Kenntnis erhalten hat. Der von der Staatsanwältin verfolgte Cristi entkommt zwar, wird aber bei seiner Flucht von einem ihn observierenden Kollegen über den Haufen gefahren.
Cristi überlebt den Unfall, hat aber vollkommen das Vermögen zu sprechen verloren. Während der gesamten Zeit seiner Rehabilitation befindet er sich ständig unter polizeilicher Beobachtung, weil die Staatsanwältin hofft, auf diese Weise doch noch etwas über den Verbleib des Drogengeldes in Erfahrung zu bringen. Und in der Tat: Monate später taucht Gilda bei der ebenfalls observierten Mutter von Cristi auf, um sich bei ihr nach dessen Schicksal zu erkundigen und seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort zu erfragen. Vor den offenen Fenstern der Rehabilitationsklinik nimmt sie dann via Pfeifsprache Kontakt mit dem der Rede nicht mehr mächtigen Cristi auf, der ihr sogleich pfeifend antwortet und ihr in diesem Pfeifdialog sogar das Leben rettet: Die Staatsanwältin, die sich von hinten mit vorgehaltener Pistole an Gilda herangeschlichen hat, kann infolge von Cristis gepfiffener Warnung den Überraschungseffekt nicht nutzen und wird von der so vorgewarnten Gilda ihrerseits überrumpelt und im Duell erschossen.
Die Schlusssequenz des Films zeigt dann Cristi und Gilda – die sich im Laufe des Pfeifunterrichts ineinander verliebt haben und sich während der Pfeiflektionen wohl auch Liebesworte zugepfiffen haben mögen, weil allein sie beide, im Gegensatz zu allen anderen ausschließlich auf Spanisch Pfeifenden, das Pfeifen auf Rumänisch beherrschten – in exotischer Kulisse. Im Parkgelände „Gardens by the Bay“ in Singapur, vor der nächtlichen Kulisse der künstlichen Superbäume, die im Rahmen einer Sound and Light Show farbenprächtig erstrahlen, findet die Liebe zwischen Cristi und Gilda ein Happy End, sanft gebettet auf weiche Matratzen von zweistelligem Millionenwert.
Corneliu Porumboius Film, zu dem der Regisseur auch das Drehbuch schrieb, besticht nicht nur durch die ausgeklügelte Handlung, seinen spannenden Verlauf, seine schönen Bilder (vor allem von La Gomera), seine exzellenten und hervorragend gecasteten Schauspieler (der Film bringt auch eine Wiederbegegnung nach dreißig Jahren Leinwandabstinenz mit Julieta Szönyi, bekannt aus dem rumänischen Filmklassiker „Felix și Otilia“), sondern auch durch seine filmische Selbstironie – Filmsequenzen aus Western mit John Wayne und aus Agentenfilmen mit Sergiu Nicolaescu, Filmzitate etwa aus Hitchcocks „Psycho“! – wie auch durch seinen oftmals ironisch eingesetzten Soundtrack, der mit unzähligen Hits der U- und E-Musik aufwartet wie beispielsweise der berühmten Barcarole aus „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach oder auch mit der von Kurt Weill vertonten Brechtschen „Moritat von Mackie Messer“ in einer wunderbaren Interpretation von Ute Lemper. „La Gomera“ bringt also spannende Unterhaltung wie sinnlichen Genuss und darf als ein würdiger Kandidat für den nächsten Auslandsoscar betrachtet werden, der im kommenden Jahr erstmals die offizielle Bezeichnung tragen wird: „Academy Award for Best International Feature Film“.