Rumänien to go

Nina May schreibt aus voller Seele, wie‘s wirklich ist

Nina May, „Das gibt‘s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“, Glossen, Erste Staffel, Pop Verlag, 370 Seiten, Ludwigsburg 2024

Foto: George Dumitriu

Wer von außen dazukommt, sieht mehr, fühlt mehr und hört wacher den inneren Klang eines Landes. Und Rumänien hat viele Klänge, Variationen, Sprachen, Regionen, Stadt und Land, Menschen und Meinungen. Wer wissen will, was România ausmacht, wie es lebt und wirkt, ist in diesem Kompendium kurzer Prosa schnell zu Hause. 

„Im wunderschönen Monat Mai / Als alle Knospen sprangen…“.  Nun – dieses Heine-Zitat aus Schumanns Liederkreis „Dichterliebe“ liegt in der Luft, wenn man May, Nina May, heißt. Den genialen Spötter und Dichter aus Düsseldorf und die rasante Journalistin Nina May verbindet einiges, nämlich der Journalismus und ein behender, flotter und federnder Stil. Und beide schreiben (schrieben) deutsch im Ausland, er in Frankreich, sie in Rumänien. Lange war ich sicher, die ADZ-Chefredakteurin sei eine landestypische Lady aus der Walachei, aus Siebenbürgen oder dem Banat. Ist sie aber nicht, sie kommt aus Süddeutschland, verließ eine gesicherte Beamtenplanstelle, um in România ihr Glück zu suchen. Und das fand sie, in diesem so europäischen, warmherzigen wie poetischen Land, das ich gerne – original – România nenne. Denn dieser Name legt mir an Herz und Gemüt die feste Vermutung: România ist eine Frau. Und ihr Spieglein an der Wand ist Nina May.

Ihr „Göttergatte“ in diesen Glossen, Miniaturen und Porträts ist waschechter Rumäne, aber was heißt schon waschecht? Er ist Fotograf. Und so ist es auch bei Nina May: sie fotografiert mit Worten, mit Sätzen, die konturenscharf eine Befindlichkeit, einen Menschen und eine Land- oder Straßenszene erfassen, und das so genau wie anmutig, dass man Exemplarisches herauslesen kann. Dabei formuliert sie nie bissig oder zynisch, sondern immer mit lächelnd-warmherziger Eleganz, die Absurditäten des rumänischen Alltags durchleuchtend. Hinreißend das Stück „To go“ über die Sucht, sich permanent von irgendeiner Sache begleiten zu lassen, nicht zur Ruhe zu kommen und – viel schlimmer – andere nicht in Ruhe zu lassen. Das quälende Bedudeln mit Musik, d. h. mit dem Techno-Gestampfe, ist omnipräsent. Und Nina May spinnt es ironisch weiter zum, na ja: Pinkeln to go. 

In „Omnipräsente Lärmbespaßung“ spießt sie ebenso gekonnt die Dauerschleifen am Telefon und bei anderen Gelegenheiten auf und lässt so die Wunde erkennen, die Rumänien und Deutschland verbindet: die Einsamkeit, die durch Geräusch betäubt werden soll.  In „Politisch korrekt“ geht sie dem nach, was man sagen soll, was man nicht sagen darf oder was einen schon rauswirft aus dem „Diskurs“. Gott sei Dank vermeidet sie den Begriff Migration, denn wer so schreibt und lebt in der Sprache von Mann und Maus, Land und Leuten, also von România, ist nicht migriert, der ist immer schon da. Sonst könnte man den bald wohl kommenden Begriff erfinden „Mensch – mit weiblichem Migrationshintergrund“. Aber Frauen mit Herz und Verstand wie Nina May sind immer schon da. Deren Mutter- und Herzensland ist die Sprache: und die gibt es im dieser wunderbaren Glossensammlung aus dem Ludwigsburger Verlag von Traian Pop, auch er ein Fährtensucher und ein Dichter, der anderen ein Forum gibt. Wie gut, dass es die rumänische Deutsche Nina May und deutschen Rumänen Traian Pop gibt.

So lassen sich die Abgründe der Gegenwart überbrücken und es lässt sich erkennen, wie ähnlich wir uns alle sind. Nina May widerlegt Emil Cioran und so könnte das dicke Buch auch heißen „Vom Glück, geboren worden zu sein“. Chapeau! 


Lesungen in Hermannstadt und Bukarest

Am Samstag den 14. September um 16 Uhr liest Nina May aus ihrem Glossenbuch im Büchercafe „Erasmus“ in Hermannstadt, wo das Buch (die Autorin signiert gerne) bereits erhältlich ist.

Am Montag den 16. September findet um 18 Uhr  im Goethe-Institut Bukarest zum Anlass des Buchbasars (Schenkangebot ausgemusteter Bücher aus der Bibliothek) die offizielle Buchpräsentation mit Festakt, Lesung und Verleihung des Debütpreises des Pop-Verlags an die Autorin statt. Mit Prof. Dr. em. Mariana Lăzărescu und Verleger Traian Pop. Bücher können auch dort erworben werden.