Während der Periode politischen Tauwetters im kommunistischen Rumänien, die in etwa die Jahre zwischen 1965 und 1975 umspannte, kam es auch auf dem Gebiet der Kultur und der Künste zu einer Liberalisierung, die den rumänischen Kunstschaffenden die Internationalisierung ihrer Aktivitäten in der westlichen Kunstszene wie auch im Kontext der Gegenwartskunst der östlichen Hemisphäre ermöglichte. Die historisch dokumentierende wie auch künstlerisch präsentierende Ausstellung, die derzeit und noch bis zum 2. Februar im Parterre des Bukarester Nationalen Kunstmuseums zu sehen ist, widmet sich unter dem Titel „24 Argumente“, der auf das gleichnamige Gedicht von Paul Neagu anspielt, Werken der rumänischen Neo-Avantgarde insbesondere während der Jahre 1969 bis 1971.
Es handelt sich bei dieser dokumentierenden Schau um das erste Glied einer Kette von Ausstellungen, mit denen sich das Institut der Gegenwart (Institutul Prezentului), eine von Ștefania Ferchedău und Alina Șerban 2017 ins Leben gerufene Forschungsplattform zur Dokumentation der zeitgenössischen visuellen und performativen Kultur, den künstlerischen Aktivitäten im Rumänien der sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zuwenden möchte. Eine wichtige Rolle bei der Öffnung der rumänischen Gegenwartskunst zum Westen hin spielte dabei die Galerie des schottischen Künstlers und Kunstpromotors Richard Demarco in Edinburgh, die seit ihrer Gründung im Jahre 1966 kulturelle Verbindungen zu Kunstschaffenden hinter dem Eisernen Vorhang herstellte. Neben den Archiven der Galerie Demarco trugen auch die Schottische Nationalgalerie in Edinburgh, die Kunstgalerie „Kettle’s Yard“ der Universität Cambridge, das Bukarester Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst sowie die Archive des Rumänischen Fernsehens und des Rumänischen Rundfunks mit Bildern und Dokumenten zu dieser von Ștefania Ferchedău und Alina Șerban kuratierten Ausstellung bei.
Entsprechend ihrem dokumentarischen Charakter bietet die Ausstellung eine chronologische Übersicht (in rumänischer und englischer Sprache) von kulturellen Ereignissen der Jahre 1965 bis 1971, die von der damaligen Internationalisierung der rumänischen Gegenwartskunst zeugen. So wurde der Filmdirektor Liviu Ciulei im Jahre 1965 für seine Rebreanu-Verfilmung „Pâdurea Spînzuraților“ (Der Wald der Gehenkten) bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet; 1966 fand am Royal College of Art in London die Gruppenausstellung „Brâncuși und seine Zeitgenossen“ statt; 1967 vertrat Ion Bitzan Rumänien auf der Biennale in Săo Paulo; 1968 zeigte Horia Bernea zusammen mit fünf weiteren rumänischen Künstlern in der Pariser Galerie Lambert seine Werke; 1969 präsentierte Radu Dragomirescu seine Arbeiten im Rahmen der in Tel Aviv, Wien und Moskau gezeigten Wanderausstellung „Aspekte der zeitgenössischen rumänischen Kunst“; 1970 stellt Pavel Ilie sowohl in der Galerie Demarco in Edinburgh aus, wie er auch gemeinsam mit Horia Bernea und Paul Neagu, der noch im selben Jahr Rumänien definitiv den Rücken kehrte, rumänische Gegenwartskunst an der Universität Birmingham präsentierte; und 1971 waren in der „Power Request Exhibition“ an der australischen Universität Sydney Werke von Ritzi Jacobi und Peter Jacobi zu sehen. Neben diesen historisch informativen Schautafeln werden in der Bukarester Ausstellung in Schaukästen zudem auch Kataloge, Broschüren und Fotos gezeigt, die die regen Aktivitäten der rumänischen Neo-Avantgarde in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dokumentieren.
Man kann sich der rumänischen Neo-Avantgarde aber auch ganz anders als historisch und wissenschaftlich, nämlich erlebend und genießend nähern. Dazu gibt es in den beiden großen Ausstellungsräumen im Parterre des Bukarester Nationalen Kunstmuseums reichlich Gelegenheit. Man kann – in dem Film „Impuls & Vektoren“ von Paul Neagu aus dem Jahre 1971 – einen Stelzenmann verfolgen, der auf seinen hölzernen Gehwerkzeugen durch eine Stadtlandschaft stapft. Man kann Fotos von der Performance „Genesis“ der Choreografin Miriam Răducanu aus dem Jahre 1971 bewundern, wo vom tanzenden Körper, der durch elastisches Tuch verhüllt ist, nur jeweils Hände und Füße sichtbar sind. Man kann den Wandbehang „Transsylvania III“ aus dem Jahre 1973 von Ritzi Jacobi und Peter Jacobi aus Ziegen- und Pferdehaar bestaunen, oder man kann das Werk „Mobil Textil“ (1968/1969) des rumänisch-deutschen Künstlerpaars auf sich wirken lassen, bei dem aus einem Riss in einem stehenden körperförmigen Sarkophag vielfach umwundene Seile und Schnüre hervorquellen.
Beherrschend im ersten Ausstellungssaal ist Horia Berneas Ölgemälde „Das große rote Porträt“, und Ion Bitzans schlauch- und seilartige Kompositionen, die sich überlang in der Horizontale erstrecken, bestechen ebenso wie seine diversen Holzschnitte und Zeichnungen. Grandios sind die Walnussholzskulpturen von Ovidiu Maitec aus den 1970er Jahren („Der Ritter“, „Mysteriöse Pforte“, „Flug“, „Komposition“, „Baum“, „Wand und Körper“), die in ihrer Präsentation als Ensemble an Picassos „Badende“ gemahnen. Von Ovidiu Maitec sind im Bukarester Nationalen Kunstmuseum – in der benachbarten Wechselausstellung „Holz Gold Licht“ – derzeit noch weitere seiner imposanten Holzskulpturen zu bewundern.
Der zweite Ausstellungssaal stellt dann neben Zeichnungen und Skulpturen von Paul Neagu vor allem auch zwei seiner Filme vor. Der Film „Neagus Kästen“ (1968) führt, zur Musik von Edgar Varčse, durch den künstlerischen Kosmos von Schachteln, Kästen, Boxen und Behältern des vielfältig begabten Avantgarde-Künstlers, und Paul Neagus Film „Cake Man Event“ (1971) dokumentiert ein Happening, bei dem Ausstellungsbesucher in kleine kastenförmige Kuchenstücke beißen, deren von Bissspuren skulptierte und mit angehängten Zetteln versehene Relikte dann auf einem großen Tisch als ein Ensemble von Kunstwerken präsentiert werden. In ähnlicher Weise transponiert der Film „S-Bänder“ (1973) von Șerban Epure dessen Skulpturen aus gestreiften Kartons wie auch dessen Zeichnungen in einen lebendigen Kontext: Sie werden bewegt, gedreht, gewendet, ja in die Natur gesetzt, und auf diese Weise filmisch permanent dynamisiert und vivifiziert.
Von dem rumäniendeutschen Maler und Bildhauer Diet Sayler sind eine Reihe von Miniaturdrucken, die einem kryptischen Alphabet ähneln, in der Ausstellung zu sehen, ebenso fotografische Drucke, die Metallteile gleichsam schwerelos in der Schwebe zeigen. Pavel Ilies „Weg des Lebens“ (1970), ein liegender Baumstamm in der Mulde zwischen zwei tonnenförmig gewölbten Erhebungen, gibt ebenso Anlass zum Nachdenken wie drei Holzschnitte von Radu Stoica, auf denen jeweils eine namentlich so bezeichnete „Machina Tormentaria“ zu sehen ist.
Ein dritter Ausstellungssaal, eigentlich ein kleiner Nebenraum des zweiten, ist der Temeswarer Künstlergruppe Sigma (auch oder I) gewidmet, die mit den Werken „Weiße Pyramide“, „Informationeller Turm“ und „Mobiles Ensemble“ in dieser Ausstellung zur rumänischen Neo-Avantgarde vertreten ist. Auch am Eingang zur Ausstellung findet sich ein Werk dieser sechsköpfigen Künstlergruppe, das den Titel „Elastische Struktur“ trägt, und so schließt sich unter dem Zeichen der Kreis dieses lohnenswerten Ganges durch die Geschichte der rumänischen Gegenwartskunst, die das Institut der Gegenwart dem Bukarester Publikum noch durch eine Reihe weiterer Ausstellungsereignisse künftig näher bringen möchte.