Das Oeuvre des französischen Künstlers Paul Gavarni umfasst an die 8000 Einzelstücke, darunter Zeichnungen, Aquarelle, Holz- und Stahlstiche sowie eine beeindruckende Anzahl lithografierter Werke, von denen 55 Exemplare aus verschiedenen Schaffensepochen des Karikaturisten und Moralisten im Kabinett für Zeichnungen und Stiche der Galerie für europäische Kunst im ersten Obergeschoss des Bukarester Nationalen Kunstmuseums noch bis zum 29. September dieses Jahres zu betrachten sind.
Der 1804 in Paris geborene und dort 1866 auch verstorbene französische Zeichner und Graveur Paul Gavarni, der mit bürgerlichem Namen Sulpice Guillaume Chevalier hieß, entfaltet in seinen lithografierten Werken einen gesellschaftlichen Bilderbogen, der in seiner Vielfalt und Spannbreite an das gewaltige Romanoeuvre „La Comédie humaine“ von Honoré de Balzac erinnert. Typen, Physiognomien, Gestalten und Sozialcharaktere der Pariser Gesellschaft werden von Paul Gavarni karikaturistisch aufs Korn genommen und moralistisch dem Urteil der Zeitgenossen preisgegeben.
Sein Werk erinnert in vielem an das Oeuvre eines der Vergessenheit weniger anheim gefallenen Zeitgenossen, nämlich des Malers, Bildhauers und Grafikers Honoré Daumier, der wie Paul Gavarni und Gustave Doré in der berühmten, 1832 gegründeten Satirezeitschrift „Le Charivari“ publizierte. Daumiers Lithografien zum Thema ‚Besucher in einer Gemäldeausstellung’ ließen sich sehr schön einem Werk Gavarnis aus der Folge „Le Salon“ attachieren, das 1845 in „Le Charivari’ veröffentlicht wurde und in dem, wobei Bild und Text eine unauflösliche Einheit bilden, Gavarni seine satirisch porträtierten Künstlerkollegen folgenden Dialog führen lässt: „Was für eine triste Ausstellung!“ „Wahrlich degoutant!“ „Sie haben hier doch nichts von sich ausgestellt!“ „Um Gottes willen! Nein! Und Sie?“ „Ich gewiss nicht!“.
Paul Gavarni begann seine künstlerische Laufbahn zunächst als Illustrator von Modejournalen und als Designer, u. a. von Kostümen, die im Pariser Karneval jener Jahre zum Einsatz kamen. Ein Bukarester Exponat aus der Folge „Carnaval de Paris“ zeigt ein junges, karnevalistisch verkleidetes und vielleicht auch verliebtes Paar, wobei die Dame dem Herrn provokativ den Satz an den Kopf wirft: „Veux-tu te sauver, sauvage!“, den man, mit Rücksicht auf das französische Wortspiel, im Deutschen vielleicht so wiedergeben könnte: „Verschwinde, du Schwindler!“.
Exponate aus der Folge „Travestien-Fantasien“ geben ebenso zeitgenössische Mode wieder wie Stiche aus der Folge „Perlen und Schmuck“: Hier kann man ein Collier um den Hals einer schönen Frau bewundern, ein stilvolles Bukett oder auch eine schwarze Mantilla, wie man sie aus dem Gemälde „Die Herzogin von Alba in Trauerkleidung“ von Francisco Goya kennt.
Doch bereits in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts wandte sich Gavarni als berufener Karikaturist und Satiriker der Gattung des bourgeoisen Sittengemäldes zu: Sujets wie die bürgerliche Familie, die Welt des Theaters, das Leben auf der Straße, Bälle und Gesellschaften dienten ihm dazu, Vertreter der groß- und kleinbürgerlichen Lebensweise im doppelten Sinne des Wortes vorzuführen. Beispiele hierfür findet man etwa in Exponaten aus den Folgen „Pariser Physiognomien“, „Masken und Gesichter“, „Die Schauspielerinnen“ oder „Transaktionen“. Aus letzterer wird in der Bukarester Ausstellung ein Werk mit dem Titel „donnant, donnant“ (Geschenk und Gegengeschenk) präsentiert, eine Kupplerszene, in der ein älterer Herr einer jungen, widerstrebenden Dame ein Geschenk überreicht und ihr im Gegenzug einen Kuss stiehlt.
Das Thema der ungleichen Liebe wird von Gavarni auch in der Folge „Gefühlsnuancen“ angeschlagen, aus der man in Bukarest eine 1839 in „Le Charivari“ publizierte Lithografie bewundern kann, die eine Frau am Arm eines galanten Herrn zeigt, hinter dem zwei weitere Männer stehen, von denen der eine eine Zigarette raucht und der andere eine Pfeife schmaucht. Der frivole Text zum Bild lautet: „Der Freund des Liebhabers ist für den Liebhaber, was der Liebhaber für den Ehemann.“ Und eine Karikatur aus der Folge „Les partageuses“ (Die Großzügigen) zeigt eine traurig ins Leere blickende junge Frau auf einem Sofa, hinter dem ein älterer Herr in der Pose eines Lüstlings hervorlugt und sich mit den Worten der Bildunterschrift über sie beugt: „Was heißt, du liebst mich nicht mehr? Aber Pamela, das wäre ein Luxus, der deine Mittel weit übersteigt!“.
Auch groteske Lithografien finden sich unter den Exponaten, wie zum Beispiel die als Ex-Freiheitsgöttin apostrophierte unförmige Gestalt eines Marktweibs aus der Folge „Studien Androgyner“ (1852) oder auch das an Spitzwegsche Bilder gemahnende Exponat „Meine Libanon-Zeder“ aus der Folge „Neue Werke von Gavarni“ (1847), wo ein zartes Topfgewächs ins Erdreich eines Gemüsegartens verpflanzt wird.
Dezidiert soziale Moralistik findet sich in Gavarnis Lithografien, die seine Erfahrungen anlässlich eines mehrjährigen London-Aufenthalts widerspiegeln. „Eine arme Familie oder das Elend Londons“, so lautet der Titel eines Werkes, das, ganz in Schwarz gehalten, die Düsternis und die Verzweiflung zum Ausdruck bringt, die das Leben der abgebildeten Familienmitglieder bestimmt. Zur Folge „Englische Physiognomien“ zählen Drucke, in denen Händler und Kleinbürger porträtiert werden, wie zum Beispiel der in der Ausstellung gezeigte Londoner Verkäufer von Koch- und Essgeschirr.
Desgleichen finden sich in der Ausstellung auch etliche Lithografien, die französische Zeitgenossen, Bekanntheiten und Berühmtheiten jener Jahre, porträtieren, darunter Maler, Bildhauer, Schauspieler und Erfinder. Auch zwei Selbstporträts von Paul Gavarni finden sich im holzgetäfelten Kabinett für Zeichnungen und Stiche: einmal als junger Mann mit Halstuch (nach einer Zeichnung aus den Jahren 1825 bis 1830) und ein zweites als Mann mit Zigarette aus dem Jahre 1842.
Der hervorragende Katalog von Mariana Vida, die die Ausstellung auch organisiert hat, enthält, neben einer biografischen Skizze und einem Glossar sowie bibliografischen Angaben, das vollständige Verzeichnis (z. T. mit Abbildungen) der in der Ausstellung gezeigten 55 Exponate, von denen ein großer Teil aus den einst von Toma Stelian und Anastase Simu ins Leben gerufenen Kunstsammlungen stammt.