Von einer „Kampfzone der Generationen“ wird da gesprochen. Es handelt sich nicht um historische Umbruchsituationen oder geschichtliche Ereignisse, sondern um eine „Inselliteratur“, „eine Literatur des doppelten Randes“, eine „kleine Literatur mit einer großen Sprache“. Liebe Leser, Sie erraten es: Da spricht jemand über die rumäniendeutsche Literatur, auch mal gar fünfte deutsche Literatur genannt. „Jemand“ ist einer der wohl besten Kenner dieser Literatur, der bekannte Literaturkritiker Peter Motzan, einstmals Klausenburg/Cluj, jetzt Augsburg.
Die Organisatoren der Tagung „Heimat – gerettete Zunge. Die rumäniendeutsche Literatur in der Bundesrepublik Deutschland“ in der Bildungsstätte Heiligenheim in Bad Kissingen vom 16. bis 18. November, die Vertreter des Exil-P.E.N., allen voran Präsident Wolfgang Schlott, Vizepräsidentin Ilse Hehn und Generalsekretär Horst Samson, hätten sich keinen sachkundigeren Exegeten wünschen können.
In seinem Referat über die rumäniendeutsche Literatur 1950-2000 „Vom erzwungenen Abschied zur schwierigen Ankunft“, setzt er, wie stets, die richtigen und exakten Akzente in diesem kleinen, bizarren Literaturbetrieb, dessen Literatur heute, nach seinem deklarierten Zusammenbruch, nicht nur im deutschen Sprachraum sondern gar in der Weltliteratur hoffähig geworden ist. Diese Literatur hat trotz ihrer Totsagung, der Dispersion ihrer Hauptakteure in aller Herren Länder nichts von ihrer besonderen Vitalität verloren: Peter Motzan erinnert dabei auch an die Worte des deutschen Lyrikers Wulf Kirsten, der sich über „die Streithansl der rumäniendeutschen Literatur“ nicht minder wunderte.
Eine Lesung mit Hans Bergel, einer der ältesten und sicher auch angesehensten Vertreter dieser Literatur, ist immer für ein kleines Ereignis gut: Der 1925 in Rosenau geborene und erstaunlich rüstige Autor, jetzt in Gröbenzell ansässig, wurde bekanntlich 1959 im Rahmen des Kronstädter Schriftstellerprozesses zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die Gräuel des rumänischen Gulags gingen in seine Prosa ein. Seine Texte, u. a. „Der Major und die Mitternachtsglocke“, bringen die ganze Zerbrechlichkeit und Stärke des Menschen in Extremsituationen zum Vorschein.
Wie vielfältig die rumäniendeutsche Literatur, früher im Wechselbad zwischen Tauwetter und Eiszeiten, heute in den verschiedensten Stimmen zu erkennen, noch immer ist, zeigten sodann die Lesungen von drei Autoren der mittleren Generation, Horst Samson (geboren 1954), Franz Hodjak (1944) und Hellmut Seiler (1953). Samson, in der Bărăgan-Steppe geboren, heute in Neuberg in Deutschland lebend, ließ in seinen neuen Gedichten die ganze Bandbreite seiner Thematik aufscheinen. Wie es ein kurzer Prosatext veranschaulicht, gilt sein verstärktes Interesse auch der Vertiefung seiner Biografie und den geschichtlichen Banat-Sujets.
Mit dem Lyriker Franz Hodjak – er las aus einem in Vorbereitung befindlichen Gedichtband, aber auch den Essay „Heimatlosigkeiten“ – ist man sofort mitten drin in der rumäniendeutschen Literatur wie auch in der Avantgarde der modernen deutschen Lyrik. „Einst wechselte ich hier die Sprache mit dem Zug“ – so lautet z. B. ein typischer Hodjak-Vers aus dem kompromisslosen Gedicht „Aufgelassener Bahnhof“.
Hellmut Seiler las in seinem unverkennbaren Stil zwischen Ironie und Selbstironie einige Texte aus einem neuen Lyrikband sowie einen lyrischen Prosatext. „Weh dem, der eine Heimat hat…“, bekennt der Dichter u.a .
Einer der Vertreter der älteren Generation, Franz Heinz (geboren 1929, Perjamosch), besprach das in Deutschland so erfolgreiche und populäre Buch „Die deutsche Seele“ von Thea Dorn und Richard Wagner. Ein sehr freundliches, unterhaltsames Buch, wie es auch in den folgenden Diskussionen mehrfach betont wurde, und doch kein typisches Volksbuch.
Als eine der Überraschungen dieser Tagung des Exil-P.E.N. muss man die unverkennbare Stimme des Lyrikers, Theaterautors und Regisseurs Frieder Schuller (1942, Katzendorf) hervorheben. Die Lesung aus seinem kürzlich uraufgeführten Stück „Ossis Stein“ über Oskar Pastior wurde mit reichem Beifall belohnt.
Dem Publikum von Wolfgang Schlott einfühlsam präsentiert, lasen darauf drei Banater Autoren der mittleren Schriftstellergeneration: Johann Lippet (1951) las aus seinem kürzlich erschienenen Band „Bruchstücke aus erster und zweiter Hand“. Die Lyrikerin und Prosaautorin Ilse Hehn (1943) las aus ihrem aufregenden Zyklus der Reisegedichte. Der Prosaautor Balthasar Waitz (1950) las Auszüge aus seinem Prosaband „Krähensommer und andere Geschichten aus dem Hinterland“.
Ein Vertreter der älteren Generation, der angesehene Autor Dieter Schlesak (1934) – vor Kurzem erlebte sein Erfolgsbuch „Capesius, der Auschwitzapotheker“ auch eine hebräische Ausgabe – las einfühlsame bis düster anmutende Gedankenlyrik.
Horst Samson verlas am letzten Tagungstag für den leider verhinderten Literaturhistoriker und -kritiker Dr. Walter Engel (Düsseldorf) dessen Referat „Kontraste. Innenwelt und Außenwahrnehmung des Banats in ‘Krähensommer’ von Balthasar Waitz und ‘Banatsko’ von Esther Kinsky”.
Der Prosaautor Gerhard Ortinau (1953), ehemaliges Gründungsmitglied der Aktionsgruppe Banat, trug sein berühmtes und auch heute hochaktuelles Gedicht „Die Moritat…“ vor, aber auch einen brillanten, rege Diskussionen auslösenden Text über den ehemaligen SPD-Politiker Herbert Wehner.
Zum Abschluss der Tagung erschien die aus Hermannstadt stammende Literaturwissenschaftlerin Dr. Olivia Spiridon (1971, heute Tübingen) und machte den rumäniendeutschen Autoren eine besondere Freude: Sie überreichte ihnen und den Teilnehmern die ersten Exemplare der beim Verlag Curtea Veche Bukarest zweisprachig erschienenen Prosa-Anthologie „Deutsche Erzähler aus Rumänien nach 1945“. Desgleichen referierte Dr. Spiridon über die typischen und untypischen Schwierigkeiten in der Entstehung dieses Buches sowie einige Überlegungen über die aktuelle Rezeption dieser Literatur.