Sie setzt Modell und Betrachter einer direkten Konfrontation aus

Lotte Laserstein wird in der Berlinischen Galerie wiederentdeckt

Lotte Laserstein: „Abend über Potsdam“, 1930, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

Als eine der ersten Frauen an der Akademie ausgebildet, war sie in den 1920 und 1930er Jahren eine der vielversprechendsten Exponentinnen der Berliner Malerszene. Ihre Malerei – Bekenntnis der Wirklichkeit ohne koloristische Ekstase, ohne formale Ausbrüche aus dem äußeren Formzusammenhang und ohne große visionäre Intuitionen – richtete sich mehr gegen das expressionistische isolierte Ich, als dass sie Annäherungsversuche an die Massen unternahm. Lotte Laserstein malte sachliche, aus nächster Nähe gesehene Porträts und Genreszenen, in denen sich immer wieder Bezüge auf Wilhelm Leibl und Max Liebermann, aber auch auf die Renaissance mit einer unterschwelligen „Weimarer“ Angst vor dem Kommenden vermischten.


Unter der NS-Diktatur erhielt sie als „Dreivierteljüdin“ keine Ausstellungsmöglichkeiten mehr, auch ihre eigene Malerschule musste sie schließen. 1937 emigrierte sie nach Schweden, versuchte vergeblich, ihre Mutter aus Nazi-Deutschland herauszuholen – diese kam im KZ Ravensbrück ums Leben –, während ihre Schwester in einem Versteck in Berlin überlebte. Lotte Laserstein bekam anfangs in Schweden zahlreiche Porträtaufträge, vereinsamte dann aber immer mehr. In das Nachkriegsdeutschland kehrte sie nicht mehr zurück. Ihre internationale Wiederentdeckung erfolgte erst 1987 in London, vier Jahre vor ihrem Tod – sie starb 94-jährig im südschwedischen Kalmar. 2003 hatte das Verborgene Museum in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Berlin die erste Laserstein-Retrospektive im Ephraim-Palais organisiert. Anschließend an eine kleine Ausstellung im Graphischen Kabinett des Städelmuseums Frankfurt a. M. zeigt nun die Berlinische Galerie eine repräsentative Auswahl – 58 Arbeiten – aus der Berliner Erfolgsperiode Lasersteins und deren schwedischen Exiljahren.


Jedes Pathos fehlt in Lasersteins Arbeiten, aber auch jede überwirkliche Erfahrung, wie sie im gleichzeitigen Magischen Realismus zum Ausdruck kommt. Die offensichtliche Polemik vermeidende Sachlichkeit der Darstellung, die Genauigkeit in der Wiedergabe aller Details dominieren. Die dann in den 30er Jahren erfolgende pathetische Steigerung der Neuen Sachlichkeit hat Laserstein nicht mitgemacht. Da haben wir den mit Licht- und Schattenpartien modellierten, nackten weiblichen Körper ohne Idealität, aber auch ohne ihn in seiner Integrität zu verletzen („In meinem Atelier“, 1928). In schwierigen Perspektivverkürzungen erfolgt die Darstellung des Körpers („Liegendes Mädchen auf Blau“, um 1931). Die moderne Frau erscheint mit Bubikopf im modisch gestreiften Sportdress („Tennisspielerin“, 1929) oder mit prüfendem Blick in den Spiegel, wobei das Modell in Frontal- als auch in Profilansicht zu betrachten ist („Russisches Mädchen mit Puderdose“, 1928). Die Künstlerin zeigt sich selbst in weißem Malerkittel mit skeptisch-distanziertem Blick, die Katze als Weiblichkeitsymbol auf dem Schoß („Selbstbildnis mit Katze“, 1928). In Ateliersituationen hat sie sich gemeinsam mit ihrem Modell Traute Rose in verschiedenen Rollen dargestellt, und diese intimen Doppelbildnisse – ihr vertrauensvolles Miteinander, ihre gleichberechtigte Partnerschaft – sind als Entgegensetzung zum traditionellen Motiv vom männlichen Maler und seiner Muse zu verstehen.


Laserstein setzt Modell und Betrachter durch ihre nahansichtige Darstellung, durch direkte Blickführung, durch Wendung des Kopfes aus dem Bild heraus einer direkten Konfrontation aus, der sich der Betrachter kaum entziehen kann. Eine Kommunikation zwischen Abbild und Betrachter entsteht. Die frontalen Bildnisse ähneln den Nahaufnahmen der modernen Fotografie des Neuen Sehens. Bei den zahlreich entstandenen Selbstporträts der Künstlerin richtet sich ein fragender Blick auf den Betrachter. Drückt er Selbstbewusstsein oder Selbsterforschung aus, meint er die Fragwürdigkeit der Welt oder die Ohnmacht des Einzelnen? Eines ist jedenfalls sicher: Die Künstlerin reflektiert ihre Berufung und ihre Rolle in der Gesellschaft. Durch Attribute (Leinwand, Pinsel), Kleidung, Umgebung, Gestus charakterisiert sie sich, ihr Leben, ihre Leidenschaften. „Abend über Potsdam“ (1930) – es gehört seit 2010 der Berliner Nationalgalerie – veranschaulicht dann nicht die geistige Gemeinschaft der Dargestellten, sondern Ratlosigkeit, Ungewissheit, Verunsicherung der auf einer Terrasse Versammelten der Zukunft gegenüber. Sie starren ins Leere. Unerreichbar und doch als ein fernes Versprechen erscheint die Stadt im Hintergrund. „Die Unterhaltung“ (1934) – drei Künstler aus Lasersteins Bekanntenkreis diskutieren in einer Ecke des im Halblicht liegenden Dachbodens, also in einer geheimen Zusammenkunft – ja worüber, über ihre eigene Zukunft, über die der Kunst im Nationalsozialismus? An der „Abendunterhaltung“ (1948) nehmen fünf Emigrantinnen und Emigranten wie Laserstein selbst teil. Schweigend verharren sie in einem abgeschlossenen Innenraum. Der Blick zum Draußen wird verweigert. Hier herrscht die gleiche Ratlosigkeit wie in den Figurenbildern zwei Jahrzehnte zuvor.