In der vergangenen Woche gastierte der deutsche Dirigent Martin Fischer-Dieskau mit Werken des 20. Jahrhunderts im Bukarester Athenäum. Unter seiner Leitung interpretierte das Orchester der Philharmonie „George Enescu“ Sergej Prokofjews erste Sinfonie, die auch unter dem Namen „Klassische Sinfonie“ bekannt ist. Anschließend spielte der aus Bukarest gebürtige Pianist Michael Abramovich den Solopart in Béla Bartóks drittem Klavierkonzert und im zweiten Teil des Konzertabends kam der von Iosif Ion Prunner einstudierte Chor der Philharmonie „George Enescu“ mit der Sopranistin Irina Maria Ionescu hinzu, um gemeinsam mit dem Philharmonieorchester Francis Poulencs „Stabat Mater“ auf der Konzertbühne des Bukarester Athenäums zu Gehör zu bringen.
Martin Fischer-Dieskau, der mittlere von drei Söhnen des weltberühmten und im vergangenen Jahr verstorbenen deutschen Sängers Dietrich Fischer-Dieskau, gehört nicht zu den Orchesterleitern, die musikalische Spannung durch ausladende Bewegungen und choreografische Darbietungen auf dem Dirigentenpodest erzeugen. Seine statuarische Kraft ruht vielmehr in der Körpermitte, aus der er bei dramatischen Stellen urplötzlich Impulse aussendet, die wie ein Ruck durch Chor und Orchester gehen. Präzision gebietet er durch seinen Taktstock, den er wie ein gestrenger Kapellmeister führt. In seinem Dirigieren hält er Distanz, die Klarheit und Durchsichtigkeit des musikalischen Geschehens garantiert, dem er vorsteht und über dem er steht.
Dies wurde vor allem im ersten der drei Werke deutlich, die er bei seinem Bukarester Gastdirigat zur Aufführung brachte: in Sergej Prokofjews Klassischer Sinfonie aus dem Jahre 1918. Das heitere und humoristische Werk, das in neoklassischer Manier bewusst mit den musikalischen Konventionen des späten 18. Jahrhunderts spielt und stilistisch an Haydn und Mozart anknüpft, überrascht immer wieder durch das Artifizielle und Filigrane seiner Konstruktion.
Wunderbar zu sehen, wie die Violinen das punktierte Thema des ersten Satzes an der äußersten Bogenspitze artikulierten, während das Fagott gleichzeitig seine samtig tappenden Tonfolgen stetig voranschreiten ließ. Auch in den beiden folgenden Sätzen, dem leichten, luftigen Larghetto und der tänzerischen Gavotte, waltete Transparenz wie in einem klingenden Glasperlenspiel, das Martin Fischer-Dieskau als Magister Ludi magisch zum Tönen brachte. Das Molto vivace des Finalsatzes freilich ließ durch das in seiner Rasanz fast übersteigerte Tempo und die daraus für die Musiker resultierenden technischen Schwierigkeiten den Charakter spielerischer Durchsichtigkeit und freien, gelösten Schwebens ein wenig vermissen.
Béla Bartóks drittes Klavierkonzert, das im Jahre 1945 entstand, war als Geburtstagsgeschenk des Komponisten an seine zweite Frau, die Pianistin Ditta Pásztory, gedacht, während Bartók seine ersten beiden Klavierkonzerte (1926 und 1930/31) in erster Linie für seine eigene Konzerttätigkeit geschrieben hatte. Kurz vor dem 42. Geburtstag seiner Frau verstarb der Komponist jedoch, sodass die musikalische Huldigung unvollendet bleiben musste.
Bartóks Schüler Tibor Serly vervollständigte den Schluss des Konzertes nach dem Tod des Komponisten gemäß dessen eigenen Aufzeichnungen. So konnte das dritte Klavierkonzert im Februar 1946 in Philadelphia unter Leitung von Eugene Ormandy uraufgeführt werden. Solist war damals György Sándor und nicht, wie von Bártok ursprünglich geplant, seine Frau Ditta, die das Konzert jedoch in späteren Jahren auch selbst aufführte und mit den Wiener Philharmonikern einspielte.
Solist der Bukarester Aufführung des Bartókschen dritten Klavierkonzertes war Michael Abramovich, der seine Pianostudien in seiner Geburtsstadt Bukarest, in Jerusalem und in New York absolvierte und seitdem als Solist, Dirigent, Ensembleleiter und Kammermusiker in zahlreichen Ländern Europas wirkt. Wie andere Dirigenten- und Solistenkollegen leitete er schon Klavierkonzerte von Mozart und Beethoven von der Pianobank aus.
So wurde auch Abramovichs Bartók-Interpretation im Bukarester Athenäum zu einem Ko-Dirigat, das sich harmonisch zu Martin Fischer-Dieskaus Verständnis des Bartókschen Werkes fügte. Das dreisätzige Solokonzert, das sich von der aggressiven Rhythmik und entfesselten Vitalität der beiden vorangegangenen Klavierkonzerte deutlich abhebt, besticht durch seine tonale Formgebung, durch milde Klanglichkeit und gelöste Linearität.
Dies wurde insbesondere im Mittelsatz Andante religioso deutlich, auf den attacca subito der Finalsatz Allegro vivace folgte. In der fulminanten Zugabe des Solisten kamen vor allem diejenigen Zuhörer auf ihre Kosten, die wuchtige Tonsetzung, explosive Rhythmik, exzessive Martellato-Technik und geräuschhaften Klangreichtum bis dahin noch nicht in ausreichendem Maße genossen hatten.
Das letzte Werk des Abends, Francis Poulencs „Stabat Mater“, brachte zusätzlich zum Orchester auch den Chor der Philharmonie „George Enescu“ auf die Bühne, während die Sopransolistin Irina Maria Ionescu ihren Part von einer Seitenloge aus in den runden Kuppelraum des Athenäums tönen ließ. Poulencs 1950 entstandenes geistliches Vokalwerk war vom Komponisten als Hommage post mortem an seinen Freund, den Maler, Illustrator, Dekorationskünstler und Modedesigner Christian Bérard gedacht.
Aus dem geplanten Requiem wurde aber, nicht zuletzt aufgrund von Poulencs Marienglauben, der sich in der besonderen Verehrung der schwarzen Muttergottes von Rocamadour äußerte, eine Vertonung der Mariensequenz „Stabat mater dolorosa“, desjenigen mittelalterlichen Gedichts also, das den Schmerz der Gottesmutter um ihren gekreuzigten Sohn besingt.
Das zwölfteilige Werk, das leider viel zu selten im Konzertsaal zu hören ist, vereint in sich Momente höchster Dramatik und stärkster Expression, vergleichbar solchen in Carl Orffs szenischer Kantate „Carmina Burana“, Momente größter Innigkeit und intensivster Hingabe, insbesondere in den drei Sätzen, in denen der Solosopran zum Einsatz kommt, Momente reiner Liturgie wie in den gregorianisch anmutenden A-cappella-Passagen des Chores, und Momente voller Düsternis und Fragilität, die sich aus Quellen erfühlter Todeserfahrung speisen.
Ein solch disparates Werk, das oft mit abrupten Wendungen überrascht, das ein Fortissimo des Chores im Schweigen einer unerwarteten Pause verhallen lässt, das vom und im Wechsel der Stimmungen lebt, bedarf eines musikalischen Leiters, der diese emotionalen Gewalten zu bändigen weiß und Stimmen wie Instrumente präzise zu führen in der Lage ist. Die Bukarester Zuhörer konnten sich glücklich schätzen, in Martin-Fischer Dieskau einen Dirigenten kennen- gelernt oder wieder gesehen zu haben, dem solches gelingt.