So hatte er es einmal gesagt, der US-amerikanische Bildhauer Alexander Calder, seine Skulpturen seien Dinge, die man mit Vergnügen betrachten möge – und das geschieht auch heute noch so: Mit spielerischer Freude betrachtet man diese frei schwingenden Mobiles, deren Elemente durch die Luft in Bewegung geraten und sich um die eigene Achse drehen. War er denn nicht zu heiter, zu leicht und luftig, zu unproblematisch, zu unpolitisch?, fragte man in den politik-belasteten 1960er
und 1970er Jahren.
Erst seit der Jahrhundertwende ist Calder, der 1926 nach Paris übersiedelte, 1933 in die USA zurückkehrte und 1976 starb, so richtig wiederentdeckt worden, in Amerika wie in Europa. Und die Neue Nationalgalerie hätte sich und ihren Besuchern kein schöneres Geschenk zur Wiedereröffnung des jahrelang sanierten Mies-van-der-Rohe-Baues machen können, als in der großen Glashalle Calders Stabiles und Mobiles auszustellen: Seine mächtigen Konstrukte in Stahl und unterschiedlicher Farbe – von jeder Seite eröffnen sie eine andere Perspektive -, seine tänzerischen Luftskulpturen und seine filigranen Miniaturgebilde aus Draht, Blech und anderen Materialien. Eine wunderbare, eine beglückende Schau, die in enger Zusammenarbeit mit der Calder Foundation, New York, zustande gekommen ist – 50 Jahre hatte Calder in Berlin schon keine Ausstellung mehr gehabt –, und sie jetzt zu erleben, löst wirklich ein Gefühl von Gelöstheit, Beschwingtheit, ja Lebensfreude beim Betrachter aus. Spannung und Überraschung, Spontaneität und Absicht, Humor und Launenhaftigkeit wie auch Surreales sind mit eingeschlossen.
Calder ist als Tänzer unter den Bildhauern bezeichnet worden, als Vorläufer des konzeptuellen Tanzes, aber auch als Philosoph, eine Art „Duchamp-in-Bewegung-Mann“, der nicht nur mit den Materialien spielt, wie schon der französische Maler Fernand Léger 1931 erkannt hat, sondern der die Materialien und Objekte selbst spielen, sie in Bewegung setzen lässt und so die Performance des Materials inszeniert.
Jean-Paul Sartre hatte bei seinem Besuch von Calders Pariser Atelier die Bewegung der Mobiles genau beobachtet. Sie waren ihm seltsame Wesen, „halb Materie, halb Leben“. Im Mobile sah er das sinnliche Äquivalent für die „zaghafte, immer wieder verzögerte, gestörte und durchkreuzte Entfaltung einer Idee“. Das Mobile wird ihm zum Inbegriff von Denken.
Calders frei schwebende Raumkonstruktionen, deren Elemente durch die Luft in Bewegung geraten und sich um ihre eigene Achse drehen, scheinen jedes Gefühl für Masse vergessen zu haben, ihre Bestandteile treiben schwerelos im Raum. Der Künstler zeigt die Schwerelosigkeit in seinen Mobiles als utopisches Potential auf und lässt die plastischen Formen und farbigen Flächen in den Raum aufsteigen. Ja, wenn sich ihre einzelnen Teile im Luftstrom bewegen, dann scheinen sie miteinander zu gestikulieren, geheim gehaltene Informationen auszutauschen. Sie scheinen physische Netzwerke, ein Fluss von unbekannten Mitteilungen zu sein, die einen linearen Bewegungsverlauf nehmen.
Auch mit Klängen stehen sie in Verbindung, die von außen auf das Mobile einwirken oder die die Elemente eines Mobiles selbst erzeugen – und damit dringt Calder in ganz neue künstlerische Dimensionen vor. Im Vergleich zum zumeist humorvollen Knirschen und Krachen der Maschinen Jean Tinguelys handelt es sich bei Calders „Noise mobiles“ eher um minimalistische und bewusst gesetzte Klanggestalten wie aneinanderschlagende Materialien („Small Sphere and Heavy Sphere“, 1932/33) oder bewusst integrierte metallische Klänge („Triple Gong“, um 1948). Schon der geringste Windhauch lässt die Elemente eines Mobile sich zart berühren und versetzt die gesamte Struktur in Schwingung. Die Bewegung kann dabei einen harmonisch tonalen Klang oder zumindest geräuscherzeugende Fähigkeiten hervorrufen.
Auch die Stabiles sind keine monolithischen Blöcke, sondern in ihr Konstrukt dringt der offene Raum ein. Nicht mehr die gerundete, wohlproportionierte Form, sondern der abschüssige Boden, die gekrümmte Wand, der rechte Winkel, die lotrechten Kräfte, die wie ausgeschnitten wirkenden Teile dominieren, deckend mit Schwarz oder leuchtender Buntfarbe bemalt. Ein Hauptwerk Calders, „Tętes et queue“ (1965), seit 1966 der Sammlung der Nationalgalerie zugehörig, ist nun wieder auf der Terrasse des Glasbaus aufgestellt; der ausgebildete Maschinenbauingenieur Calder entwickelte hier amorphe Tierformen, während „Five Swords“ (1976) mit seinen Industriebolzen und riesigen lackierten Stahlflächen das Licht einfangen und Schatten werfen.
Um 1930 begann Calder das Spiel mit den beweglichen, abstrakten, fragil wirkenden Miniatur-Skulpturen aus Draht (er „zeichnete“ gleichsam mit Draht), Blech, Messing und Farbe. Sie haben meist keinen Titel, sind reduziert auf das bloße Gerüst, es fehlt ihnen das, was als ihr zentrales Element bezeichnet werden kann. Gerade in den Leerstellen zeigt Calder das Potential der an sich vollständigen Skulptur auf, welche sich erst im Vorstellungsvermögen des Betrachters zu vervollständigen vermag.
Diese zarten Gebilde werden notwendigerweise hinter Glas präsentiert, obwohl eigentlich ihre Bewegung, ihre Performance ihr Wesen ausmacht. Es sind ihre Bewegungsmechanismen, die ihnen ein Eigenleben verleihen, das immer wieder neue Überraschungseffekte hervorruft. Das von Calder erwartete Eingreifen des Betrachters kann aber we-nigstens an dem 1944 von ihm entwickelten Schachspiel erprobt werden, denn es wird in mehreren Faksimiles in der Ausstellung präsentiert und lädt zur Benutzung durch den Besucher ein.
Das Moment der permanenten Verwandlung, der Überraschung, des Spielerischen, des Zufälligen und Unvorhersehbaren ist in dieser Ausstellung einfach überwältigend. In der Konstellation von Materialität, Bewegung und Räumlichkeit zeichnet sich bei einem so innovativen Künstler wie Calder ein völlig neuer Begriff von Skulptur ab