Was kann einem bezaubernden Theaterstück Besseres passieren, als von hervorragenden Schauspielern an einem wunderschönen Ort aufgeführt zu werden!? Bei dem Theaterstück handelt es sich diesfalls um „Lumpazivagabundus“, ein Werk des Dramatikers, Satirikers, Schauspielers und Opernsängers Johann Nepomuk Nestroy, geboren am 7. Dezember 1801 in Wien.
Er war das zweite von acht Kindern eines gut situierten Advokatenhaushalts und sollte den beruflichen Weg seines Vaters einschlagen. Vom Philosophie- und Jusstudium wandte er sich bald ab und der Musik und dem Theater zu. Seine Opernsängerkarriere begann er als erfolgreicher Bassist im Redoutensaal der Wiener Hofoper. Mit 26 Jahren schrieb er seine erste Posse und trat seine zweite Karriere als Volksstückautor an. Theatererfolge hatte er in Wien, Graz, Preßburg, Lemberg, Hamburg, Berlin und vielen deutschen Städten, in Amsterdam und Brünn. Dort eckte er – wie auch immer wieder in Wien – bei der Polizei an und musste die Stadt fluchtartig verlassen. In der Zeit Metternichs wurde nämlich alles kontrolliert, zensuriert und bespitzelt und es brauchte wenig, um inhaftiert zu werden. Die Manuskripte der Theaterstücke mussten erst eingereicht und bewilligt werden. Nestroy, hatte es an sich, dass er spontan geistreiche und witzige Extempores in die Stücke einbaute, die nicht im Manuskript standen und die ihm zwar Lachstürme beim Publikum, aber nicht bei den Polizeispitzeln einbrachten – die sie aber glücklicherweise gar nicht immer verstanden. Der populärste Volksstückautor des 19. Jahrhunderts hatte die Gunst des Publikums hinter sich, und das war vermutlich das „Verwerflichste“ … Manchmal legte er sich auch ungeniert mit einer ganzen Berufsgruppe an, wie z.B. mit den Bäckermeistern, denen er vorwarf, bei immer gleichen Preisen immer kleinere Semmeln zu backen. Die hochbeleidigten Bäckermeister verklagten ihn bei der Obrigkeit und er musste sich offiziell entschuldigen. Bei der nächsten Aufführung trug er kleine Semmeln als Knöpfe an seinem Rock und extemporierte, die habe man ihm seitens der Bäcker durch das Schlüsselloch zugeschoben ... Johann Nestroy hatte ein bewegtes Leben, der satirische Chronist des Spießertums passte sich nicht an, war aber intelligent genug, alles schlagfertig und hintergründig zu verpacken. Auch in seinem Privatleben lief nicht alles nur glatt. Er heiratete sehr jung Wilhelmine Nespiesni, mit der er einen Sohn hatte. Nach 4 Jahren verließ ihn Wilhelmine wegen eines anderen Mannes, der Sohn blieb beim Vater. In Graz traf er auf die Schauspielerin Marie Weiler, die seine lebenslange Lebensgefährtin wurde, mit der er drei Kinder hatte: Karl Johann, Marie Cäcilie und Adolph Johann (der Junge verstarb jedoch bereits nach 12 Tagen). Marie Weiler verwaltete umsichtig sein Vermögen und so brachten sie es zu ansehnlichem Wohlstand. Nichtsdestotrotz pflegte er zahlreiche Affären, unter anderem mit der jungen Provinzschauspielerin Karoline Köfer, die er sehr spendabel umwarb und schließlich – als es selbst der geduldigen Marie zu bunt wurde – finanziell großzügig abfertigte. Nestroy schrieb Dutzende von Stücken, Ein-, Zwei- oder Dreiakter, Parodien, Possen – viele davon mit Gesangseinlagen – volkstümliche Satiren, Zauberspiele … manchmal wurde seinem Fleiß auch noch ein wenig nachgeholfen, wie etwa durch Direktor Carl vom „Theater an der Wien“, der ihn vertraglich verpflichtete, jährlich zwei Theaterstücke zu schreiben. So kamen viele Dutzend Werke zusammen, unter anderem die bekannten Stücke: „Der Talisman“, „Der Zerrissene“, „Einen Jux will er sich machen“, „Zu ebener Erde und im ersten Stock“, „Frühere Verhältnisse“ usw. Einige werden auch heute noch gespielt, weil die früheren Verhältnisse auch noch die heutigen sind …
Lumpazivagabundus
Eine Zauberposse des Alt-Wiener-Volkstheaters ist „Lumpazivagabundus oder das liederliche Kleeblatt“, über den Tischler Leim, den Schneider Zwirn und den Schuster Knieriem. Ihr Schicksal beginnt im Wolkenpalast des Feenkönigs. Lumpazivagabundus, der böse Geist, hat die Söhne der Feen zu liederlichem Lebenswandel verführt. Fortuna, die Glücksfee behauptet, wenn der Mensch Glück hat und es ihm gutgeht, wird er auch ein guter Mensch. Amorosa, die Fee der wahren Liebe, ist dagegen der Meinung, dass nur die Liebe die Menschen auf den rechten Weg bringt. So beschließen die beiden, in der Praxis einen Versuch zu machen. Fortuna spürt drei Handwerksburschen auf, die zufällig vor Ulm zusammengetroffen sind, wo anderntags in der Lotterie das große Los ausgespielt wird. Im Traum zeigt sie ihnen die richtige Nummer, die tatsächlich gewinnt. Leim, Zwirn und Knieriem teilen den Hauptgewinn und jeder zieht seiner Wege, nicht ohne vorher auszumachen, in einem Jahr wieder zusammenzukommen. Leim geht nach Wien, wo er in großer Liebe zu Peppi, der Tochter seines Meisters entbrannt ist und nun als reicher Mann um ihre Hand anhalten will. Zwirn eröffnet in Prag eine exklusive Schneiderei und genießt verschwenderisch das süße Leben. Knieriem, dem Alkohol und der allgemeinen Hysterie vom Halleyschen Kometen verfallen, will sich weiter seiner Sauferei widmen, denn, wie er in einem Couplet singt, „die Welt steht auf kan‘ Fall mehr lang“, und deshalb lohnt sich ein anständiges Leben nicht. Zwirn und Knieriem kommen in einem Jahr verarmt an den vereinbarten Ort, Leim aber schickt einen Brief, wo er mitteilt, dass er erkrankt im Spital in Nürnberg liegt und die Freunde bittet, ihm bei seinem Meister hinterlegtes Geld zu bringen. Sofort sind die beiden dazu bereit, da erscheint Leim, dem es durch Peppis Liebe wunderbar geht, und der Zwirn und Knieriem nur prüfen wollte. Er verspricht, ihnen zu einem anständigen Leben zu verhelfen. Doch beide wollen lieber weiter vagabundieren. Somit hat Fortuna verloren: Geld bewirkt keine Umkehr. Amorosa aber führt den beiden je eine gute Frau zu, und glücklich liebend beginnen sie einen anständigen Lebenswandel mit erfülltem Familien- und Berufsleben. So hat schlussendlich Amorosa recht bekommen: Nur wahre Liebe kann Umkehr zum Guten bewirken. Der böse Geist Lumpazivagabundus aber hat seine Macht verloren. Soweit die Geschichte.
Sommerfestspiele Reichenau
Die Begründer der Sommerfestspiele waren Renate und Peter Loidolt. Er, am 9. März 1945 geboren und in Wien aufgewachsen, absolvierte nach dem Gymnasium eine kaufmännische Lehre und arbeitete danach bei drei verschiedenen großen Reedereien. Sie, am 9. September 1950 in Prein an der Rax als Bauerntochter geboren, studierte in Wien Volkswirtschaft und schloss als Magistra ab. Er, ein begabter Maler und Bühnenbildner mit wirtschaftlichem Talent, sie, mit profunden literarischen Kenntnissen, Dramaturgin und ein Organisationstalent, beide mit großer Freude und Interesse am Theaterleben, beschlossen nach einigen wenigen Jahren der verschiedenen beruflichen Tätigkeiten in Europa, die Chance wahrzunehmen, das vom damaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann bevorzugte, dem Publikum aufgezwungene zeitgeistige Regietheater, durch ein betont österreichisches Theater mit heimischen Stars zu bereichern. Sie übernahmen das abgenutzte Theatergebäude in Reichenau – der Stadt zwischen Schneeberg, Rax und Semmering, wo so viel Weltliteratur österreichischer Autoren entstanden ist. Große Namen wie Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal, Franz Werfel, Johann Nestroy, Karl Kraus, … hatten hier ihren Sommerwohnsitz und intensive Beziehungen zu Land und Leuten aufgebaut, viele ihrer Werke wurden auch hier geschaffen. Das Gebäude wurde restauriert, das Ehepaar Loidolt baute mit großem psychologischem Gespür mit den namhaftesten Schauspielern der Gegenwart ein Ensemble auf, das Stücke mit betont österreichischer Note zur Aufführung brachte und adäquate Honorare erhielt. 1988 wurde das erste Mal gespielt und entgegen den pessimistischen Unkereien wurde das ganze psychologisch richtig angelegte Konzept ein unglaublicher Erfolg. Das Publikum belohnte die rundherum authentische Zusammenarbeit aller Beteiligten mit größter Begeisterung, alle Aufführungen waren von Anfang an fast restlos ausverkauft. Internationale Autoren und Regisseure inszenierten ein kulturhistorisch bewährtes Programm, darüber hinaus wurden auch bekannte Prosawerke und Frauenschicksale der Weltliteratur dramatisiert, wie z. B. „Anna Karenina“, „Madame Bovary“, „Lady Chatterley“ … Im kunstverständigen damaligen Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll hatten sie einen verlässlichen politischen Rückhalt. 2005 erhielten die Festspiele mit der Arenabühne einen modernen Zubau. Die Festspiele Reichenau waren bis dahin zu 90 Prozent selbsttragend, es gab nur viele private Spender, keine von Wirtschaftsmagnaten. Zeitgleich mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie fanden sich plötzlich eine bekannte Zeitung, der Rechnungshof und vermutlich einige Neider im Hintergrund zur Kritik bezüglich finanzieller Gebarung berufen. Das Ehepaar Loidolt, unterdessen in den Siebzigern, sah sich nicht in der Lage, zudem die 2021 und 2022 zweijährigen, pandemiebedingten Ausfälle an Aufführungen und Spendern zu stemmen und zog sich zurück. 2023 übernahm Maria Happel die künstlerische Leitung für das größte Sommertheater-Festival Niederösterreichs.
Neue Ära
Damit hatte man eine kongeniale Schauspielerin, Sängerin und Regisseurin mit langjähriger Erfahrung gewonnen. Maria Happel, am 16. Oktober 1962 im Spessart geboren, spielte schon als Kind Klavier und Orgel, hatte ihre schauspielerische und gesangliche (Mezzosopran) Ausbildung in Hamburg absolviert, wurde nach Wien engagiert und machte schnell Karriere. Am Reinhardtseminar unterrichtete sie Rollengestaltung, war seit 1991 Ensemblemitglied des Burgtheaters und spielt sowohl tragische wie komische Rollen. Erfahren in Theaterbelangen ist es ihr das größte Anliegen, für die jährlichen über 100 Vorstellungen in Reichenau die besten Schauspieler zu gewinnen. Eines der Glanzstücke des österreichischen Volkstheaters aus dem 19. Jahrhundert ist Nestroys „Lumpazivagabundus“. Der bekannte Schauspieler Robert Meyer führte Regie und spielte die Hauptrolle des Schusters Knieriem. Die Szenen im Wolkenpalast und die Volksszenen zeichneten sich durch Blitz und Donner, große Buntheit und Lebhaftigkeit aus, wie sie wohl im 19. Jahrhundert, als es nicht viel anderes zur Belustigung des Volkes gegeben haben mag, gang und gäbe gewesen sein dürften. Weitere großartige Schauspieler und Schauspielerinnen wie Brigitte Kren, Thomas Frank, Florian Carove, Veronika Glatzner und viele andere bildeten ein dynamisches Team mit einer harmonischen Leistung, die für nachhaltige Erinnerung sorgte. Robert Meyer brachte im „Kometenlied“ nicht nur die unbekümmerte Ausrede für sein Lotterleben zum Ausdruck, es klang auch die wehmütige Erkenntnis über den derzeitigen Zustand unserer Welt durch – die sehr berührende Interpretation bescherte ihm begeisterten Szenenapplaus.
Sämtliche in den Sommerfestspielen Reichenau zur Aufführung gelangten Theaterstücke vermittelten den Besuchern den Eindruck, dass sich die Künstler- und Literaturelite, die im 19. Jahrhundert nach Reichenau auf Sommerfrische kam, im 21. Jahrhundert in der Festspielelite fortsetzt. Was kann einem Besucher Besseres passieren, als bezaubernde Stücke von hervorragenden Schauspielern aufgeführt, im pittoresken Reichenau am Fuße der Rax zu erleben?