Am 8. Februar gastierte das international geschätzte rumänische Streichquartettensemble „Ad Libitum“ im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks in Bukarest mit einem Beethoven-Programm, das je ein Streichquartett aus der frühen, mittleren und späten Schaffensphase des großen deutschen Komponisten der Wiener Klassik zu Gehör brachte: das Quartett op. 18 Nr. 4 in c-Moll des noch jungen, vor allem als Klaviervirtuose bekannten Musikers, bei dem sich jedoch bereits in jenen ersten Wiener Jahren ein Gehörleiden bemerkbar machte, das schließlich zu seiner völligen Ertaubung führen sollte; ferner das Quartett op. 95 in f-Moll mit dem Beinamen „Serioso“, das in den mittleren Wiener Jahren, zur Zeit der produktivsten Schaffensphase Beethovens, entstand; und schließlich das Quartett op. 132 in a-Moll, das zu den späten Streichquartetten des Meisters zählt und ein Jahr nach Beethovens Neunter seine Uraufführung erlebte.
Dieses Konzert des Streichquartettensembles „Ad Libitum“, das im Jahre 1988 in Jassy/Iaşi gegründet wurde und bis auf den heutigen Tag aus den drei Gründungsmitgliedern Şerban Mereuţă (2. Violine), Bogdan Bişoc (Viola) und Filip Papa (Violoncello) besteht, zu denen, nach dem Tod von Adrian Berescu (1. Violine), im Jahre 2011 der als Konzertsolist weithin bekannte Violinvirtuose Alexandru Tomescu als neuer und wertvoller Primgeiger hinzukam, bildete den Auftakt zu einer Konzertreihe, die sämtliche sechzehn Streichquartette Beethovens in Bukarest zur Aufführung zu bringen sich vorgenommen hat. Für die Gründungsmitglieder von „Ad Libitum“ ist dies bereits die dritte Interpretation des gesamten Beethovenschen Quartettschaffens, während es für den vor einem halben Dutzend Jahren hinzugekommenen Primgeiger Tomescu die erste Erarbeitung des Beet-hovenschen Quartettwerkes in diesem Rahmen darstellt, zu der die Aufführungen des vierten, elften und fünfzehnten Streichquartetts am 8. Februar im Bukarester Mihail-Jora-Saal des Rumänischen Rundfunks den begeisternden und weitere exzellente Hörerlebnisse verheißenden Auftakt bildeten.
Die solchermaßen eröffnete Reihe von Konzerten verspricht aber nicht nur höchsten musikalischen Genuss, sondern gewährt zudem musikgeschichtliche wie auch kompositionstechnische Einblicke in Beethovens Quartettschaffen. So ergriff Alexandru Tomescu im Auftaktkonzert zu dieser Reihe vor der Darbietung jedes einzelnen der drei Quartette das Wort und führte mit gelehrten Bemerkungen, interpretatorischen Beobachtungen, biografischen Hinweisen und historischen Reminiszenzen in die je eigene Welt eines jeden dieser drei Quartette ein, als geistige Einstimmung in das dann jeweils unmittelbar folgende musikalische Geschehen.
Das Quartettensemble „Ad Libitum“ eröffnete den Konzertabend mit dem vierten der sechs Quartette, die unter der Opusnummer 18 zusammengefasst sind und den österreichischen Fürsten Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz zum Widmungsträger haben. Das dramatische Eingangsmotiv des ersten Satzes versetzte die Zuhörer sofort in die Sturm-und-Drang-Welt des jungen Komponistengenies, der soeben seine Klaviersonate „Pathétique“ vollendet hatte. Die feinmechanischen Miniaturarbeiten des zweiten Satzes bildeten dann einen lebendigen Kontrast zur drängenden Dramatik des Kopfsatzes mit seinen heftigen Akkordschlägen. In der Interpretation durch das „Ad Libitum“-Quartett wirkten diese aber nie gewaltsam und roh, sondern in ihrer Kraft und Wucht wunderbar veredelt und sublimiert. Auch im dritten Satz, einem Menuett, sowie im Allegro-Finalsatz herrschte, trotz deren heiterem Charakter und deren Sanglichkeit, eine aufgewühlte und erregte Stimmung vor, die zwar einerseits noch die ebenmäßig-ausgewogene Welt Haydns und Mozarts anklingen ließ, andererseits aber bereits deren Überwindung in romantisch-heroischem Drängen signalisierte. Beides, Heiterkeit und Düsternis, Leichtigkeit und Wucht, wurde von den vier Quartettmusikern bei der Darbietung von op. 18 Nr. 4 gekonnt mit-einander verbunden und zu harmonischem Ausdruck gebracht.
Das dem Komponistenfreund Nikolaus Zmeskall von Domanovecz, der lange Jahre auch als Beamter der ungarischen Hofkanzlei in Wien diente, gewidmete Streichquartett op. 95 in f-Moll ist das einzige Quartett Beethovens mit einem Beinamen. Auf dem Autograf hat der Komponist eigenhändig vermerkt: „Quartett serioso“. Der ernste Inhalt findet seinen Widerhall auch in einem neuen kompositorischen Stil, der mit der Juxtaposition von Extremen kokettiert: lichte Tonfolgen, die immer wieder von energischen Eruptionen überströmt werden, vorwärts drängende Melodien, die von abrupten Pausen gestaut werden, heftige Fortissimi, die in Kontrast zu aushauchenden Pianissimi treten und den Hörer von einer musikalischen Überraschung in die nächste treiben. Dazu zählt auch, dass der Komponist den ernsten Charakter des Quartettes, etwa im verspielten zweiten Satz, vorsätzlich vergessen macht, um den Hörer bei nächster Gelegenheit dann doch wieder umso deutlicher an dessen gewichtigen und erhabenen Grundcharakter zu erinnern. Die Musiker des „Ad Libitum“-Ensembles loteten diese Höhen und Tiefen im Gefühlsspektrum des Quartetts op. 95 wunderbar aus und ließen die von Beet-hoven komponierten Verdichtungen und Komprimationen in Harmonik und Melodik licht und transparent erscheinen.
Das letzte der drei Beethovenschen Streichquartette, das nach der Pause dargeboten wurde und den gesamten zweiten Teil des Konzertes ausfüllte, war das dem russischen Fürsten Nikolai Borissowitsch Golyzin gewidmete Streichquartett op. 132 in a-Moll, das zwei Jahre vor Beet-hovens Tod entstand. Im Zentrum des fünfsätzigen Werkes, das auch in Thomas Manns Musikerroman „Doktor Faustus“ Erwähnung findet, steht der zwischen Molto Adagio und Andante hin und her oszillierende dritte Satz, den der Komponist mit einer Überschrift versah, die Alexandru Tomescu bei seiner einführenden Moderation in deutscher Originalsprache vortrug: „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart“.
Der choralartige Charakter dieses dritten Satzes, der auf die Genesung von einer schweren Krankheit anspielt, die Beethoven bei der Komposition des Quartetts befallen hatte, wird jeweils am Anfang und am Ende von zwei Quartettsätzen umrahmt, die einen denkbar starken Kontrast zu der in diesem Satz zelebrierten ätherisch-erhabenen Musik darstellen. Die wilden Sechzehntelbewegungen des ersten Satzes, das fließende Thema des zweiten Satzes Allegro ma non tanto mit dem herrlichen Musette-Trio, der heitere Marschcharakter des vierten Satzes und das Allegro appassionato des Finalsatzes zeigen die Vielfalt der musikalischen Stimmungen, die Beethoven in allen seinen späten Quartetten meisterhaft zueinander in Beziehung zu setzen und in raschem, mitunter sogar wildem Wechsel kompositorisch kontrastiv zu komprimieren wusste. Das Bukarester Konzertpublikum kann sich jetzt schon auf die kommenden fünf Konzerte des Ensembles „Ad Libitum“ freuen, die dem Quartettschaffen Ludwig van Beethovens gewidmet sind und den kammermusikalischen Kreis seiner überwältigenden kompositorischen Kunst gemessen ausschreiten.