Imposante drei Meter hoch ist das Tobsdorfer Chorgestühl, welches am 14. November, nach siebenjähriger Forschungsarbeit, erstmals zusammengesetzt der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte. Es ist ein spätgotisches Meisterwerk, die Jahreszahl 1537 ist am Kranz des Baldachins zu lesen. Seit 2010 befindet sich das reich mit Intarsien und Flachschnitzereien verzierte Kirchengestühl in der Restaurierungswerkstatt für „Möbel und Holzobjekte“ in der Fakultät „Bauen und Erhalten“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim. Nun feierte der Studiengang „Konservierung und Restaurierung“ Richtfest – eine kleine Sensation.
Im Juli 2012 hatte Prof. Dr. Gerdi Maierbacher-Legl, die Leiterin der Studienrichtung, von den begonnenen Restaurierungsmaßnahmen in der „Siebenbürgischen Zeitung“ berichtet und bereits damals die Aufstellung des Sakralmöbels in der großen Pfarrkirche von Mediasch angekündigt. In einigen Monaten soll es, nach dem Abschluss der Restaurierung, nach Siebenbürgen zurückkehren.
„Dass es überhaupt wieder zusammengesetzt vor uns steht, grenzt an ein kleines Wunder“, so Dr. Ralf Buchholz, der Werkstattleiter der Fakultät. Die Festigkeit des Lindenholzes war durch Insektenfraß in einem bisher nicht gekannten Ausmaß geschädigt: Ein Labyrinth von Fraßgängen zieht sich durch die starken Bohlen der Konstruktion. Aufsteigende Bodenfeuchtigkeit hatte den Standkanten der tragenden Wangen des Gestühls derart zugesetzt, dass sie buchstäblich einknickten – beinahe ein Totalschaden.
Es war ein Zufallsfund in der Kirche von Großau/Cristian. Flüchtig betrachtet nur ein Haufen Bretter, begraben unter einer Staubschicht. „Wir haben dieses sechsstallige Chorgestühl der Südwand und ein dreistalliges Chorgestühl der Nordwand aus Tobsdorf damals bei einer Forschungsreise gefunden. Dort lag es abgebaut auf Kirchenbänken und war in einem konservatorisch höchst bedenklichen Zustand“, erklärt Ralf Buchholz weiter. Buchholz fährt seit fünfzehn Jahren mit Studentinnen und Studenten zu Forschungsaufenthalten nach Siebenbürgen und hat bereits wesentlich bei der Erforschung und Restaurierung der Henndorfer Truhen mitgewirkt. Als die fragile Fracht zur Restaurierung nach Deutschland transportiert wurde, zerbröselten den Restauratoren einige der Holzteile bereits zwischen den Fingern. Das war im Jahr 2010.
An so einem ausgefallenen Stück aus der Spätgotik arbeiten zu dürfen, ist für den Studiengang und die Studierenden ein Glücksfall. Nach und nach entstehen immer weitere Forschungsarbeiten über das Objekt, so umfangreich und vielfältig sind die Aufgaben. In einem ersten Arbeitsschritt werden mit Unterstützung der Fachfirma Biebl aus Benediktbeuern sowie des Entomologen Dr. Uwe Noldt von der Universität Hamburg die das Holz zerstörenden Insekten bekämpft. Sechs Wochen lang erfolgt eine professionelle Stickstoff-Begasung. Mit Hilfe einer CAD-Zeichnung kann das Chorgestühl virtuell wieder zusammengebaut und um die fehlenden Teile, ein Dorsal-Element und das Bodenpodest, ergänzt werden. Die extrem durch Fraß geschädigte Holzsubstanz wurde im Tränkverfahren mit gelöstem Acrylharz stabilisiert. Zur Bestätigung für die erfolgreiche Behandlung wurde das Einfließen und die Verteilung der Kunstharze in der Holzstruktur und damit die Stabilität der tragenden Hölzer per Computer-Tomografie im St.-Bernwards-Krankenhaus untersucht.
Eine weitere Herausforderung war die Ergänzung der fehlenden Teile, der schadhaften Standkanten der Wangen des Gestühls, die das gesamte Gewicht des Aufbaus mit Dorsal, Baldachin und Kranzgesims zu tragen haben. Unter Einsatz modernster Technik und in Zusammenarbeit mit Dipl.-Des. Reiner Schneider (Fakultät Gestaltung) und Dipl.-Ing. Norbert Linda (Labor für Holzbearbeitung) konnten die fehlenden unteren Teile der Wangen ersetzt werden. Die Bruchkanten wurden mit 3D-Laserscanning berührungsfrei abgetastet und aufgenommen. Die fehlenden Stücke fertigten Holzingenieure wie neue „Füße“ mit einer CNC-Fräse aus Lindenholz passgenau entsprechend der gescannten Kanten, die den sicheren Stand des Gestühls wieder gewährleisten. Zugleich ist es gelungen, einen größtmöglichen Teil der historischen Holzsubstanz zu erhalten.
Welche Bedeutung das Chorgestühl für die Kunstgeschichte hat, wurde erst im Laufe der Forschungsarbeit klar. Derartige siebenbürgische Kirchenausstattung hatte man bisher nur in wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen gewürdigt. In den vergangenen Jahren haben Hildesheimer Studierende Chorgestühle in Siebenbürgen erfasst und ihre Details in zahlreichen Aufnahmen dokumentiert. Ein Vergleich des Tobsdorfer Chorgestühls mit einem aus Bogeschdorf/Băgaciu verriet schließlich, dass es sich in beiden Fällen um Werke von Johannes Reychmut handelt. Beide sind sich in Bauweise und Verzierungen sehr ähnlich. Selbstbewusst hat der Meister in Bogeschdorf signiert: HOC OPUS PERFECTUM PER ME JOHANNEM REYCHMUT ME(N)SATORE SCHEGESVARIENEM AD PER LAUDEM ET HONORE MARIE VIRGINIS AI 1537 - Dieses Werk habe ich Johannes Reychmut Tischler aus Schäßburg vollbracht zu Lob und Ehren der Jungfrau Maria im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1537.
Der Typus des spätgotischen Kastengestühls mit Bandintarsien und vegetabilen Flachschnittmotiven findet sich häufiger im Umkreis von Mediasch und Schäßburg/Sighişoara. Das große Gestühl in der Bergkirche von Schäßburg kann ebenso der Handschrift und Werkstatt Reychmuts zugeschrieben werden, wie jenes in der nicht minder berühmten Kirche von Birthälm/Biertan. Aber auch in einem Dutzend kleinerer Dorfkirchen sind Gestühle dieses Musters in reich dekorierten Ausführungen erhalten geblieben. Damit handelt es sich um den größten Fund an Kirchenmöbeln, der einem Meister aus dieser Zeit zugeschrieben werden kann.
Wenn Ralf Buchholz von den Arbeiten und der Zusammenarbeit mit den anderen Fakultäten und Einrichtungen mit Begeisterung und Leichtigkeit berichtet, täuscht das ein bisschen über die enorme Leistung und die umfangreiche Forschungsarbeit hinweg. Was sich hier vielleicht als glatte Erfolgsgeschichte liest, ist in Wirklichkeit das Ergebnis unermüdlichen Experimentierens und Forschens des engagierten Teams von Wissenschaftlern um Professorin Maierbacher-Legl, die mit hochentwickelter Ausstattung und zusammen mit anderen Fakultäten und Institutionen gearbeitet und neue Wege in der Restaurierungsarbeit beschritten haben.
Es ist ein Meilenstein in der Holzrestaurierung, der Lob und Anerkennung verdient, dass ein Holzmöbel mit derartigen Beschädigungen bald wieder in der großen Pfarrkirche in Mediasch besichtigt werden kann. Wir danken den Hildesheimer Restauratoren für ihre langjährige Forschungsarbeit und freuen uns auf die Einweihung des Tobsdorfer Chorgestühls in Mediasch im kommenden Jahr.