Die zweiteilige großangelegte Wanderausstellung „touch nature”, die sich auf zwei Bukarester Ausstellungsräume der Gesellschaft der Gegenwartskünstler SAC erstreckt, gehört zur Veranstaltungsreihe anlässlich der 25. Gründungsfeier des Österreichischen Kulturforums in Bukarest. Diese bietet eine direkte künstlerische Röntgenaufnahme der Auswirkungen menschlicher Eingriffe in die Umwelt an und wird in elf Ländern in Europa und in den Vereinigten Staaten gezeigt. Ziel des internationalen Ausstellungsprojekts ist, die Rolle der Kunst bei der Hinterfragung der immer schwerwiegenderen Umweltkrise anhand von Werken zeitgenössischer Kunstschaffender aus Österreich und dem jeweiligen Gastland zu erforschen, und zwar immer in einem originellen, ortsspezifischen Format, das an den jeweiligen kulturellen Kontext angepasst ist.
„touch nature“ ist ein Aufruf zur Sensibilisierung für Umweltfragen, ausgehend von den Worten des Denkers und Begründers der Klimatologie, Ökologie und Ozeanographie Alexander von Humboldt (1769-1859 ): „Natur muss man fühlen“.
Der Rumänien-Halt der Wanderausstellung ist als Dialog zwischen den Werken von 35 führenden Künstlerinnen und Künstlern aus Österreich und Rumänien konzipiert und wird von Sabine Fellner und Alex Radu kuratiert. Die Architekten Maria Ghement und Justin Baroncea schlagen für „touch nature“ ein originelles Ausstellungskonzept vor, das sich von allen bisherigen Versionen unterscheidet und einen völlig unerwarteten Kontext für die Werke wichtiger rumänischer und österreichischer zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Generationen schafft.
Interkultureller künstlerischer Dialog
In einen künstlerischen Dialog treten dabei Uli Aigner, Michael Endlicher, Thomas Feuerstein, Peter Hauenschild, Barbara Anna Husar, Kitty Kino, Aurora Kiraly, Alexandra Kontriner, Klaus Pichler, Monika Pichler, PRINZpod, Oliver Ressler, Gregor Sailer, Elisabeth von Samsonow, Hans Schabus, Marielis Seyler, Paul Spendier, Judith Wagner, Laurent Ziegler (alle aus Österreich), Ramona Schnekenburger (Deutschland), Nives Widauer (Schweiz), Anna Dumitriu&Alex May (Großbritannien) und Matei Bejenaru, Floriama Candea, Codruța Cernea, Adriana Chiruta, Ciprian Ciuclea, Larisa Crunțeanu, Nona Inescu, Ana Maria Micu, Nicoleta Mures, Oana Stanciu, Mircea Suciu und Dan Vezentan (alle aus Rumänien). „(Ihre) Arbeiten werfen einen kritischen Blick auf die tiefgreifende Veränderung unseres Erdsystems und beleuchten die ökologische Krise aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Malerei, Grafik, Fotografie, Skulptur, Video und Installation sind die Medien, die sie nützen, um Widerstand gegen die globale Ausbeutung von Mensch und Natur zu formulieren“, deutete Sabine Fellner, Kunsthistorikerin und Ausstellungskuratorin, bei der Vernissage.
Der SAC-Gründer und Ausstellungskurator Alex Radu fügte hinzu, das Projekt „schlägt ein Eintauchen in die spektrale Vielfalt von Einstellungen, Gefühlen und psycho-emotionalen Reaktionen vor (Anm. d. Red. auf menschliches Eingreifen in die Natur): Von Aktivismus bis hin zu Klimaangst, Solastalgie (negativ wahrgenommene Umweltveränderungen), Melancholie, Schattenzeit, Schuldgefühlen, andere Arten von Depression, Verlassenheit und wiederum zu möglichen Vorstellungen von innovativen Lösungen für neue Dynamiken und Zusammensetzungen zwischen Menschen und der Natur im Allgemeinen, einige davon wieder verwurzelt in Bewusstsein, Sorgfalt und Nachhaltigkeit”.
Im Folgenden werden nur einige der vielen ausgestellten Werke besprochen.
Sich selbst tragendes Haus mit Wölfen
Die Konzepte für beide Ausstellungsräume sind unterschiedlich. Im SAC-Berthelot (Str. General H. M. Berthelot 5) wird das Gebäude zu einem lebendigen, sich selbst tragenden Organismus, angetrieben von Bakterien, Pflanzen und den Körpern seiner menschlichen Bewohner, die alle als Energiequellen fungieren. Hier treffen Natur, Kunst und Technologie aufeinander.
Dieser Ausstellungsraum beherbergt zwei Installationen von Floriama Candea und Cristian Bala{, die ziemlich unheimlich wirken. „Sensitive Dependence“ (empfindliche Abhängigkeit) lädt zur Interaktion ein. Setzt man einen Pulsoxymeter auf den Finger, so springt die Installation, bestehend aus aufblasbaren Textilobjekten, Glasballons, LED-Lichtern und destilliertem Wasser im Rhythmus des menschlichen Pulsschlags an. Daneben blinzeln wie Glühwürmchen mal die eine mal die andere beleuchtete Silikonpflanze in Reagenzgläsern auf, welche die ganze Wand bedecken. Diese Installation, betitelt „Endangered Order“ (gefährdete Ordnung), wird dagegen von einem Algorithmus betrieben, der auf der Intelligenz eines Glühwürmchenschwarms basiert, um das öffentliche Bewusstsein bezüglich der Fragilität pflanzlicher und tierischer Arten im Zeitalter der Menschen zu erhöhen.
Wenn man schon Glühwürmchen kaum bemerkt, entgehen mikroskopische Schimmelkolonien dem menschlichen Auge völlig. Glücklicherweise haben ihnen die Fotografen Maren Jeleff und Klaus Pilcher ihre Aufmerksamkeit gewidmet und die Bilderreihe „Too Close to Notice“ (zu nahe, um bemerkt zu werden) in Zusammenarbeit mit einem Medizinanthropologen und einem Biologen entwickelt. Das hier gezeigte Werk, das wie ein buntes Gemälde erscheint, erinnert an einen widerstandsfähigen Schimmelpilz, der - trotz intensivem Einsatz von Fungiziden - auf Tulpenzwiebeln um die Welt transportiert wurde und lebensbedrohliche Krankheiten verursachte.
In einem anderen Einzelbild, das einem sofort Angst einjagt, fängt der österreichische Filmproduzent Oliver Ressler den wilden Ansturm eines schwarzen Hundes mit bloßen Reißzähnen ein, der die Beobachter beißen zu wollen scheint. Im Hintergrund Lauffeuer. Das Werk „Dog Days Bite Back“ (Hundetage beißen zurück) stellt eine englische Redensart wörtlich dar und spielt auf die Aussage von António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, über den vorigen Sommer an, der der heißeste je aufgezeichnete gewesen sein soll, „Die Hundstage des Sommers bellen nicht nur, sie beißen sogar“.
Auch Wölfe laufen durch den Raum herum in einem Rudel, dessen Teil eine Frau auf allen Vieren ist. Die drei bronzefarbenen Statuen „Unter Wölfen“, von denen keiner ahnt, dass sie eigentlich aus Kunstharz bestehen, sind von der Österreicherin Judith Wagner signiert und verweisen auf die Utopie einer sofortigen Verbindung mit der unberührten Tierwelt.
Grüne Galerie
Läuft man zum Ausstellungsraum SAC-Malmaison (Malmaison-Werkstätten, Calea Plevnei 137C, Gebäude B, 2. Stockwerk) hinüber, betritt man eine Art Labor oder grüne Galerie mit fast 200 Topfpflanzen (Efeututen) auf weißen Regalen und 21 Kuriositäten. Mit der Unterstützung des Österreichischen Kulturforums wurde der große Ausstellungsraum dieses 2021 von der Gesellschaft der Gegenwartskünstler in Betrieb genommenen Werkstättengebäudes heuer saniert und neu weiß gestrichen. In der aktuellen Einrichtung mit weißen Regalen ermöglicht der Raum einen Einblick in eine neue alltägliche Realität, das Zeitalter der Menschen.
Im Touch-nature-Lab sind alle Exponate wie Laborproben mit Etiketten versehen, welche ihre stoffliche Zusammensetzung und die Aufbewahrungsdauer (Ausstellungsdauer) angeben.
Am Eingang liegt quer auf dem Boden unter dem ironischen Titel „Gone With the Wind Farm“ (Mit der Windfarm verschwunden) eine gebogene „erschöpfte“ Windturbine, wie sie dessen Autor, Paul Spendier, beschreibt. Diese scheint unter dem Druck der übernommenen Verantwortung für die Bekämpfung der globalen Energiekrise zerfallen zu sein.
Noch humorvoller wirkt die „Überquerung der Alpen mit dem Euter“, ein Foto von Elmar Bertsch mit dem rosafarbenen Heißluftballon in Form eines Euters über die Alpen, den die Künstlerin Barbara Anna Husar als soziale Skulptur geschaffen hat. Dieses Werk soll die Aufmerksamkeit auf Werteänderungen und den Perspektivenwechsel in der Beziehung zur Umwelt im 21. Jahrhundert lenken.
Ernsthafter und zugleich poetisch beobachtet und dokumentiert Alexandra Kontriner in ihrer Bilderreihe „Nordbahnhof“ das Artensterben und den Umwandlungsprozess in der Natur anhand einer Landschaft im hauptstädtischen Bahnhofspark gegenüber dem Nordbahnhof mit Wasserfarben in Grautönen. Mit einer weiteren Naturtragödie setzt sich Peter Hauenschild in seiner Grafikreihe „Rotbuche“ aus-einander. Darin zeichnet er in einer fast rechtsmedizinischen Herangehensweise mit Kohle auf Papier aus unterschiedlichen Blickwinkeln Stillleben vom Sterbeprozess eines gefällten Baumes, der Spuren menschlichen Eingreifens in seine natürliche Lebensbahn trägt, welches offensichtlich sein Sterben verursacht hat.
Ein diesmal friedlicheres Zusammenleben von Menschen und Natur gibt die Schwarz-Weiß-Fotoserie „Green Line“ (grüne Linie) von Larisa Crun]eanu wieder. Mittels Überlagerung von Stadt- und Naturbildern ergibt sich eine Dichotomie städtischer und kultureller Räume, die Menschen in ihrem Alltag durchqueren, und der Natur, die ihnen im Weg steht und zu der sie doch immer wieder zurückkehren. Diese Rückkehr grenzt in der Vorstellung von Larisa Crun]eanu an Flucht und zugleich an die Unmöglichkeit, andere Wege zu wählen. Außerdem gelingt es der Künstlerin, ein früheres, ‚grüneres‘ Stadtbild durch ihre Kunstfotografie wiederherzustellen.
Das Projekt wird von der Gesellschaft der Gegenwartskünstler SAC und dem Österreichischen Kulturforum mit Unterstützung des österreichischen Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten im Rahmen der Initiative IMAGINE organisiert. Weitere Informationen darüber sind unter instagram.com/touch.nature_project/ erhältlich.
Die zweiteilige Ausstellung kann in den Galerien SAC-Berthelot (Str. General H. M. Berthelot 5) und SAC-Malmaison (Malmaison-Werkstätten, Calea Plevnei 137C, Gebäude B, 2. Stockwerk) bis zum 30. Juni besucht werden.