Am 16. April war das Sinfonieorchester der Philharmonie „George Enescu“ mit zwei bedeutenden Werken russischer sinfonischer Musik im Bukarester Athenäum zu hören. Es erklangen Pjotr Iljitsch Tschaikowskys Violinkonzert sowie Igor Strawinskys Ballettmusik „Le sacre du printemps“. Solistin des Abends war die aus der Republik Moldau stammende junge Geigerin Alexandra Conunova, die musikalische Leitung hatte der aus Bukarest gebürtige Cristian Badea inne, der auf eine lange und erfolgreiche internationale Karriere als Opernkapellmeister und gefeierter Dirigent sinfonischer Werke zurückblicken kann.
Noch vor Beginn des Ohrenschmauses konnte man sich optisch an der Abendrobe der Solistin erfreuen, die, gefolgt vom Dirigenten, in weißem Gewand mit Dianadekolleté die Bühne des Athenäums betrat. Doch schon beim Stimmen des Soloinstruments vergaß man den Augenschmaus und wurde von den Klängen der Violine des venezianischen Geigenbauers Santo Serafin aus dem Jahre 1735 in Bann gezogen, die mit ihren kräftigen Schwingungen den Kuppelraum des Bukarester musikalischen Rundtempels volltönend füllte.
Cristian Badea war während der gesamten Darbietung des Tschaikowskyschen Violinkonzertes eifrig bemüht, das Orchester der Philharmonie „George Enescu“ beständig zurückzunehmen, um der jungen Solistin Alexandra Conunova, die bereits Auszeichnungen bei mehreren bedeutenden Violinwettbewerben, darunter den ersten Preis des Joseph Joachim-Violinwettbewerbs (2012), errungen hat, breiten Raum für die klangliche Entfaltung ihres Instruments und ihrer grandiosen Violinkunst zu gewähren.
Schon in der solistischen Introduktion konnte man sich den schwelgerischen, satten, lebendigen Tönen der Santo Serafin-Violine rückhaltlos hingeben, und als dann zu Beginn des „moderato assai“-Teils das erste Hauptthema des ersten Satzes erklang, war man bereits völlig im Banne der sanglichen Qualitäten des Tschaikowskyschen Werkes, die, nach einer kurzen Unterbrechung durch rhythmisch akzentuierte Figuren, Sechzehnteltriolen und Zweiunddreißigstelläufe, im zweiten Hauptthema des ersten Satzes „con molto espressione“ erneut aufstrahlten.
In den darauf folgenden mit rasender Geschwindigkeit vorgetragenen Quintolen, Septolen und Undezimolen, in den Triolenstellen „poco più mosso“ und in den wilden Doppelgriffpassagen trat dann ein anderer Charakter des Tschaikowskyschen Werkes hervor, bei dessen musikalischer Umsetzung die Solistin ebenso zu überzeugen wusste wie in den berauschenden lyrischen Passagen zuvor. In der von Tschaikowsky in den Durchführungsteil platzierten Kadenz – herrlich die hohen Flageoletttöne auf der E-Saite! – ließ dann Alexandra Conunova ihre Virtuosität aufblitzen, aber auch ihre tiefe musikalische Gestaltungskraft walten. Besonders gelungen war dann der Übergang zum Wiedereinsatz des Tutti, wobei Cristian Badea hier dem Orchester mehr Raum und Klangfülle gewährte und so den sinfonischen Charakter des Solokonzertes eindrucksvoll unterstrich.
Nach der langen Reprise des ersten Satzes mit dem fulminanten „più mosso“-Schluss erklang dann die verinnerlichte Canzonetta, die, vielleicht gerade wegen der geringen technischen Anforderungen, klanglich besondere Ansprüche an den Solisten stellt. Hier ließ Alexandra Conunova ihre Violine seraphisch singen und man hätte als Zuhörer ewig der elegisch-melancholischen Melodie folgen können, wenn der Komponist nicht mit einem „attaco subito“ den zweiten Satz abrupt hätte enden und in den dritten, „allegro vivacissimo“ überschriebenen, hätte hineinstürzen lassen.
Hier schien Alexandra Conunova, insbesondere in den zahlreichen Sechzehntelpassagen, wahre Geschwindigkeitsrekorde aufstellen zu wollen, und man war immer froh, wenn das Orchester gemeinsam mit der Solistin die Ziellinie passierte, um sich in einer nächsten Galopprunde gegenseitig weiter zu jagen. Wunderbar auch der „meno mosso“-Teil, die darauf folgenden Doppelgriffpassagen im Anfangstempo und der rasante Konzertschluss.
Heute, über dreizehn Dezennien nach der Uraufführung des Werkes im Jahre 1881 in Wien, ist kaum mehr nachvollziehbar, dass der für die Wiener Uraufführung des Werkes vorgesehene Solist Leopold Auer das Stück als undankbar, unviolinistisch und technisch unspielbar ablehnte, und dass der berühmte Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick, der die Uraufführung mit dem Geiger Adolf Brodsky miterlebte, Tschaikowskys Violinkonzert mit folgenden Worten zerriss: „Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Violine gezaust, gerissen, gebläut.“
Nachdem die Solistin die Zuhörerschaft zugabenlos in die Pause entlassen hatte, erklang dann im zweiten Teil des Konzertabends ein Werk, das bei seiner Pariser Uraufführung im Jahre 1913 einen heftigen Skandal erlebte: Igor Strawinskys zweiteilige Ballettmusik „Le sacre du printemps“. Gelächter, Pfiffe, Tumult begleiteten die Premiere im Théâtre des Champs-Élysées, und das Werk konnte nur deshalb zu Ende gespielt werden, weil der Dirigent Pierre Monteux sich damals von den eklatanten Störungen nicht beeindrucken ließ.
Für das Bukarester Auditorium war die Darbietung des „Frühlingsopfers“, wie die deutsche Übersetzung des französischen Originaltitels lautet, ein wirklicher Genuss. Man freute sich am Können der Instrumentalisten, insbesondere an den hohen Soli des ersten Fagottisten, an der Meisterschaft des Dirigenten und an der Komplexität des Strawinskyschen Werkes mit seinen dissonanten Strukturen, seiner Polytonalität und Polyrhythmik, seiner Überlagerung klanglicher und motivischer Schichten, seinen Ostinati und seinen folkloristischen Wurzeln, die auch im Untertitel des Werkes „Bilder aus dem heidnischen Russland“ angesprochen sind.
Überwältigend war der Schluss des ersten Teils, der im wildesten Fortissimo jäh abbricht und die Bukarester Zuhörer mit Nachklängen zurückließ, die an Geisterlärm gemahnten und sie erschauern machten. Ähnlich brutal und barbarisch endet auch der zweite Teil des Werkes, das – neben den beiden anderen frühen Ballettmusiken von Strawinsky „Der Feuervogel“ und „Petruschka“ – heute noch gerne konzertant aufgeführt und vor allem auch auf der Bühne getanzt wird, was die lange Liste der Ballettchoreografien der Gegenwart beweist, nicht zuletzt die Einstudierung von „Le sacre du printemps“ aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums der Uraufführung am Uraufführungsort durch die deutsche Choreografin Sasha Waltz.