Transnistrien – der Name hat für viele einen finsteren Klang. Steht er doch heute für den seit 1992 separatistischen, russisch dominierten Gebietsstreifen im Osten der Republik Moldau und somit für eine latente Bedrohung seiner Nachbarn. Schlimmer noch steht das weitaus größere „Gouvernement Transnistrien“ (heute überwiegend Südukraine) unter der Herrschaft des Diktators Ion Antonescu von 1941-44 als Synonym für den rumänischen Holocaust. Hier vollzog sich die Vernichtung von Juden und Roma aus Bessarabien, der Bukowina und Rumänien, die in die zahlreichen Arbeitslager und Ghettos getrieben wurden in Kollaboration mit deutschen und ukrainischen Faschisten. Im letzten Jahrzehnt hat die Aufarbeitung durch etliche wissenschaftliche Studien (u. a. berichteten wir in der ADZ über Publikationen von Mariana Hausleitner, Diana Dumitriu, et al.), aber auch durch die Errichtung des Holocaust- Denkmals in Bukarest und den jährlich wiederkehrenden Gedenktag des Holocaust am 27. Januar die rumänische Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisiert.
Anlässlich dieses Gedenktages wird nun nach coronabedingter Verzögerung der Dokumentarfilm als Ergebnis eines Projektes des IKGS zur Erinnerungskultur unter der Leitung von Markus Winkler veröffentlicht.
Der Protagonist, Felix Zuckermann, ist dem inte-ressierten Publikum kein Unbekannter. Ist er doch der Sohn von Rosa Zuckermann aus dem Dokumentarfilm „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ von Volker Koepp, der unter großem Zuspruch auf der Berlinale 1999 uraufgeführt wurde. Ein anrührendes Stück über den täglichen Dialog zweier betagter Czernowitzer Juden, ihre Liebe, trotz allem, zur deutschen Sprache und ihren Erinnerungen.
Czernowitz/Cernăuți, das „Jerusalem am Pruth“, in der einst habsburgisch geprägten Bukowina, mit seinen weltweit bekannten Dichtern Paul Celan, Rose Ausländer, Selma Meerbaum-Eisinger, um nur die berühmtesten zu nennen, ist die Heimat der Familie Zuckermann und der Ausgangspunkt für eine Reise in das finstere Herz der Vergangenheit. 16 Jahre nach dem Tod der verehrten Mutter, macht sich der im Czernowitz der Nachkriegszeit geborene Sohn auf die Suche nach den Lagern und Ghettos im ukrainischen Transnistrien, in denen seine Mutter einst gelitten hatte. Vom Grenzort und Bahnhof Mărculești durch den durch Massenerschießungen berüchtigten Wald von Cosăuți führt der Weg über den Dnister nach Mohyliv-Podilskyi, dem größten Ghetto und Durchgangslager Transnistriens, bis er schließlich im ehemaligen Ghetto von Bershad endet, aus dem Rosa Zuckermann als einzige Überlebende ihrer Familie 1944 befreit wird. Von den unmenschlichen Bedingungen, den fürchterlichen Umständen, unter denen Rosa Zuckermann ihre erste Familie, Sohn, Ehemann und Eltern verlor, und den harten Lebensumständen im Ghetto berichtet der Film, direkt, durch die letzten noch lebenden Zeitzeugen, durch alte Film- und Tonbandaufnahmen oder zeitgenössische Kunstwerke. Im Kontrast dazu stehen Landschaftsaufnahmen, die vordergründig eine beinahe ländliche Idylle suggerieren. Erstaunlich auch, dass viele Orte des Schreckens heute scheinbar unberührt, wenn auch verfallen, immer noch aufgesucht werden können.
Begleitet wird Zuckermann auf dieser Reise von seinem Freund, Mykola Kushnir, dem Leiter des Jüdischen Museums Czernowitz, der auch die Begegnungen mit der jüdischen Gemeinde in Mohyliv-Podilskyi oder die Führung durch das heute verfallene Ghetto von Bershad mit Efim Vigodner organisiert. Begleitet wird dieses Unterfangen jedoch auch durch Germanistik-Studenten und Studentinnen der Universitäten Czernowitz und Chișinău (Rep. Moldau). In einem multinationalen Workshop haben die jungen Leute die Deportationsrouten nachverfolgt, sich durch Dokumentationsmaterial gearbeitet und viele Begegnungen und Interviews arrangiert. Beeindruckend zeigt der Film, mit welcher Ernsthaftigkeit die jungen Leute, fern von alter k. u. k.-Nostalgie, aber auch ohne eigene Erfahrung der Schrecken der Nazi-Herrschaft oder des sowjetischen Regimes, sich diesem meist unbekannten Kapitel der eigenen Geschichte nähern. Gedreht vor Beginn der Coronapandemie und vor Beginn des Ukraine-Krieges verbreitet dieses Stück multinationaler Kooperation schon selbst wieder einen Hauch von Nostalgie. Umso sehenswerter erscheint dieser Dokumentarfilm nicht zuletzt auch als Hoffnungsschimmer für eine friedlichere und tolerantere Zukunft.
„Vergessener Holocaust - Eine Reise nach Transnistrien“ (Dokumentarfilm, DE/UKR/MD 2020, 35 Min., Deutsch und OmdU). Regie: Resa Asarschahab, Konzept: Markus Winkler und Kristina Forbat. Mit Felix Zuckermann, Oleksii Yakoviichuk, Mykola Kuschnir, Klara Katz u. a.
Projekt des IKGS, in Zusammenarbeit mit dem Museum für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina (Czernowitz, Ukraine), der Nationalen Jurij-Fedkowytsch-Universität (Czernowitz) und der Staatlichen Universität der Republik Moldau (Chișinău).
Links zum Film: https://youtu.be/xg-kNnSlxGg (deutsch), https://youtu.be/NSDM2A7Mnhk (rumänisch)