Beschrieben wurden sie teilweise vor über einem halben Jahrhundert. In einem Koffer aufbewahrt, waren einige der Blätter von Mäusen angenagt. Es sind Manuskripte von Eginald Schlattner, die im Sommer 2009 in einem großen Koffer vom Pfarrhof in Rothberg/Roşia nach Hermannstadt/Sibiu in das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A. B. gebracht worden sind, wo sich der Vorlass des bekanntesten siebenbürgischen Schriftstellers befindet. Dass es sich um Schriftstücke aus einer bis dahin sozusagen unbekannten Schaffensperiode Eginald Schlattners handelt, stellte man beim Öffnen des Koffers überrascht fest. Schlattner, der seine drei mittlerweile in zahlreiche Sprachen übersetzten Romane nach 1990 geschrieben hat, gab wiederholt an, seine Schublade sei in den Jahren davor leer gewesen. Bekannt war bislang öffentlich nur, dass er als Student zu den schriftstellerischen Nachwuchshoffnungen gehört hatte und zwei seiner Erzählungen vom damaligen Staatsverlag für Kunst und Literatur angenommen, lektoriert und für den Druck vorbereitet worden waren. Die Verhaftung 1957 und Verurteilung in einem politischen Prozess bedeuteten das Aus für Veröffentlichungen. Als sein erster Roman „Der geköpfte Hahn“ erschien, sprach man von einem Spätdebüt. Schlattner war mittlerweile über 60.
Eine Korrektur in Schlattners Schriftstellerbiografie gelingt der jungen Berliner Literaturwissenschaftlerin Michaela Nowotnick: Nachdem sie seit 2008 den kompletten Vorlass verzeichnet und für die künftige Forschung zugänglich gemacht hat, stellte sie nun eine Auswahl von Texten aus Schlattners Frühwerk zusammen. Es sind Texte, die er offenbar nur für sich verfasst hatte, aber aus denen er auch schon mal im kleinen Freundes- und Bekanntenkreis las. Die erfassten Erzählungen bilden einen Querschnitt durch nahezu 50 Jahre. Sie handeln von dem Leben als Teil der deutschsprachigen Minderheit, von Einsamkeit und Liebe in Zeiten der Diktatur. Zusammengefasst hat Michaela Nowotnick sie in zwei Bänden, die unter dem Titel „Mein Nachbar, der König“ sowie „Odem“ im März im Schiller Verlag Hermannstadt-Bonn erscheinen. Der Autor selbst hatte diese unter Zensur entstandenen Texte nicht in seine literarische Biografie aufgenommen. Nun jedoch wird er aus den „Verlassenen Erzählungen in einer versunkenen Welt“ (so der Untertitel einer der Veranstaltungen) am 15. März im KulturHaus Loschwitz in Dresden lesen. In der Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa findet am 18. März bei der Buchmesse in Leipzig (OstSüdOst, Halle 4, Stand E505 Reihe Literatur aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa) eine weitere Lesung statt.
Die anschließenden Publikumsgespräche erfolgen im Beisein der Herausgeberin Michaela Nowotnick. Diese bietet am 20. März Studenten und anderen Interessierten im Literaturhaus in Berlin einen Workshop an, in dessen Mittelpunkt Schlattners frühe Texte stehen. Am gleichen Tag wird ebenda der von Walter Wehmeyer gedrehte Streifen über Schlattner „Von der Macht des Verdächtigens“ gezeigt und schließlich liest der Autor. Im Rahmen der Usedomer Literaturtage, die zwischen dem 28. März und 1. April stattfinden, kommt die von Radu Gabrea gezeichnete Verfilmung des Schlattner-Romans „Rote Handschuhe“ zur Aufführung, wonach ein Gespräch mit dem Regisseur und dem Romanautor, aber auch eine Lesung von Eginald Schlattner im Programm stehen.