Der aus Siebenbürgen stammende Erzähler, Romancier und Essayist Hans Bergel begeht am 26. Juli 2020 seinen 95. Geburtstag. An Glückwünschen, an anlassbedingten Würdigungen des in Gröbenzell bei München lebenden Autors wird es nicht fehlen. Auch die ADZ reiht sich in den Kreis der Gratulanten ein, mit persönlich gehaltenen Kommentaren: mit einer Folge von Briefzitaten.
Briefe ihrer Leser werden von Autoren mit Spannung entgegengenommen, und meist freuen sie sich darüber. Diese allgemeine Feststellung wird von Ernst Jünger feinsinnig begründet: In den Schreiben der Leser äußern sich Zeichen, „wie sie mit dem Eintritt in ein Wirkungsfeld verbunden sind. So müssen Spuren, sei es von Belebung, Erregung, Dank und Heiterkeit, sei es von Schrecken, sichtbar sein. Auch muss man erkennen, wenn nicht die Zeremonien, die in der Residenz der Sprache am Platze sind, so doch den Willen, sie zu vollziehen, wie ungelenk er sich auch äußern mag“ („Gärten und Straßen“. Berlin: Mittler & Sohn 1942, S. 109).
Auf manche Neuerscheinungen Hans Bergels bin ich brieflich eingegangen, in zustimmenden Kommentaren, und habe damit Zeichen in das erwähnte Wirkungsfeld ausgesandt. Es sei mir erlaubt, aus der im Lauf der Jahre abgesandten Korrespondenz einiges zu zitieren, zunächst Äußerungen zur erzählenden Prosa.
Der umfangreiche Band „Am Vorabend des Taifuns. Geschichten aus einem abenteuerlichen Leben“ (Berlin: Noack & Block 2011) fesselte mich von der ersten bis zur letzten Seite. Das konnte ich dem Autor am 25. Januar 2011 melden und festhalten: „Die Erzählungen nahm ich als Proben einer lebensvollen Darstellungskunst auf, nie fehlt es den Episoden, den geschilderten Personen an Anschaulichkeit und Prägnanz.“ Welche der Erzählungen mir „bestens komponiert, bis ins Detail stimmig“ erschienen, wurde aufgezählt, auch gab ich an, wo „manche Einzelschilderung“ im Rahmen des Genres „vorbildlich“ abgefasst sei.
Und ich teilte dem geschätzten Schriftsteller wei-terhin mit: „Was mir die Lektüre angenehm machte, was sie schier unentbehrlich werden ließ, war der ärztlichen Weisung geschuldet, ich solle mich im Haus aufhalten und möglichst viel liegen. Wegen einer, inzwischen geheilten, Lungenentzündung. Ich kam ihretwegen gar nicht in Versuchung, wie Meschendörfer auszurufen: ´Ach, wie herrlich war die Rippenfellentzündung…´, da ja der medizinische Befund bei mir anders lautete, aber vergleichbar war die Lage schon. (Meschendörfer, ´eingeschnürt in nasse Tücher´, konnte endlich in aller Ruhe Jean Pauls ´Titan´ lesen, was seinem 1967 von Georg Scherg herausgegebenem Gedichtband zu entnehmen ist.)“
Anerkennung äußerte ich auch über die „Geschichten aus Siebenbürgen“, die unter dem Buchtitel „Die Wildgans“ erschienen waren (München: Langen/Müller 2011). Mein Dankbrief (28. März 2011) an den Autor, der mir das Buch „mit herzlichen Grüßen über alle Entfernungen hinweg“ geschickt hatte, begann mit den Worten: „Die erste Lektüre der ´Geschichten aus Siebenbürgen´ war vom Tagesgeschehen vielfach unterbrochen worden, bei einem zweiten Lesen war ich darauf bedacht, den Zeitraum möglichst knapp zu bemessen, um einen gesammelten Eindruck von den Schilderungen aufzunehmen. Das konnte schon deshalb eher gelingen, weil die Handschrift ´HB´ für eine gewisse Einheitlichkeit sorgt, für den stets lebendigen Erzählton.“
Wieder gab ich „kennzeichnende, in ihrer Sprachgebung schöne Prosapartien“ an und setzte meine Anmerkungen folgendermaßen fort: „Treffend zur Geltung gebracht sind in der Darstellung des ´Schriftstellerprozesses´ die Augenblicke der ´Mitternachtsglocke´ während der Urteilsverkündung“ und so manche Episoden anderer „aus Deinem Leben gegriffenen Erzählungen“.
Die den Band abschließende Erzählung „Das Venusherz“ führt – so die darauf bezogene Briefstelle – „in eine seit der antiken Tragödie als bedrängend und ausweglos empfundene Personenkonstellation. Die gedämpft gefühlige, mitunter in Mollklängen gehaltene Erzählweise ist dem Vorwurf angemessen.“
Wer zu einem eher technischen (gar buchhalterischen) Literaturkonzept neigt, wird etwas über die Beweggründe zur Niederschrift eines Textes, auch über die dokumentarischen Quellen erfahren wollen, seien es mündliche Berichte, seien es schriftliche Überlieferungen. So glaubte ich, auch im Zusammenhang mit der Erzählung „Das Venusherz“ derartige Fragen vorbringen zu dürfen – „Gerne wüsste man als Leser, von welchen realen Episoden der Autor hier ausgegangen ist“.
Heutiger Einsicht zufolge erscheint mir das im Falle dieser Erzählung müßig – als käme es bei den geschilderten Vorkommnissen, wo vieles bloß Schwebezustand und seelische Schwingung bleibt, darauf an, sich nach äußeren Anstößen und stofflichen Begründungen zu erkundigen.
Der Roman „Wenn die Adler kommen“ (München: Langen/Müller 1996) hatte Aufsehen erregt und fand auch bei mir Anklang. Am 28. Juni 1997 teilte ich Hans Bergel mit: „Was mich an dem Roman anspricht, ist zunächst das anschauliche, lebensvolle Erzählen; weiterhin die Naturnähe – die Nähe zu einer auch mir vertrauten Landschaft; schließlich das Siebenbürgische, dargeboten in vielen positiven Einzelzügen, mit einer – sympathisch wirkenden – Neigung zum Familienhaften und auch zum volklichen Vielerlei. Thematisch und stofflich machst Du Dir die Vorzüge einer hier angesiedelten Episodik zu eigen, und sprachlich nutzt Du die Chancen der Ausdruckskultur, die sich Dir in Deutschland bietet.“
Die letzte Bemerkung veranlasste Hans Bergel (am 31. Juli 2011), mir zur freundschaftlichen Ermutigung klarzustellen, es seien nicht so sehr die äußeren Sprachangebote, die einen Autor begünstigten bzw. benachteiligten, vielmehr präge die geistige Individualität den jeweiligen Sprachstil. Seine längeren Ausführungen nahm ich (am 6. September 1997) dankbar entgegen und kam dann auf den Roman zurück. Ich könne sagen, „dass mich eigentlich während der gesamten Lektüre die Sprache gefesselt hat, und zwar nicht allein oder vor allem dort, wo Dynamik im Spiel ist, sondern auch in den weniger auf Spannung angelegten Partien (beispielsweise, wo es sich um Musikalisches handelt)“.
Das wiederum freute den Autor Bergel: Wenn mich die Sprache der Romanschilderung gefesselt habe, sei dies „das größte Kompliment, das mir bisher zu dem Buch gemacht wurde. So war´s vom Autor auch gemeint: weniger die Handlung, vielmehr die Sprache ist die Aktion des Romans“ (14. September 1997).
Beinahe überflüssig anzumerken, dass Bergels Epik das Lesepublikum stets in die eingangs angeführte „Residenz der Sprache“ geleitet und nicht in die Vorhöfe der sprachlichen Kommunikation.
Reiseaufzeichnungen aus seiner Feder waren mir stets willkommen, so beispiels-weise die „Europäischen Impressionen“, wo Beobachtungen „zwischen Klausenburg und Rom“ festgehalten sind (Berlin: Noack & Block 2014). Am 27. September 2014 ließ ich den Autor wissen: „Deine Eindrücke von siebenbürgischem, von rumänischem Geschehen sind für unsereins schon deshalb attraktiv, weil Umstände und Personen uns halbwegs bekannt sind und wir das Spannungsmoment dadurch besser abschätzen können, das Du zwischen Deine Wahrnehmung und die Aufzeichnung stets einzufügen weißt, das spezifisch Bergelsche Vermögen, schein-bar Disparates verbunden zu sehen, Komplexes zusammenzufassen und Ungewöhnliches zu pointieren.“
Vorträgen und Essays, in mehreren Büchern gesammelt, brachte ich das ihnen gebührende Interesse entgegen, etwa den Einzelteilen des Bandes „Glanz und Elend der Siebenbürger Sachsen. Rückblicke und Ausblicke eines Beteiligten“ (Berlin: Noack & Block 2017).
„Die einzelnen Texte erweisen“, schrieb ich am 13. Februar 2017, „dass Du viel landeskundliches Wissen aufgenommen hast, bemüht auch, neueren Erkenntnissen der Forschung Rechnung zu tragen. Stets geht es Dir darum, das Spezifikum siebenbürgischer und damit im weiteren Sinn auch südöstlicher Existenz herauszuarbeiten und für diese Besonderheiten einzunehmen. Auch die weniger aus der Gelehrsamkeit kommenden, kaum von ihr gestützten Fakten und Zusammenhänge kommen gut zur Geltung, etwa in dem persönlich geprägten Vortrag über die Karpaten als ´historischen und mythischen Lebensraum´.“
Vor fünf Jahren (am 15. Juli 2015) schrieb ich Hans Bergel einen Gratulationsbrief, aus dem abschließend zitiert sei: „Dein Geburtstag ist in diesem Jahr durch eine besondere Zahl hervorgehoben ins Denkwürdige an sich. Bei Dir kommt die schriftstellerische Leistung hinzu, ein Ergebnis vielfacher Bemühungen, die ich anfangs mit Aufmerksamkeit, zunehmend auch mit Staunen über Vielseitigkeit, Lebensfülle und Sicherheit im Ausdruck aufgenommen habe. (…) Sei herzlich beglückwünscht zu Deinem Geburtstag.“