Es gibt Dichter, die mit ihrer Poesie ihr Innerstes nach außen kehren – und andere, die sich meisterhaft darin verbergen. So ist wohl der Untertitel „Gedichte eines Knauserers 1979-2019“ des 2020 im Pop Verlag Ludwigsburg erschienenen rumänisch-deutschen Gedichtbands „Zärtlichkeit, Routine“ von Emil Hurezeanu zu verstehen.
Was ist reizvoller: Die intimsten Gedanken und Gefühle auf dem Silbertablett präsentiert zu bekommen? Oder ihnen selbst nachspüren zu müssen im lyrischen Labyrinth des „Unermesslichen und Unergründlichen“, jedes Wort darin wohlplatziert wie Adams Feigenblatt?
Wer ist der Dichter, Emil Hurezeanu, 1955 in Hermannstadt/Sibiu geboren, Schriftsteller, Publizist und Politologe, seit 2015 Botschafter Rumäniens in Berlin, der „über Jahrzehnte in den medialen und politischen Feuern des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts gestanden und seinen Mann gestanden hat“, wie der Übersetzer des 334-Seiten-Werks, der ebenfalls aus Siebenbürgen stammende Georg Aescht, im Klappentext verrät? Und hinzufügt: „in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern in Rumänien, zumal in Siebenbürgen, eine poetische Präsenz ohnegleichen.“
„Landschaft mit Gedanken“:
Das Glück des Körpers und der Bewegung
Steht zwischen dem Gedanken und seiner Geste.
Der antike Ernst, der den auf dem Meer Verschollenen
keine Ehrenstätte gewährt
Ist die Unrast die von daher rührt, dass der Geist den Leib nicht umfasst.
Erkennst du denn auf einem Schaubild der Anatomie
Das Hirn des Menschen, wenn du
Den Widerschein der Hand, der Brust,
des Blickes betrachtest?
Ich erinnere mich, wie dort ein Monster aussah:
ein regloses Modell
Der Leib allein mit sich selbst.
Das Lachen der Kinder auf der Straße
In Pompej, welches in Staunen aufgeht
Das nenne ich Glück. Das unendliche Glück des gedachten Körpers.
Auf der geschickt inszenierten Flucht durch den Irrgarten seiner Worte narrt der Lyriker den Verfolger mit Rauchfahnen, huscht wie ein Schatten zwischen den Puzzlesteinen skurriler Bilderrätsel hin und her, lässt sich nicht festnageln, nicht erhaschen, erst recht nicht zur Verantwortung ziehen.
„Am Anfang vom Ende“:
Sodann wehen Vorhänge mit gekippten Kamelen und zügellosen Scheichs
Vertrieben aus der Sahara in meinen Innenhof in Berlin.
„Jugendporträt des Künstlers“:
Irgendwann werde ich, einen schwarzen Schal um den Hals
Die chinesische Vase auf dem Klavier betrachten.
Dort ist es jederzeit grün.
Hofft er, am Ende doch noch eingefangen zu werden, vielleicht von einem ebenbürtigen Geiste?
Das authentische, verknappte, aber gerade dadurch „explizite Sprechen vom Unermesslichen und Unergründlichen“, wie es sich in Gesellschaft und Leben auftut, „wie es droht und lockt“, schreibt Aescht, „macht Emil Hurezeanus Gedichte zum Erlebnis“.
So mag man lesend verhindern, was Blaise Pascal, in „Das Vermächtnis des Rumänisten“zitiert, heraufbeschwor:
„Das ganze Unglück der Menschen rührt daher
Dass sie nicht in einer Stube stillzusitzen vermögen.“
Am Ende der Lektüre fühlt man sich genötigt, dem Helden des Gedichts zuzustimmen, das mit den Worten endet:
„Wir empören uns selten, aber denkwürdig,
obwohl die Deutschen und die Italiener sagen,
Maisbrei explodiere nicht.
Ich wundre mich nicht
Dass der ehrenwerte deutsche Rumänist
Zum Schluss nichts wollte als Ruhe
Etwas Kaffee und ein einsames Zimmer.