Aus der kommunistischen Volksrepublik in die freie westliche Welt – diesen Weg nahmen vor 1989 manche Intellektuelle aus Rumänien wie etwa die spätere Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, der Schriftsteller Richard Wagner und der Soziologe Anton Sterbling. Seit 1978 und dann vor allem in den Wendejahren nach 1989 wanderten hunderttausende Deutschstämmige aus Rumänien aus, seit 1990 aber auch Millionen von Rumänen. Anton Sterbling hat nun einen Band mit soziologischen wie politischen Studien vorgelegt, mit dem er einen teilweise sehr persönlichen (Rück)Blick auf Rumänien vor und nach der Wende wirft, und das aus der Perspektive eines Banaters, eines Securitate-Opfers und eines Ausgewanderten.
Das sehr lesenswerte Buch bezieht sich über weite Strecken auf das Banat und die Banater Schwaben, bietet aber gleichzeitig erhellende Einblicke in die Politik und Gesellschaft Rumäniens vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Der besondere Mehrwert dieses Bandes besteht darin, die Themen und Probleme durch die regionale Fokussierung über allgemeine Erkenntnisse hinaus sehr präzise wie auch persönlich zu konkretisieren und dabei gleichzeitig eine kleine (Kultur)Geschichte des Banats und der Banater Schwaben im 20. und 21. Jahrhundert nachzuzeichnen.
Der erste Teil behandelt „Das historische Banat und die schicksalhaften ‚Zeitbrüche‘ für die Banater Schwaben“ (S. 11-46), der zweite Teil „Das Banat und die Deutschen im Sozialismus“ (S. 47-105). Im dritten Teil werden politische Probleme und die Entwicklung seit 1989 dargestellt („Mitteleuropa, Rumäniens Weg in die Europäische Union und gegenwärtige Probleme“, S. 107-151). Existenziell eigene Eindrücke markiert der vierte Teil („Persönliche Rückblicke und Hypotheken der Vergangenheit“; S. 153-198).
Das Banat stellt laut Sterbling „einen Kulturraum dar, in dem sich (…) verschiedene ethnische, kulturelle und religiöse Gebilde kompliziert überlagert und administrative und politische Grenzen mehrfach verschoben haben“ (S. 16 f.). Dabei erwies sich das multiethnische Banat immer auch als „bedeutsamer ‚Zankapfel‘ konkurrierender ungarischer, serbischer und rumänischer Interessen und entsprechender Territorialansprüche“, was letztlich auch zur Dreiteilung nach dem Ersten Weltkrieg führte (S. 22 f.). Auf den vormaligen „Magyarisierungsdruck“ folgte dann eine „Rumänisierungspolitik“.
Für Sterbling gilt, „dass das Banat als grenzüberschreitende multiethnische, multikonfessionelle und multikulturelle Region bis heute ein spezifisches Gebilde darstellt und gleichsam einen europäischen interkulturellen ‚Grenzraum‘ bildet, der seine historische und kulturelle Tiefenprägung durch die im Ersten Weltkrieg untergegangene Habs-burgermonarchie zumindest noch ahnen lässt“ (S. 25). Von diesen Prämissen aus starten die weiteren Überlegungen und Studien.
Neben vielen Sachinformationen und Analysen sind es die systematisierenden Thesen, die Sterblings Buch so reizvoll machen. So arbeitet er mehrere „Zeitbrüche“ in der Geschichte der Banater Schwaben heraus: den österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867; den Wechsel der staatlichen Zugehörigkeit des größten Teils des Banats zum Königreich Großrumänien nach dem Ersten Weltkrieg; schließlich den wohl erschütterndsten Zeitbruch der Jahre 1944/45: die letzte Phase des Zweiten Weltkriegs mit heranrückender Front, Flucht, Internierungen, Deportationen und Kriegsgefangenschaft.
Ausgiebig beschäftigt er sich mit der Lage der Banater Schwaben im Kommunismus angesichts von Kollektivschuldthesen gegenüber den Rumäniendeutschen als Nazis und ethnischer Diskriminierung, mit Mentalitäten und sozialen Verhaltensmustern, die Identität und Zusammenhalt sicherten bis hin zur starken religiösen Prägung trotz staatlicher kommunistischer Ideologie. Zumindest hinterfragbar ist seine mehrfach geäußerte These, dass die ethnische Diskriminierung und Beschneidung der Rechte und kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten nach 1945 schon den Grund legte für die Auswanderungswelle ab 1978.
Für die Generation nach 1978 waren der Totalitarismus und das wirtschaftliche Desaster sowie die kollektive Auswanderungstendenz wohl genauso entscheidend, was auch Sterbling zumindest knapp andeutet (S. 55). Insgesamt kommt etwas zu kurz, dass auch die rumänische Mehrheitsbevölkerung unter der Diktatur und Enteignungen litt und eben auch Millionen nicht „ethnisch diskriminierter“ Rumänen aus nachvollziehbaren Gründen nach 1990 emigrierten. Sehr instruktiv sind seine Hinweise auf traditionale kulturelle und soziale Selbstvergewisserung der Banater Schwaben unter Berücksichtigung der Bundesrepublik Deutschland als „Bezugsgesellschaft“.
Sterbling beschreibt die verschiedenen Phasen zwischen Stalinismus, „Tauwetterperiode“ und Entspannung, totalitärem Nationalkommunismus, der Wendezeit und der Zeit 1989. Eigene Studien widmen sich dem Banater Bergland und der Integration der ausgewanderten Banater Schwaben in Deutschland, die er als „mustergültig“ kennzeichnet (S. 96). Auch wenn Sterblings Darstellung der gelungenen Integration der Banater Schwaben in Deutschland vollkommen zutreffend ist, wirkt das doch gelegentlich wie eine Festschrift zur (menschlich und politisch verständlichen!) Auswanderung. An dieser Stelle dominiert der eigene Blickwinkel des Ausgewanderten die Gesamtperspektive. So kommt über der berechtigten Würdigung des erfolgreichen Neustarts der Aussiedler in Deutschland der von der Auswanderung ausgelöste Kulturabbruch in der Heimat etwas zu kurz, wie auch die Frage, wie die Verbliebenen ihr Leben seit 1990 meistern.
Hochinteressant ist der Beitrag über Rituale und Gegenrituale im Sozialismus und deren soziale Funktionen. Hier beschreibt er sehr tiefgründig die Parallelität mancher Strukturen und die regelrecht „unkaputtbare“ religiöse Prägung der Banater Schwaben, aber auch der Rumänen. Dabei vergleicht er auch kirchliche und kommunistische Aufnahmeriten in die Kirche durch die Erstkommunion bzw. die Pioniere der Partei durch den „patriotischen Eid“. So standen Pionierkrawatten und Kommunionherzen für gleichzeitig erlebte Parallelwelten, die Sterbling aus eigener Lebenserfahrung schildert.
Die politische und auch ökonomische Entwicklung zeichnet der dritte Hauptabschnitt nach. Hier werden auch viele erhellende Wirtschaftsdaten genannt, wie vorher schon präzise Auswanderungszahlen seit 1950. Sterbling skizziert den politischen Weg Rumäniens in die EU und bis heute bestehende Probleme vom Klientelismus über das instabile Parteiensystem bis zur Korruption. Er betont zu Recht, „dass die politische Praxis recht auffällig an den Eigeninteressen der politischen Eliten und ihnen nahestehender Gruppen oder Klientelen ausgerichtet erscheint“ (S. 129) und politische Positionen nicht dem Gemeinwohl, sondern der persönlichen Bereicherung dienen, macht aber auch deutlich, dass teilweise hochrangige korrupte Politiker strafverurteilt wurden wie Ex-Premier Adrian Năstase.
Beklemmend und eindrücklich zugleich sind schließlich die autobiographischen Schilderungen Sterblings über das Wirken der Securitate vor 1989, das er bis zu seiner Auswanderung am eigenen Leib erlebt hat, sowie den schwierigen Umgang mit dem Securitate-Erbe nach der Wende, das die Gesellschaft bis heute vergiftet. Als Gründungsmitglied der regimekritischen „Aktionsgruppe Banat“ stand Sterbling im Fokus der Securitate, vor und nach seiner Auswanderung. Er schildert aus eigener Erfahrung Mechanismen, Methoden und Strukturen des Geheimdienstes und auch die mannigfaltigen Bemühungen zur Vertuschung von Seilschaften und zur Vernichtung von Akten nach der Wende. Sterbling legt ein sehr empfehlenswertes Buch vor, dessen Studien viele Einsichten bieten.