Der von Raluca Ilaria Demetrescu kuratierte Pavillon für neuere Kunst ist als Ort der Begegnung und des Dialogs zwischen zeitgenössischen Künstlergenerationen von 18 bis 90 Jahren und dem Publikum, egal ob mit Kunst vertraut oder uneingeweiht, gedacht. Die Vielfalt an Kunstmitteln reicht von Malerei, Bildhauerei, Grafik, Keramik-, Textil-, und Fotokunst bis hin zu Multimedia, Pappmaschee, Installationen, Performances, Zuckerskulpturen und 3D-Print. Das Event entfaltet sich an der Schnittstelle zwischen neuer und alter, aufstrebender und etablierter, klassischer und aktueller, abstrakter und beschreibender Kunst.
Zweck der Ausstellung ist, einen Zeitbogen zwischen den Generationen zu schlagen und die Geschichte des Ortes und der Künstler, die ihn beleben, zu vermitteln. Die Ausstellung wirft ein neues Licht auf die jüngste Geschichte im Kollektivgedächtnis und die Bedürfnisse der Gesellschaft, vor allem jetzt im zweiten Jahr der Corona-Pandemie. So kann die aktuelle Kunst die Antwort sein, die das Publikum zur Deutung der Gegenwart braucht.
Einheit im Anderssein
„Art Safari“, das größte Kunstfestival in Rumänien, findet zum achten Mal in Bukarest statt und vereinigt nicht nur klassische und impressionistische Kunst, sondern auch Street Art und unmittelbare Einsätze von jungen Künstlern in den Ausstellungsräumen, auf den Treppen und Flurwänden des Bukarester Dacia-Palasts in der Str. Lipscani Nr. 18-20. Neben den vier Ausstellungen mit Werken der berühmten rumänischen Künstler Samuel Mützner, Constantin Piliuță und mehr oder weniger bekannten, allerdings nicht genug geförderten, und der international anerkannten, 2019 verstorbenen Ecaterina Vrana findet die junge Kunstszene ihren Platz unter demselben Dach.
„Superhelden/Antihelden“ ist heuer das Thema des Pavillons für zeitgenössische Kunst, der darauf abzielt, Trends in der rumänischen neueren Kunst und die junge Künstlergeneration vorzustellen. Der rote Faden ist heuer Einheit im Anderssein, die Vielfalt der Kunst und Stile. Wie üblich haben Projektmanagerin Ioana Ciocan und das Veranstalterteam auch für Gleichberechtigung unter Geschlechtern, Altersgruppen und Kunstmitteln gesorgt.
Stoffgewordene Gegenwartskritik
Einen Versuch zu Deutung und Kritik der Gegenwart übt die politisch und sozial engagierte Künstlerin Lilian Theil. Die 89-jährige Kronstädterin wurde 1952 wegen „ungesunder Herkunft“ von der Kunstakademie „Nicolae Grigorescu“ in Bukarest ausgeschlossen und zusammen mit der ganzen Familie evakuiert. Ihre künstlerische Tätigkeit hat sie erst zwei Wochen nach der Revolution 1989 wieder aufgenommen. Ihre Vorliebe für Textilien erklärt sie dadurch, dass sie „kein Freund der Wegwerf-Gesellschaft“ sei. Ihre Gedanken bringt sie mit Nadel und Zwirn zum Audruck. Die sechs bei „Art Safari“ ausgestellten „Fetzenbilder“, so auch der Titel ihrer Ausstellung vom letzten Jahr in der evangelischen Kirche in Bukarest, aus der diese Kunstwerke stammen, reflektieren ihre kritische Haltung gegenüber Ereignissen aus dem vergangenen Jahrhundert: Krieg, das totalitäre Regime; aber auch ihre Gedanken in Bezug auf die Umwelt, den Konsumwahn, Familienbeziehungen und was es heutzutage heißt, ein anständiger Mensch zu sein.
Im selben Geist zeigt Cristina Oprișenescu ihren rot-blauen Bildteppich „Einsamkeit der Götter“, wobei mit Götter Musiklegenden wie Freddie Mercury oder Jim Morrison (die Vokalisten der Bands Queen bzw. The Doors) gemeint sind. Im Hintergrund ein Bild der Zukunftsstadt Metropolis, die der gleichnamigen Zukunftsdystopie von Fritz Lang (1927) entstammt, filmgetreu nachgenäht. Der Bildteppich vermittelt spürbar Melancholie, genauso wie der Wandteppich „Herbst“ mit bunten pflanzlichen siebenbürgischen Motiven auf grauem Hintergrund von Lena Constante oder die völkischen Stickereien, um die Cela Neamțu Studien der „ie“-Bluse aus der rumänischen Volkstracht gezeichnet hat.
Monalisa oder Rachegöttin? Frauenbilder
Den Volksmärchen und der lokalen Geschichte entnehmen ihre Inspiration Răzvan Botiș, dessen kleine Keramikfiguren im Stil des „faux naďve“ (falsche Einfalt) den Eindruck einer süßen, kinderartigen Unschuld erwecken, und Sergiu Cihaia durch seine weiße, „Waldmutter“ betitelte Kunstinstallation mit Draht, Papier und Pappmaschee, aber auch Cornelia Dăneț mit „Albumblatt“, einer Lithografie auf Papier aus dem Jahr 1965, die ihren weiblichen Familienstammbaum darstellt.
Die Vorfahren nehmen sich auch andere Künstler, etwa Cornelia Dăneț zum Vorbild. Für Keramikerin Andra Achim gelten die weiblichen Figuren aus ihrer Familie, vor allem ihre Mutter, als Heldinnen und veranlassten sie zum Schaffen des abstrakten Keramikwerks „A.maze“, welches durch ein Wortspiel auf die weibliche Symbolik und das Mysterium der Frau als komplexes Wesen anspielt.
Frauen als Sujet bilden einen wesentlichen Teil der Ausstellung. Jedoch werden sie oft in erniedrigender Pose als Opfer von Gewalt, Grausamkeit und, in der Ausstellungsabteilung für Erwachsene, sogar von pathologischen sexuellen Phantasien und Pornografie dargestellt. Haben die Autoren jener Werke den Begriff „Antiheld“ falsch verstanden? Oder bedienen sie die Zerbrechlichkeit und Kraftlosigkeit der abgebildeten Frauen bewusst bis ins Extrem, als Gesellschaftskritik?
Eines der Frauenbilder, das eher positiv wirkt, ist die auf dem Poster von „Art Safari“ 2021 abgebildete Ölmalerei von Irina Dragomir, „Superwoman“, welche eine im blauen Kostüm des Comichelden Superman gekleidete Frau zeigt, die ihre mit Wundpflastern bedeckten Hände vor die Augen hält und trotzdem lächelt. Mit dieser modernen Superheldin kann sich jede Frau identifizieren, die nicht immer über genügend Mut verfügt, aber trotz ihrer Ängste stets bereit ist, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen, die nie den Kampf aufgibt, auch wenn sie manchmal ein blaues Auge davonträgt, und dann auch noch die Kraft zum Lächeln findet.
Die starke Frau wird auch in der Fotomontage von subReal mit dem Titel „Draculaland“ thematisiert. Deutet diese neu kontextualisierte Collage von Leonardo da Vincis „Monalisa“ mit dem Kopf des rumänischen Fürsten aus dem 15. Jahrhundert, Vlad Draculea, dem Pfähler, der sowohl für seine Gerechtigkeit als auch für die grausamen Folterstrafen für Diebe, Verräter und kriegerische Feinde seiner Zeit bekannt ist, wohl darauf hin, dass die heutigen Frauen sowohl etwas von Monalisas Zartheit behalten haben und trotzdem wie Rachegöttinnen agieren?
„Helden“ aus Weltpolitik und Hinterhof
Viele Kunstschaffende haben unter Helden politische Akteure verstanden. So entstanden Ölbilder wie Valeriu Mladins „Gradient“, der die ehemaligen amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln und Barack Obama in perfekter Symmetrie suggestiv schwarz-weiß darstellt, oder Marilena Murarius „Work in Progress“, welches auf die politischen Beziehungen zwischen Donald Trump, Königin Elisabeth II., Angela Merkel, Emmanuel Macron und George Soros hinweist.
Manchmal gibt es Helden, die unbesungen bleiben, wie Künstlerin Alexandra Tudosia durch ihre Malerei auf einer Schaufel, dem überraschendsten Kunstobjekt, andeutet. Diese „Helden aus dem Hof“ vergleicht sie mit Hühnern, die sich zu unserem Wohl opfern und entprechend auf ein Schaufelblatt gemalt wurden.
Die neue Kunstszene zeichnet sich als vielfältig, aufschlussreich, (auto)bio-grafisch, (selbst)kritisch, fordernd und selbstbewusst, politisch-sozial engagiert, integrierend in Bezug auf ethnische und geschlechtliche Minderheiten, minimal-konzeptuell, ästhetisch-visuell, erotisch oder träumerisch aus. Die Ausstellung kann noch bis diesen Sonntag im Dacia-Palast besucht werden.