Wege in die Modernität

Pastelle, Aquarelle und Zeichnungen von Ştefan Luchian in Bukarest

Ştefan Luchian: „Safta, die Blumenverkäuferin“ (1901)

Im Kabinett für Zeichnungen und Druckgrafik der Galerie moderner rumänischer Kunst, das im zweiten Obergeschoss des Nationalen Kunstmuseums Rumäniens in Bukarest untergebracht ist, ist noch bis zum 26. April 2015 eine Ausstellung zu sehen, die Pastellen, Aquarellen und Zeichnungen des rumänischen Malers Ştefan Luchian gewidmet ist. Die insgesamt 32 Exponate geben Aufschluss über die stilistische Entwicklung des 1868 in Ştefăneşti (Botoşani) geborenen und 1916 in Bukarest gestorbenen Künstlers, über seine Wege in die Modernität, seine Experimente mit technischen Innovationen und seine Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten.

Seine künstlerische Ausbildung erhielt [tefan Luchian zunächst an der Bukarester „Şcoala Naţională de Belle-Arte“ (Nationale Schule der Schönen Künste), wo er insbesondere von Nicolae Grigorescu gefördert wurde. Nach seinem rumänischen Hochschulabschluss im Jahre 1889 ging er zunächst nach München, wo er zwei Semester an der Akademie der Bildenden Künste weiterstudierte, und danach an die Académie Julian in Paris, wo er mit dem französischen Impressionismus, insbesondere mit dem malerischen Werk von Édouard Manet und Edgar Degas, intensiv in Kontakt kam. Nach Rumänien zurückgekehrt, gründete er 1896 zusammen mit anderen Künstlern den „Salon der Unabhängigen“ und zwei Jahre später den Künstlerbund „Ileana“, in dem modernistische Tendenzen wie Symbolismus oder Jugendstil propagiert wurden.

Um 1900 machten sich bei [tefan Luchian erste Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung bemerkbar, die seine künstlerische Schaffenskraft immer mehr beeinträchtigen sollte: multiple Sklerose. Trotzdem nahm er weiterhin an nationalen und internationalen Ausstellungen teil (darunter zwei Einzelausstellungen im Bukarester Athenäum) und malte weiter bis ins Jahr 1913, wobei er sich zwischendurch auch noch gerichtlich gegen den Vorwurf zur Wehr setzen musste, er lasse in betrügerischer Absicht andere in seinem Namen malen. Zu seinen prominentesten Verteidigern gehörte damals der Dichter Tudor Arghezi.

Betritt man den Ausstellungssaal, so fällt der Blick des Betrachters sofort auf das den Raum beherrschende Werk „Safta Florăreasa“ (Die Blumenverkäuferin Safta), ein Aquarell auf Karton aus dem Jahre 1901. Das großformatige Exponat, zu dem es auch eine Version in Öl auf Leinwand aus demselben Zeitraum gibt, die nur wenige Meter entfernt in der ständigen Ausstellung der Galerie moderner rumänischer Kunst bewundert werden kann, knüpft an eine Tradition an, die sich der Frauenschönheit in Rumänien widmet, man denke etwa an Theodor Amans „Ţigancă“ (Zigeunerin) aus dem Jahre 1884 oder an das zehn Jahre später entstandene Gemälde „Ţăranca voioasă“ (Die heitere Bäuerin) von Nicolae Grigorescu.

Das Aquarell Luchians ist in hellen, milden Farben gehalten. Die im Bildtitel namentlich genannte Safta trägt ein rotes Kopftuch, das den Blick auf ihren Haaransatz freigibt. Ihr Kopf ist nach links gewendet, der Mund leicht geöffnet, der Blick verschleiert, und um den Hals trägt sie eine doppelt gewundene Korallenkette, die ihrem bäuerlichen Erscheinungsbild großstädtischen Chic verleiht. Ihre hellrote, ins Orange hinüberspielende Joppe mit schönen großen hellen Knöpfen ist auf der rechten Seite weit zurückgeschlagen und gibt den Blick auf ihre verrutschte Hemdbluse und ihren weiten Ausschnitt frei, was Nonchalance und Ungezwungenheit signalisiert. Vor dem Hintergrund ihres gegürteten Rockes hält sie in der linken Hand mit einer weichen Geste rosa Schnittblumen. Das Aquarell verströmt eine Atmosphäre von Gelöstheit, Zwanglosigkeit und spielerischer Erotik.

Weitere Frauenporträts Luchians knüpfen an impressionistische Traditionen an, wie etwa das Porträt der Schauspielerin Jeanne de Marsy (nach Manets Ölgemälde „Der Frühling“, 1881) oder das an Renoir gemahnende „Porträt einer jungen Frau“, ebenfalls ein Aquarell und ebenfalls um 1900/01 entstanden. Ein in den Jahren darauf in Aquarellfarben gemaltes Selbstporträt, mit Flasche, Buch und Rose an einem Tisch auf einer Terrasse im Freien sitzend, lässt an Cézannes „Homme à la pipe“ (1890) denken, und eine Porträtzeichnung mit Bleistift und weißer Gouache auf ockerfarbenem Papier, die den Titel „Ileana“ (1900) trägt, bedient sich mit ihren fließenden Linien und ihrer floralen Ornamentik künstlerischer Mittel des Jugendstils.

Neben diversen Selbstporträts aus den Jahren 1898 (Bleistift), 1902/04 (verschiedene Tuschen, Aquarell, Bleistift und weiße Gouache) und 1907 (Kohle) sind in der Luchian-Ausstellung vor allem auch Landschaftsbilder zu sehen, seien es nun Bukarester Stadtlandschaften wie ein „Brunnen in der Clucerului-Straße“ (1902) oder ein „Kiosk im Filantropia-Viertel“ (1908/09), seien es Landschaften mit einer Kirche oder mit Bäumen, am Wasser oder auf Hügeln, bei Brebu, im Doftana-Tal oder „Am Ufer der Dâmboviţa“ (Aquarell auf Leinwand, 1906/07). Das Pastell auf Karton „Bäume bei Brebu“ (1908) lässt mit seinen weichen, flauschigen Grasflächen und mit seinen wollenen, wattigen Bäumen an Landschaften Gauguins aus Tahiti denken.

Insbesondere um die Jahrhundertwende hat Luchian Zeichnungen und Aquarelle auf einem speziellen, mit Kreide beschichteten, kratz- und radierfähigen, nach seinen Erfindern benannten Gillot-Papier angefertigt: dargestellt sind darauf u. a. ein alter Bettler, Bauern mit Trachten, ein Mädchen vom Lande und ein Verkäufer, der ein Getreidegetränk mit rumänischem Namen „Bragă“ (türk. Boza) feilbietet. Beeindruckend ist ferner das Bild einer „Wasserträgerin“ (Pastell auf Karton, 1898/99), das eine Bäuerin mit rotem Kopftuch zeigt, die zwei an einem gewaltigen Joch befestigte Wasserkessel heimwärts schleppt. Blumenbilder, für die Luchian bekannt ist und für die er gerühmt wird, finden sich ebenfalls in der Bukarester Ausstellung.

Besonders interessant ist die Gegenüberstellung zweier „Lektüre“ betitelter Interieur-Szenen aus den Jahren 1904 bis 1908. Es handelt sich dabei um ein farbiges Aquarell sowie um eine monochrome Kohlezeichnung und Nadelradierung. Dargestellt ist der Dichter Ştefan Octavian Iosif, der vor dem Schriftsteller und Publizisten Nicolae N. Beldiceanu und zwei weiblichen Familienmitgliedern aus seinen Werken rezitiert. Während auf dem hellen Aquarell eine Vase mit Blumen, Bilder an den Wänden, ja ein Ausschnitt des angrenzenden Zimmers, der den Raum zur Tiefe hin öffnet, zu sehen ist, rückt die dunkle Kohlezeichnung das interpersonale Geschehen gleichsam abstrakt ins hintergrundlose Zentrum der Bildkomposition.

Wer den Ausstellungssaal nach der Betrachtung der Aquarelle, Pastelle und Zeichnungen verlässt, hat die schöne Gelegenheit, rund zwei Dutzend weiterer Werke Ştefan Luchians aus der ständigen Ausstellung der Galerie moderner rumänischer Kunst zu bewundern, die in unmittelbarer Nähe des Grafikkabinetts hängen. Es handelt sich durchweg um Ölgemälde mit den wichtigsten Themen und Motiven des Oeuvres von [tefan Luchian: Landschaften, Blumen, Interieurs und Gestalten schöner Frauen.