In Kronstadt/Brașov ist Musik gerade „in“. Anders als in früheren Sommern, als man eine gute Musikveranstaltung erst suchen musste (und sie dann zugegebenermaßen mit ein wenig Hartnäckigkeit auch finden konnte), habe ich in diesem Jahr zwischen Juni und Oktober vor lauter Angeboten oft gar nicht gewusst, welches Konzert ich zuerst besuchen soll. Von „Spielzeitpause“ keine Spur. Und nicht nur, dass die Anzahl der Veranstaltungen zugenommen hat – ihre Qualität ist ebenfalls, wie man auf Neudeutsch sagen würde, im Aufwärtstrend, und auch das Publikum strömt in die Konzertsäle. Kurzum: Eine Win-Win-(Win-)Situation. Davon profitiert vor allem Kronstadt selbst: Die zweite Tourismusstadt des Landes hat in puncto Kultur (endlich wieder) etwas mehr zu bieten.
In der Konzertvielfalt zeichnen sich ein paar Tendenzen ab, die alle recht erfreulich sind. Zum einen kommen die Konzertschwerpunkte zunehmend weg von einem allzu „nationalen“ Fokus und würdigen (wieder?) verstärkt die ortsübliche Multikulturalität. Das Wort „gemeinsam“ im Motto des hundertjährigen Jubiläums („Rumänien, wir feiern gemeinsam“) ist von Konzertveranstaltern wörtlich genommen worden, sodass Konzerte und Reihen das Multikulturelle, Interethnische, Internationale und Weltoffene, das für unsere Region kennzeichnend ist, bewusst aufgegriffen haben. So ist die Einstudierung und Aufführung von Bachs „Matthäuspassion“ explizit als gemeinsames Projekt von Siebenbürger Sachsen, Rumänen und Ungarn aufgefasst worden. Das Ergebnis war dann im Juli gleich in drei Städten zu hören, die man mit diesen drei Gruppen in Verbindung bringen kann. Auch das prominente „C’Art Fest“ in Neustadt/Cristian hat die Vereinigung der Fürstentümer als „Beginn des politischen Zusammenlebens von unterschiedlichen Menschen, Ethnien, Kulturen, Sprachen und Traditionen“ gedeutet, wie in Werbematerialien zu lesen war. Das Motto des Festivals lautete entsprechend „Diversität feiern“ und diese Diversität zog sich wie ein roter Faden nicht nur durch die Konzertprogramme, sondern ebenso durch Vorträge, Filme, Lesungen und Theaterstücke. Bewusst international ausgerichtet waren auch das Festival „Musica Kronstadt“ (Anfang August), das sich auf Blasinstrumente konzentriert und hochkarätige Konzerte mit zahlreichen Gästen aus Europa anbietet, und das Jazzfestival der Philharmonie (Juli), das vom in Deutschland lebenden rumänischen Jazzmusiker Nicolas Simion geleitet wird.
Eine erfreuliche Entwicklung ist, dass immer mehr Veranstaltungen von gehobenem Niveau auf dem Lande stattfinden und einen Gegenpol zu den Volksfesten mit Wahlkampfcharakter bilden, die lange Zeit das einzige „Kultur“-Angebot in Teilen des ländlichen Burzenlands waren. „Musica Barcensis“ hat in den Juli- und August-Wochenenden die Scheinwerfer auf die schönen Kirchen(burgen) der Region gerichtet. „C’Art Fest“ hat sich nach Aussage der Veranstalter zum „größten Kulturfestival des Kreises Kronstadt“ entwickelt und hat in diesem Jahr neben Musikern wie Ada Milea, Luiza Zan, Harry Tavitian und dem Ensemble „Codex“ auch andere namhafte Persönlichkeiten eingeladen, etwa Pascal Bruckner, Maia Morgenstern und Chris Simion.
Auch fördern Organisatoren die Wiederentdeckung lokaler Kulturwerte, Werke, Komponisten, Interpreten, Institutionen. „Musica Coronensis“ hat sich genau dies von Anfang an auf die Fahnen geschrieben und ist mittlerweile ein fester Bestandteil im Kulturleben der Stadt. Eine schöne Initiative war auch die Eröffnung des diesjährigen Opern-, Operetten und Ballettfestivals, das noch bis zum 3. November läuft, mit der Operette „Crai Nou“ von Ciprian Porumbescu.
Zudem nehmen einige Reihen (endlich, möchte man sagen) musikpädagogische Angebote ins Programm auf oder bauen diese aus. So bildete das Konzert „Young Coronensis“ mit 150 Kindern, die in sieben Sprachen gesungen haben, bewusst den Abschluss des Festivals „Musica Coronensis“ – eine Art Blick in die Zukunft. Auch „Musica Barcensis“ bietet nicht zum ersten Mal den jungen Musikfreunden Möglichkeiten zum Mitmusizieren oder Lauschen. Für Erwachsene gab es im Rahmen des „Jazz & Blues Festivals“ im September „kurze, interaktive Musikstunden“, angeboten von Gastmusikern, die das Publikum in die Geheimnisse der Gitarre, der Tasteninstrumente und des Schlagzeugs eingeweiht haben.
Schön ist auch, dass sich Musikreihen, die einst klein und relativ unbeachtet angefangen hatten, mittler-weile einer gewissen Kontinuität erfreuen. Dies wiederum wird von stetig zunehmenden Zuhörerzahlen belohnt. Man kennt die Festivals, plant den Konzertbesuch ein, macht es sich zur Gewohnheit. Der Orgelsommer der Schwarzen Kirche ist in seiner Langlebigkeit (Auflage 66!) natürlich nicht zu übertreffen, aber auch andere Reihen werden älter, erfahrener und bekannter: In diesem Jahr gab es die vierzehnte Ausgabe „Musica Coronensis“, die neunte „Musica Barcensis“, zum sechsten Mal das „Jazz & Blues“, zum fünften das „C’Art Fest“... und zum ersten Mal nach langer Zeit ging der „Goldene Hirsch“ wieder über die Bühne. Man hat ihn also doch vermisst.
Und schließlich scheinen staatliche Institutionen langsam zu merken, dass es sich lohnt, in große Kulturprojekte zu investieren. Viele der erwähnten Konzertreihen und Festivals sind von Privatpersonen, kulturaffinen Gruppen, Vereinen oder Glaubensgemeinschaften initiiert worden, doch nun taucht immer öfter auf den Plakaten auch das Logo des Kreisrats oder der Stadt auf, an manchen Veranstaltungen beteiligen sich staatlich finanzierte Kultureinrichtungen wie die Philharmonie oder die Oper mitgestaltend oder sogar federführend. Insgesamt kann man nur hoffen: Weiter so!