Im Saal der Kronstädter Redoute gehen die Lichter aus. Etwa 70 Leute halten den Atem an, als auf der Leinwand der erste Kurzfilm beginnt. Für die einen ist es ihr erster Film, der vor dem Publikum gezeigt wird. Zwei Tage und zwei Nächte haben sie daran gearbeitet. In dieser Zeit gab es wenig Schlaf, dafür aber viele Ideen und reichlich Adrenalin.
Die Stadt unter der Zinne war zum vierten Mal Gastgeber und Filmkulisse für die Teilnehmer des „48 Hours Film Project 2014“. Filmschaffende aus dem ganzen Land haben sich mit ihren Teams zum Wettbewerb angemeldet. Regisseure, Schauspieler, Drehbuchautoren, Tontechniker und Kameraleute (sowohl Professionelle als auch Laien) haben sich in acht Teams zusammengefunden um an einem einzigen Wochenende in nur 48 Stunden ihren eigenen Kurzfilm zu drehen. Alle haben es geschafft, rechtzeitig fertig zu sein. Bei der Premiere-Vorführung am Abend des 28. Juli wurden in der Redoute alle Filme in öffentlichen Vorführungen gezeigt und am Ende die Preisträger prämiert.
Der beste Film wird Rumänien in Los Angeles vertreten, und falls er dort unter die besten zehn kommt, auch in Cannes.
Modeschöpfer und Pfeifen
Das Festival startete am Freitag, dem 25. Juli, mit einer Verlosung, durch die die Organisatoren sicherstellen, dass kein vorproduziertes Material verwendet wird. Jedes Team zog aus dem Lostopf ein Genre, eine Textzeile, eine Hauptperson und ein Requisit, das sie in ihrem Film einbauen mussten. Danach blieben genau 48 Stunden Zeit, um das Drehbuch zu schreiben, den Drehort zu wählen, die Rollen zu verteilen, zu filmen, zu schneiden – kurz, um einen siebenminutigen Kurzfilm von A bis Z zusammenzustellen. Die Filmemacher haben am Freitagabend erfahren, dass sie die Textzeile „Wer schaut wem zu?“, den Charakter Andy Sturdza, von Beruf Modeschöpfer, und eine Pfeife als Requisit möglichst originell und kreativ in ihrem Film unterbringen müssen. Die Genres waren für fast jedes Team verschieden: Film Noir, Komödie, Drama, Zeitreise-Film, Film de Femme und Stummfilm.
„Bis sieben Uhr morgens haben wir am Drehbuch geschrieben, am ganzen Wochenende habe ich vielleicht fünf Stunden geschlafen. Der Zeitdruck macht aber den ganzen Reiz aus“, meint ein junger Filmemacher. Bis Sonntag, den 27. Juli, um 19 Uhr, mussten alle Filme eingereicht werden. Danach sichteten die Jury-Mitglieder die frisch produzieren Werke und bewerteten sie nach Kriterien wie rechtzeitiger Abgabe, Umsetzung der Vorgaben, Kreativität und Qualität. In der Jury der Edition 2014 saßen der Monteur Cătălin Cristuţiu, der Filmkritikerin Anca Grădinariu, dem Filmregisseur Adi Voicu, die Produzentin Ioana Lascăr und der Schauspieler Ciprian Mistreanu. Einige von ihnen haben bei den vorigen Auflagen des Festivals mitgemacht.
„Am ersten Abend haben wir alle zusammen ein Drehbuch geschrieben. Um 6 Uhr morgens war uns allen klar, dass das Drehbuch und die ganze Idee schlecht sind. Wir haben ein anderes Drehbuch geschrieben. Am Tag danach haben wir gefilmt – nach dem ersten Drehbuch. Ich habe im Film gespielt, war aber nicht auf der Leinwand zu sehen, weil man mich bei der Montage ausgeschnitten hat. Aber es war lustig. Und spannend“, erinnert sich Ciprian Mistreanu.
Jede Sekunde zählt
Das „48 Stunden Filmprojekt“ ist der weltweit größte Filmwettbewerb auf Zeit. Die Idee stammt vom amerikanischen Filmemacher Mark Ruppert, der im Jahre 2001 die Frage aufwarf, ob es überhaupt möglich ist, einen Film in 48 Stunden fertig zu bekommen. Nachdem das Ergebnis gelang, beschloss man das Konzept als Einnahmequelle zu nutzen. Seitdem nahmen über 10.000 Teams an mehr als 500 Wettbewerben überall auf der Welt teil. Das kleinste Team des „48 Hour Film Project” bestand aus einer Person, die um die Kamera herumlief, um „im Bild“ zu sein. Das größte Team kam aus Albuquerque (US-Staat New Mexiko) und bestand aus 116 Personen.
2014 findet das Festival unter anderen in Städten wie Los Angeles, Seattle, Berlin, Katowice, Las Vegas, Amsterdam, Peking, Tirana, Delhi oder Amman statt. Kronstadt/Braşov ist die einzige Stadt in Rumänien, wo der Wettbewerb seit 2011 organisiert wird. Auf die Idee kam die Kulturmanagerin Mara Oprişiu. „Wir wollen den jungen Leuten zeigen, dass man einen Film auch mit wenigen Mitteln und in kurzer Zeit drehen kann, wenn man kreativ ist“, meint sie. Obwohl sich 2014 weniger Teams als sonst angemeldet haben, bemerkte man dieses Jahr, dass die Qualität gestiegen ist. Die Drehbücher sind interessanter, die Montage ist professioneller, Ton und Bild sind besser. „In den vorigen Jahren haben es nicht alle Filmteams geschafft, den Film innerhalb von 48 Stunden fertig zu machen. Dieses Jahr gaben alle acht Wettbewerbs-Kandidaten ihre Kurzfilme pünktlich zur Deadline ab. Die Teams sind effizienter geworden“, sagt Oprişiu.
Zeitreisen, Schneckenrennen und Liebesgeschichten
Viele Teams haben auch in den vorigen Jahren ihr Glück beim Festival versucht. Eines von ihnen ist „Spontaneous Art Attack“, bestehend aus Studenten und Absolventen der Kronstädter Philologie-Fakultät. Ihr Schwarz-Weiß Film Noir „Fourth wall“ (Die vierte Wand) erzählt auf sarkastische und bitterböse Weise die Geschichte eines Mannes, der vom „großen Regisseur“ einen Umschlag bekommt, in dem sich ein Drehbuch befindet. Dort steht alles, was am nächsten Tag in der Welt passieren wird. Er muss den Umschlag an die Drehbuchautorin weitergeben und versprechen, dass er alle ihre Fragen mit „Ja“ beantwortet. „Willst du der Held von Morgen sein?“, fragt ihn ein plötzlich erscheinender Regisseur aus Hollywood.
Dieser will die Macht übernehmen und die Welt anders gestalten. Mit einem besseren Szenario und natürlich mit einem Happy End. Ob ihm das gelingen wird? „Fourth Wall“ wurde in einem Kronstädter Café gedreht und war der komplexeste Film im diesjährigen Wettbewerb, mit einem interessanten Drehbuch, guten Schauspielern und – was am Wichtigsten ist – einer düsteren Atmosphäre. Das Team aus Kronstadt erhielt unter anderen den wohlverdienten Publikumspreis und den Preis für die beste Regie, schaffte es aber nur auf den zweiten Platz im Wettbewerb.
Der Gewinner in diesem Jahr, „Fashion Race“ (Mode-Rennen), ist eine Komödie. Andy Sturdza sonnt sich auf der Terrasse ihrer Villa vor dem Schwimmbecken. Plötzlich hört sie Stimmen. Es stellt sich heraus, dass es die Stimmen zweier Schnecken sind, die in einem Rennen gegeneinander auftreten. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass auch die Schnecken verstehen, was die Frau sagt. Eine höchst lustige Konversation zwischen Mensch und Tier beginnt. Der Film ist heiter und bringt gute Stimmung. Die Dialoge sind auf Englisch, die Stimmen der beiden Schnecken sehr gelungen. „Fashion Race“ und das Gewinner-Team „Phenomena“, bestehend aus Teilnehmern aus Ploieşti, Kronstadt und Bukarest, wird Rumänien in Los Angeles vertreten.
Ein anderer Film mit gelungener Atmosphäre, einem sehr expressiven Schauspieler und in dem Kronstadt als Filmkulisse deutlich hervorgehoben wird, war der Stummfilm „Cine prive{te pe cine” (Wer schaut wen an?), ein Beitrag des Teams „African Elephants”.
Ein junger Mann zieht durch die Straßen Kronstadts. Er versucht, leider ohne Erfolg, selbst entworfene und genähte Kleider zu verkaufen. Sein ganzes Leben scheint perspektivlos. Genau in dem Moment, wo alles zugrunde zu gehen scheint, erscheint eine junge Frau, die sich für seine Kreationen interessiert. Es könnte der Beginn einer Liebesgeschichte sein.
Der „Film de Femme“ trug den Titel „Invisible“ (Unsichtbar) und handelt über die Glücklosigkeit einer äußerst schönen Frau. Im Wettbewerb gab es gleich zwei Zeitreise-Filme. In den einem will ein Mann seine Freundin zum Geburtstag überraschen und lässt sich von einem dubiosen Typen eine billige Foto-Kamera andrehen. Das Paar macht später eine merkwürdige Entdeckung: wenn einer von ihnen fotografiert wird, reist er zurück durch die Zeit. Der andere Film handelt von einer drogenabhängigen Mode-Designerin, die sich in Flashbacks an ihre einst glückliche Vergangenheit erinnert. Andere Filme handeln über Beziehungen. Im Drama „Ceci n´est pas une pipe“ (Das hier ist keine Pfeife) befindet sich eine prominente Modeschöpferin mit ihrem Mann im Auto. Sie müssen zum Flughafen, um dann nach Mailand zu fliegen. Nach einem Streit lenkt der Mann das Auto in einen Wald und verschwindet. Bei der Komödie „Interruptus“, die von dem Kronstädter Team „Voodoo“ mit Amateur-Schauspielern der Redoute gedreht wurde, endet eine gefährliche Liebesaffäre abrupt und sehr schmerzlich in einem Aufzug.
Es waren interessante Kurzfilme, die man am 28. Juli auf der Leinwand der Redoute sehen konnte. Was wieder einmal durch diese Kurzfilme bewiesen wurde: Kronstadt ist eine gute Filmkulisse. Die alten Gebäude, die dunklen Gassen, der Wald – alle verbergen erfundene und wahre Geschichten. Die alle darauf warten, erzählt zu werden. Auch wenn man in 48 Stunden kein Meisterwerk schaffen kann, ist das Festival ein guter Anfang für eine spätere Filmkarriere. Wer weiß, vielleicht werden wir vom dem einen oder anderen Wettbewerbsteilnehmer in Zukunft noch hören. Bis dahin warten wir gespannt, wie „Fashion Race“, der Film wo ein Mensch mit Schnecken spricht, in Los Angeles abschneiden wird.