Werke des rumänisch-französischen Fotografen und Cineasten Eli Lotar

Ausstellung im Museum der Kunstsammlungen in Bukarest

Parallel zum Zeitraum der rumänischen EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte dieses Jahres finden derzeit in der rumänischen Hauptstadt verschiedene Veranstaltungen im Rahmen des rumänisch-französischen Kulturprojekts „Sezonul România-Fran]a 2019“ statt, welches vor allem die institutionelle Zusammenarbeit rumänischer und französischer Kulturinstitutionen im Blick hat. So ist seit Mitte April und noch bis Mitte Juli dieses Jahres im rechten Seitenflügel des Bukarester Museums der Kunstsammlungen in der Calea Victoriei 111 eine Ausstellung zu sehen, die im Jahre 2017 bereits im Pariser Centre Pompidou gezeigt wurde und nun als französisch-rumänische Koproduktion des Centre Pompidou gemeinsam mit dem Nationalmuseum der rumänischen Literatur in Bukarest und der Nationalgalerie Jeu de Paume in Paris in die rumänische Hauptstadt gekommen ist.


In gewisser Weise widerspiegelt dies auch den Lebenslauf desjenigen Fotografen und Cineasten, dem diese Bukarester Ausstellung gewidmet ist. Eli Lotar. Mit vollem Namen Eliazar Lotar Teodorescu, war der Künstler der uneheliche Sohn des berühmten rumänischen Dichters Tudor Arghezi, welcher die Jahre vor Eli Lotars Geburt am 30. Januar 1905 noch als Mönch im Kloster Cernica verbracht hatte. Seine Kindheit und Jugend verlebte Eli Lotar dann in Bukarest, bevor er 1924 in seine Geburtsstadt Paris zurückkehrte und zwei Jahre später auch die französische Staatsbürgerschaft annahm.


Wenn man der Chronologie des Lebens von Eli Lotar folgen möchte, beginnt man den Rundgang durch die Ausstellung nach dem Betreten des rechten Seitenflügels des Romanit-Palastes am bester rechter Hand mit dem größten der drei Ausstellungssäle. Dort sind zunächst einige der künstlerischen Dokumentarfotos zu sehen, die Eli Lotar im Jahre 1929 in den Schlachthöfen des Pariser Stadtviertels La Villette aufgenommen hat, darun-ter das berühmte Bild, auf dem fein säuberlich an einer Hauswand aufgereihte abgehackte Schweinefüße zu sehen sind, Schuhpaaren vor Hotelzimmern gleich. Körbe mit Tierhäuten und Tierfellen, tote Tierleiber, Haufen innerer Organe, ein Schlachter, der sein Futteral, in dem verschiedene Schlachtmesser stecken, wie ein Pistolenhalfter präsentiert, zählen zu jenen Schlachthoffotografien Lotars, die sowohl in journalistischen Reportagen als auch in künstlerischen Zeitschriften, wie in dem von George Bataille herausgegebenen Surrealisten-Blatt „Documents“, publiziert wurden.


Das Surreale kommt in zahlreichen Fotos von Eli Lotar zur Erscheinung, etwa in einem Schnappschuss von einer Wäscheleine aus dem Jahre 1929, an der, neben verschiedenen Wäschestücken, auch ein Stuhl hängt. Technische Objekte gewinnen, im Stile eines Readymade bzw. eines objet trouvé von Marcel Duchamps, abstrakte und ästhetische Qualitäten, etwa ein elektrischer Isolator, der durch Eli Lotars Aufnahme gleichsam in den Rang eines Kunstwerks erhoben wird. Fotos vom Stahlleib des Eiffelturms lassen an New Yorker Fotografien von Alfred Stieglitz denken. Das Bild einer an einem Madrider Boulevard sitzenden Frau, deren Haupt auf den Kaffeetisch gesunken ist und die selig schläft, scheint Man Rays zehn Jahre zuvor entstandenes Foto „Noire et Blanche“ zu zitieren, wobei Eli Lotar das Frauenporträt mit den geschlossenen Augen nicht nur frontal auf Augenhöhe, sondern auch schräg von oben herab aufgenommen hat.


Die Vertikale spielt bei den Stadtbildern Eli Lotars eine große Rolle. Ein 1931 in Lissabon von einem höher gelegenen Fenster aus aufgenommenes Foto zeigt ein großflächiges Reklameschild in Form einer Glühbirne und darunter Passanten, von denen man hauptsächlich die Hüte und ihre perspektivisch verkürzten Körper sieht. Andere Straßenbilder Eli Lotars erinnern an Fotos des um drei Jahre jüngeren Henri Cartier-Bresson, wobei Eli Lotar die aufgenommenen Straßenszenen oftmals montageartig fragmentiert hat. So sieht man auf einer Reihe von Schnappschüssen aus Paris lediglich Füße und Beine von Passanten, genauer gesagt Schuhe, Strümpfe, Röcke und Beinkleider bis zum Knie, darunter diverse Trottoirs oder das Straßenpflaster. Die Fragmentierung eines Objekts durch die Wahl eines spezifischen Bildausschnitts lässt sich auch an der Frontalaufnahme einer Lokomotive aus dem Jahre 1929 illustrieren, von der man nur den rechten Puffer, das rechte Frontlicht, den Teil eines Schriftzugs, ein Viertel des Dampfkessels und in einiger Entfernung dahinter den oberen Teil eines Telegrafenmastes mit mehreren Reihen von übereinander angeordneten Isolatoren sieht, Fragmente, die zusammengenommen wie eine surreale Montage wirken.


Dokumentarreihen aus Paris zeigen Läden und Bars, Plätze, Brücken, Schornsteine, Glasdächer und Spitäler, wobei die Aufnahmen von Prothesen als solche bereits Eli Lotars Liebe zum Fragment bezeugen. Eine Reportage aus dem Blindenheim „La Maison de Ténèbres“ zeigt Menschen ohne Augenlicht beim Lesen, Arbeiten und Musizieren, und die von oben aufgenommene Nachtaufnahme eines Bereitschaftsarztes wirkt wie das Standfoto aus einem Krimi: man sieht, wie der „médecin de garde“ mit seinem Arztkoffer einer Limousine entsteigt, und die Begegnung mit demjenigen, der ihm die Autotür geöffnet hat, wirkt dabei höchst konspirativ.


Reisefotografien spielen ebenfalls eine große Rolle im Werk Eli Lotars. Die Niederlande, Portugal, Spanien, vor allem aber Griechenland waren beliebte Reiseziele des nicht nur visuell, sondern auch kulturell interessierten Augenmenschen. Insbesondere die Kykladenkultur war für ihn von großem Interesse. Er wirkte an einem 1931 gedrehten Film „Voyage aux Cyclades“ mit und machte außerdem zahlreiche fotografische Aufnahmen von archäologischen Porträtbüsten, von Kykladenskulpturen in situ oder von menschlichen und tierhaften Figurinen und Idolen der Kykladenkultur in Museen.


Eli Lotars politisches und gesellschaftliches Engagement wird vor allem im zweiten und mittleren der drei Ausstellungsräume sichtbar. Er machte Fotos von einer Massenkundgebung der spanischen Volksfront nach deren Wahlsieg im Februar 1936 in Madrid. Vier Jahre zuvor hatte er als Kameramann an Luis Buñuels einzigem Dokumentarfilm „Las Hurdes –Tierra sin Pan“ (Las Hurdes – Erde ohne Brot) mitgewirkt, der die Armut und die Isolation der spanischen Landbevölkerung in der Region Las Hurdes im Iberischen Gebirge anprangert. Lotars Fotodokumentation „Los Campesinos de España“ (1933) über die Landarbeiter und ihre Familien in Las Hurdes gibt Aufschluss über die gesellschaftliche Situation Spaniens vor dem Bürgerkrieg. Fotos von Säcke schleppenden Arbeitern, in Fetzen gekleideten Kindern und ärmlichen Häusern in karger Landschaft illustrieren dabei die Not der spanischen Landbevölkerung. Ein eigener Dokumentarfilm von Lotar aus dem Jahre 1945, der das Elend und die Misere der Nachkriegszeit mit Enteignungen und Abbrucharbeiten im Pariser Vorort Aubervilliers zum Gegenstand hat, kann ebenso wie der bereits erwähnte Film von Luis Buñuel in diesem Ausstellungsraum angesehen werden. Daneben kann man auf einem Bildschirm mit Wischfunktion fotografische Porträts aus den Jahren 1929 bis 1937 betrachten, die Lotar von George Bataille, Erwin Piscator, Sergei Eisenstein, Hans Arp, George Braque, André Masson und vielen anderen Künstlern und Intellektuellen aufgenommen hat.


Im letzten und kleinsten Ausstellungsraum finden sich dann Fotos Eli Lotars aus dem Pariser Varieté „Moulin Rouge“, insbe-sondere von der afroamerikanischen Frauenmusikband „Blackbirds“ und von der senegalesischen Tänzerin Féral Benga, ferner diverse seiner Fotomontagen für das Théâtre Alfred Jarry in Paris und – ein Highlight der Ausstellung – Fotos aus den Jahren 1963 bis 1965 vom Pariser Atelier des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti, der den Fotografen Eli Lotar sei-nerseits kreativ würdigte: mit einer „Buste de Lotar“ betitelten Porträtskulptur des Freundes und Künstlerkollegen aus dem Jahre 1965, geschaffen ein Jahr vor seinem eigenen und vier Jahre vor Eli Lotars Ableben.