So wie die nächste Konzertsaison der Philharmonie „George Enescu“ im kommenden Oktober mit drei Werken aus der Feder eines einzigen Komponisten – Ludwig van Beethoven – eröffnet werden wird, so ging am vergangenen Freitag auch die laufende Konzertsaison mit der Aufführung von drei Werken eines einzigen Tonkünstlers zu Ende. Das Sinfonieorchester der Philharmonie „George Enescu“ brachte am letzten Freitag des Monats Juni im Bukarester Athenäum drei Instrumentalwerke des amerikanischen Komponisten, Dirigenten und Pianisten Leonard Bernstein zu Gehör, unter der Leitung des in Bukarest geborenen Dirigenten und Bernstein-Schülers Christian Badea.
Mit diesem Abschlusskonzert feierte die Philharmonie „George Enescu“ zugleich den 100. Geburtstag des 1918 in Lawrence, Massachusetts, zur Welt gekommenen jüdisch-amerikanischen Musikers, der vor allem durch seine Musicals wie „On the Town“ (1944), „Wonderful Town“ (1953) und „West Side Story“ (1957) globale Berühmtheit erlangte. In einer Presseerklärung, in der Christian Badea die Programmauswahl des Erinnerungskonzerts für seinen Lehrer und Meister Leonard Bernstein erläuterte, gab er auch ein kurzes Porträt des US-amerikanischen Dirigenten: „Leonard Bernstein, ein außerordentlicher und origineller Komponist, ist in gewisser Weise der Renaissancemensch der Musik; amerikanisch, aber zu gleicher Zeit auch international. Er hat außerdem sehr viel für die Jugend getan, durch seine Konferenzen und Vorlesungen, durch seine berühmten Young People’s Concerts. Er war ein Mensch, der zahlreiche Fremdsprachen beherrschte, der sich überall in der Welt zuhause fühlte, gleichermaßen Kosmopolit wie Eklektiker im besten Sinne des Wortes. Er war ein großer Dirigent, der allein mit den Augen dirigieren konnte.“
Bereits als Neunundzwanzigjähriger gab Bernstein seine ersten Konzerte in Deutschland. Während andere amerikanische Musiker jegliche Auftritte im Nachkriegsdeutschland boykottierten, konzertierte der jüdisch-amerikanische Komponist Bernstein dort sogar gemeinsam mit Überlebenden aus Konzentrationslagern. Bernstein kommentierte dieses außergewöhnliche musikalische Ereignis des Jahres 1948 damals mit folgenden Worten: „Mein Herz hat geweint. Es war schön, durch Musik sich den Menschen zu nähern, die vorher nur Hass empfunden hatten.“ Bernstein kehrte in der Folgezeit oft als Gastdirigent nach Deutschland zurück, vor allem nach München und Berlin. Noch drei Jahre vor seinem Tod gründete er die internationale Orchesterakademie des Schleswig-Holstein Musik Festivals, eines der größten und bedeutendsten Festivals für klassische Musik weltweit. Bei den Feierlichkeiten im Dezember 1989 anlässlich des Falls der Berliner Mauer dirigierte Leonard Bernstein in Ost- wie in West-Berlin Beethovens Neunte Sinfonie, in deren Schlusssatz er statt des Wortes „Freude“ das Wort „Freiheit“ singen ließ. Aus Schillers „Ode an die Freude“ wurde so in diesem historischen Augenblick eine Ode an die Freiheit. Mit dem deutschen Altbundeskanzler Helmut Schmidt war „Lenny“ Bernstein in langjähriger Freundschaft verbunden.
Der Bernstein-Abend im Bukarester Athenäum wurde mit der 2. Sinfonie des amerikanischen Komponisten eröffnet. Das Werk entstand in den Jahren 1948/1949 und trägt den Beinamen „The Age of Anxiety“ (Das Zeitalter der Angst) nach der gleichnamigen, 1947 entstandenen und 1948 erschienenen, Ekloge von Wystan Hugh Auden. Bernstein folgt in seiner Sinfonie dem Aufbau des Audenschen Langgedichts bis ins Detail, wobei er die sieben Zeitalter (ages) und die sieben Stufen (stages) in jeweils sieben Variationen musikalisch reflektiert, die zusammen den ersten Teil der Sinfonie ausmachen.
Streng genommen kann man Bernsteins 2. Sinfonie demnach als Tondichtung betrachten, zumal vor allem in deren erstem Teil verschiedene Stimmungen, Charaktere, Gefühle und Seelenlagen einander abwechseln und oftmals sogar abrupt ineinander übergehen. Bernstein schöpft hier auch in besonderer Weise aus dem Fundus klassischer Tondichtungen. So gemahnt etwa der bukolische Anfang der Sinfonie stark an die naturmagische Musik von Jean Sibelius. Der zweite Teil des Bernsteinschen Werkes beinhaltet dann ein Klagelied, eine Maskenballmusik und einen Epilog, der an den Prolog des ersten Satzes auch thematisch anschließt.
Eine Besonderheit dieser 2. Sinfonie Leonard Bernsteins ist auch, dass das sinfonische Geschehen die ganze Zeit über von einem Solopianisten am Flügel begleitet und nicht selten maßgeblich bestimmt wird. Bei der Bostoner Uraufführung des Werkes spielte Bernstein selbst den Klavierpart. Im Bukarester Athenäum war es der spanische Pianist Josu de Solaun, der die virtuose Solopartitur dynamisch und mit überschäumendem Temperament erklingen ließ. Vor allem im extrem schnellen, „Maskenball“ genannten, vorletzten Satz der Sinfonie entluden sich die von klassischen Formen im Zaum gehaltenen musikalischen Strukturen in einem schillernden Feuerwerk von pianistischen Jazzklängen, das kaum mehr zu bändigen zu sein schien. Immer wieder kam es auch zu musikalischen Zwiegesprächen des Solopianos mit einem weiteren Klavier auf der Bühne ebenso wie mit einer Celesta, und das monumentale Orchester (Kontrabässe und Harfen mussten in die Seitenlogen ausweichen!) mit seinem voluminösen und vielfältig differenzierten Schlagwerk trug nicht unwesentlich zum berauschenden Gesamterlebnis des belebenden und beschwingenden Instrumentalwerkes von Leonard Bernstein bei.
Nach der Pause standen dann zwei Werke von Leonard Bernstein mit Bühnenbezug auf dem Programm. Zunächst erklang die Ouvertüre zu Bernsteins komischer Operette „Candide“ (nach Voltaires satirischer Novelle „Candide oder der Optimismus“), die 1956 uraufgeführt wurde und die Bernstein dann 1974 in ein Musical umwandelte. Den Abschluss des Konzertabends bildete die instrumentale „West Side Story“-Suite, bei der die Zuhörer in den Klängen des berühmten Musicals schwelgen konnten und vom Dirigenten an einer Stelle sogar aufgefordert wurden, in die lauten Rufe der Instrumentalmusiker einzustimmen, die für Momente zu einem veritablen Vokalchor mutierten.
Die ausgelassene Stimmung im Bukarester Athenäum wurde vom Orchester der Philharmonie „George Enescu“ mit einer erfrischenden Zugabe belohnt. Im Vorblick auf den amerikanischen Nationalfeiertag am 4. Juli spielten die philharmonischen Instrumentalisten unter Leitung von Christian Badea den amerikanischen Militärmarsch „Stars and Stripes Forever“ von John Philip Sousa, die inoffizielle Nationalhymne der Vereinigten Staaten von Amerika.