Die luxemburgische Politikerin Erna Hennicot-Schoepges und die Hermannstädter Journalistin Beatrice Ungar haben, nach Band I mit dem Titel „Von Schubert bis Praid“ (2011) und nach Band II mit dem Titel „Erfolgsgeschichte mit Erfolgen“ (2015), nun den dritten Band ihrer „Leseproben einer Seelenverwandtschaft“ veröffentlicht. Der jüngste Band dieses publizistischen Gemeinschaftsprojekts trägt den Titel „Werte haben keinen Preis“ (2020) und wurde mit der Unterstützung des Departements für interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Rumänischen Regierung (DRI), des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) sowie des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt/Sibiu im Hermannstädter Honterus-Verlag ediert.
Die Seelenverwandtschaft, von der im Untertitel der bislang erschienenen drei „Leseproben“ die Rede ist, bezieht sich dabei nicht nur auf die Freundschaft der luxemburgischen Musikerin und Politikerin Erna Hennicot-Schoepges mit der Hermannstädter Journalistin und Übersetzerin Beatrice Ungar, die sich über das Persönliche hinaus auf gemeinsame Werte wie „Moralität, Vertrauen, Integrität, Ehrlichkeit, Identität“ (S. 7) gründet, wie Ovidiu Ganţ, der Abgeordnete des DFDR im Rumänischen Parlament in seinem Geleitwort zu diesem Band schreibt.
Vielmehr bilden enge historische und gegenwärtige Verbindungen zwischen Luxemburg und Hermannstadt den Resonanzraum dieser Seelenverwandtschaft, angefangen mit der Tatsache, dass ein Teil der Siebenbürger Sachsen ursprünglich aus der luxemburgischen Gegend stammt und dass die Sprache Luxemburgs, das Letzeburgische, eine enge Verwandtschaft mit den siebenbürgisch-sächsischen Mundarten aufweist. In Hermannstadt wurde im Jahre 2003 die Casa Luxemburg eingeweiht, die zuvor mit Hilfe des Großherzogtums Luxemburg renoviert worden war. Vier Jahre später wurden dann Luxemburg und Hermannstadt gemeinsam der Titel „Kulturhauptstadt Europas“ verliehen, und der Beitrittsvertrag Rumäniens zur Europäischen Union wurde im April 2005 in Luxemburg unterzeichnet, im Beisein des damaligen Bürgermeisters von Hermannstadt und gegenwärtigen Staatspräsidenten Rumäniens Klaus Johannis.
Und so schreibt denn auch Jean Asselborn, Außenminister Luxemburgs und dienstältester Außenminister der Europäischen Union, in seinem Vorwort zu „Werte haben keinen Preis“: „Genau wie in den ersten beiden Bänden sprechen die beiden Autorinnen auch in diesem über Seelenverwandtschaft. Auf ihre Herkunft und ihre Gemeinschaftsarbeit, deren festes Fundament die Kultur ist, gründet diese Beziehung. Diese innerliche Verbundenheit erkennt man nicht allein zwischen den beiden Autorinnen, sondern auch zwischen Luxemburg und Hermannstadt und genau das macht diese Beziehung zueinander so einzigartig.“ (S. 10)
Das rund hundert Seiten starke Buch, illustriert mit zahlreichen Fotos von Ruxandra Stănescu, von Fred Nuss und von der Mitautorin Beatrice Ungar selbst, ist eigentlich ein Gesprächsbuch, eine Sammlung von Interviews und Dialogen, die allesamt um das Thema der Werte und ihren Bestand in der Gegenwart kreisen. Das titelgebende Zitat des Buches „Werte haben keinen Preis“ fällt gleich im ersten der insgesamt siebzehn Kapitel, wo Erna Hennicot-Schoepges auf eine Bemerkung Beatrice Ungars folgendermaßen antwortet: „Ja, das kann ich nur bestätigen, Werte haben keinen Preis, Werte haben aber manchmal einen Kostenpunkt. Geht es um kulturelle Werte würde ich sagen, die Kulturbudgets sollten daher nicht unter ‚öffentliche Ausgaben’ sondern als Investitionen behandelt werden. Damit ist gemeint, dass ihr Wert eigentlich unschätzbar ist, es aber einen Kostenpunkt gibt.“ (S. 14) Und im Hinblick auf die europäische Kultur ergänzt die Luxemburger Autorin: „Europäische Werte sind zuallererst das Zusammenwachsen, Zusammenleben, Zusammenarbeiten, ei-nander verstehen lernen, die Geschichte des andern kennen, die Sprache des andern verstehen lernen. Was Eu-ropa von anderen Kontinenten unterscheidet, das ist ja eben die Vielfalt.“ (S. 14)
Das zweite Kapitel des Buches widmet sich dem Problem der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union, das vor nicht allzu langer Zeit in Rumänien ein Hauptthema der politischen Diskussion war und in manchen mitteleuropäischen Staaten wie Ungarn und Polen immer noch ist. Erna Hennicot-Schoepges sagt dazu: „Der Rechtsstaat ist für das Funktionieren einer Gesellschaft ein unbezahlbarer Wert. Er sichert die Rechte der Individuen, hat aber auch die Verpflichtung, die Bedingungen zu gewährleisten, die dem Einzelnen erlauben, in Freiheit zu leben.“ (S. 21)
Die nachfolgenden Kapitel des Buches befassen sich mit Themen wie Wertewandel oder Werteverfall insbesondere im digitalen Zeitalter und mit diversen Fragen zur Wertediskussion: ob die Wirtschaft wertfrei sei, ob die Identität einen Mehrwert darstelle und wie sich Identität im Rahmen verschiedener Konzepte wie Plurikulturalismus, Multikulturalismus oder Kulturpluralismus bewahren lasse. Ebenso gehen die beiden Autorinnen in ihrem Buch der Frage nach, ob Chancengleichheit ein Wert oder ein Recht sei. Sie knüpfen damit an die Grundwerte-Debatte an, die deutlich machte, dass Grundrechte nichts anderes sind als in Rechtsform gegossene Grundwerte. Grundwerte verkörpern Sinnprinzipien, die dann als Grundrechte in den Bereich des Rechts transponiert und inkorporiert werden. Nicht von ungefähr drucken die Autorinnen in ihrem Buch auch die Grundrechtecharta der Europäischen Union ab (vgl. S. 48f.).
Vertrauen und Ehrlichkeit sind Werte, denen sich die Autorinnen in weiteren Kapiteln ihres Buches widmen. Die Frage nach der Vergangenheit als historischem Wert wird von ihnen ganz konkret im Hinblick auf den Denkmalschutz diskutiert, wobei hier auch die berühmte Stadt am Zibin Erwähnung findet: „Das Altstadtzentrum von Hermannstadt ist ein unschätzbarer architektonischer Wert.“ (S. 61) Der Wert des Geldes wird von den Autorinnen ebenso diskutiert wie die Frage, ob man sich gegen die „Umpolung der Werte“ (S. 75) wehren müsse. Erna Hennicot-Schoepges weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Werte immer auch in ein System eingebunden sind. So ist etwa der Wert der Freiheit untrennbar verbunden mit dem Wert der Verantwortung in einer solidarischen Gesellschaft.
Gegen Ende des Buches kommen dann auch Themen zur Sprache, welche die politische Diskussion der Gegenwart bestimmen: Protektionismus, Nationalismus, staatliche Gewaltenteilung, Kompromissbereitschaft in der Demokratie, die Europäische Union in Krisenzeiten. Im 15. Kapitel des Buches mit der Überschrift „Vom ABC der Werte“ diskutieren die Autorinnen außer über Vertrauen, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit auch über den Wert der Freundschaft. Erna Hennicot-Schoepges antwortet auf die Frage von Beatrice Ungar, welche Menschen sie persönlich als Freunde betrachte, folgendermaßen: „Die Menschen, mit denen ich ehrlich und offen reden kann, bei denen ich weiß, es gibt eine Kommunikation und wir sind bei den wichtigen Dingen auf einer Wellenlänge.“ (S. 85)
So sind diese „Leseproben einer Seelenverwandtschaft“ auch das Dokument einer Freundschaft und zugleich einer Verbundenheit über Länder- und Staatengrenzen hinaus, die ihren Ausdruck nicht zuletzt in verschiedenen öffentlichen Ehrungen für Erna Hennicot-Schoepges fand. Seit 1998 ist die Luxemburgerin Ehrenbürgerin der Stadt Hermannstadt und im Jahre 2011 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt verliehen. Daran wird Erna Hennicot-Schoepges gerne zurückdenken, wenn sie am 24. Juli dieses Jahres ihren 80. Geburtstag feiern darf.
Erna Hennicot-Schoepges / Beatrice Ungar: Werte haben keinen Preis. Leseproben einer Seelenverwandtschaft III, Honterus Verlag: Sibiu/Hermannstadt 2020, 96 S., ISBN 978-606-008-051-0.