Hermannstadt - Singen am Totensonntag? Ja! Denn was klingt nahegehender, erhabener und würdevoller als zum Beispiel Johann Sebastian Bachs Motette „Jesu, meine Freude“ und die Kantate „Wir danken dir, Gott“. Oder der von Hans Peter Türk vertonte Psalm 121 für Chor und Orgel. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen von welchen mir Hilfe kommt ...“.
In seinem eineinhalbstündigen Konzert trug der Hermannstädter Bachchor am Sonntagabend in der vollbesetzten evangelischen Stadtpfarrkirche desgleichen eine Motette für 7-stimmigen Chor von Franz Xaver Dressler und eine Motette für Chor und Orgel von Waldemar von Baussnern vor. Ein dem Tag angemessenes Programm, wie Stadtpfarrer Kilian Dörr sagte. Dass der Hermannstädter Bachchor diesmal am Totensonntag konzertierte, hatte vor allem aber einen anderen Grund: An einem Totensonntag fand vor 80 Jahren das erste öffentliche Konzert des Klangkörpers statt, weswegen der 22. November 1931 als Geburtstag des Bachchores gilt. Mit der Darbeitung am Sonntag wurde das 80-jährige Jubiläum begangen. Der rund 70 Sängerinnen und Sänger umfassende Chor wurde von einem Instrumentalensemble und an der Orgel von Ursula Philippi begleitet. Als Gesangssolisten wirkten Melinda Samson (Sopran) und Wilhelm Schmidts (Bariton) mit. Die musikalische Leitung hatte Kurt Philippi inne.
Für das Jubiläumskonzert abgewandelt worden war der Text des Rezitativs der Bachschen Kantate. Darin hieß es nun, dass der von Franz Xaver Dressler gegründete Chor „zu singen Bach und Händels Werke“ geboren ward. Dies geschah im Laufe der Jahre mit Solisten aus Wien, Berlin und Bukarest, welche die Konzerte für Chor und Hörer stets zum Feste machten, was so bleiben soll.
Einige der Solisten sowie ehemalige Choristen und der „hauseigene“ Komponist – Hans Peter Türk – gehörten zu den Gästen des Geburtstagsfestes, das nach dem Konzert in der dem Hermannstädter Bachchor eigenen geselligen Manier gefeiert worden ist. Als erster beglückwünschte Dirigent Kurt Philippi die Chormitglieder zu „ihrem-unserem“ 80. Geburtstag. Über den Chor sagte er, der habe in der Kindheit das Kommen und Gehen der Könige und in der Jugendzeit jenes der Generalsekretäre der Partei erlebt. Mit altersbedingster Gelassenheit erlebe er jetzt die rumänischen Präsidenten. Der Bachchor war der einzige bürgerliche Verein, der die folgenschwere Jahre 1945 und 1989 überlebt hat. Nach Ansicht von Kurt Philippi liegt das daran, dass er als Oratorienchor gegründet wurde, diese großen Werke ihre Anziehungskraft auf die Menschen nicht verlieren und musische Menschen bereit sind, an diesen mitzuwirken. Dies erklärt, wieso der Bachchor weiterprobte und die Konzerte nicht abgesagt werden mussten, als sein Gründer und erster Dirigent Franz Xaver Dressler Ende der 1950er Jahre bei der Zwangsarbeit am Kanal und nachher im Gefängnis war und Kurt Philippi 2000 in die Klinik musste. Der Chor werde leben solang es Leute gibt, die zwei Stunden pro Woche in ihre musische Entwicklung investieren, sagte Kurt Philippi.
Den Festvortrag aus Anlass des Jubiläums hielt Fachlehrerin i.R. Marga Grau. Sie ist ein Jahr jünger als der Chor, in dem sie 46 Jahre lang ohne Unterbrechung mitsang. Beim Fest dabei aber war auch Minnerle Schullerus, die in der Passionszeit 1945 mit dem infolge Russlanddeportation dezimierten Chor die Johannespassion gesungen hatte, wonach die versammelte Gemeinschaft in der evangelischen Stadtpfarrkirche in zehnminütigem Schweigen verharrte. Marga Grau lüftete ein weiteres Geheimnis des langjährigen Chorbestehens: weil er als Verein nie eingetragen war, konnte er nach 1945 nicht wie alle sonstigen Vereine aufgelöst werden. Neben Bach und Händel wurden auch die großen geistlichen Werke von Haydn, Beethoven, Brahms bis Reger aufgeführt. Die politischen Bestimmungen haben den Chor nicht verschont: Weil es Ende der 1950er Jahre immer weniger Berufstätigen erlaubt war, in die Kirche zu gehen, wurde die „Verweltlichung“ des Klangkörpers beschlossen.
Der Chor wirkte zunächst im Rahmen des Stefan-Gheorghiu-Kulturhauses, ehe er als Oratorienchor unter die Schirmherrschaft der Hermannstädter Philharmonie trat. So konnte in Beethovens 9. Sinfonie oder der Friedenskantate von Dressler gesungen werden. War die Konjunktur günstig, wurden auch Oratorien erlaubt, wobei im Text „Gott“ durch „Natur“ ersetzt werden musste. Dies geschah unter dem neuen Dirigenten. 1978 hatte Dressler nach Erfüllen seines 80. Lebensjahres den Dirigentenstab niedergelegt, der junge Kronstädter Musiker Kurt Philippi sagte zu, den Hermannstädter Chor zu übernehmen, kam 1985 als Musikwart zur Evangelischen Landeskirche und seine Frau Ursula als Organistin nach Hermannstadt und seither leitet das Musikerehepaar den Bachchor ununterbrochen.
Der wechselte Ende der 1980er Jahre stillschweigend zur Kirche und zu einem betont geistlichen Repertoire zurück, begann nach der Wende die Gottesdienste musikalisch zu gestalten, nahm Kontakte zu Chören in Deutschland und Österreich auf und unternahm zahlreiche Konzertreisen ins In- und Ausland. Dem Chor gehören heute neben rumänischen Staatsbürgern aus fast allen Kultur- und Glaubensgemeinschaften ein Niederländer, ein Belgier, ein Amerikaner und ein Russe an. Was ist nahegehender und schöner, als Musik von Johann Sebastian Bach zu singen?