Anfang September empfing das Bauhaus Museum Dessau im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt seine ersten Besucher, in der gleichen Zeit fand in Berlin im Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung die Eröffnung der Jubiläumsausstellung „original bauhaus“ statt, während im thüringischen Weimar bereits im vergangenen Frühjahr ein neues Bauhaus Museum eingeweiht wurde. Auch in anderen Bundesländern, darunter in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, überall wo es Beispiele des Neuen Bauens gibt, werden anlässlich seines 100. Gründungsjubiläums die Spuren des Bauhauses mit Ausstellungen, Programmen und Präsentationen gewürdigt. Schon im März 2018 startete die Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe „bauhaus imaginista“, die auf vier Kontinenten und in Städten wie New York, Tokio oder Moskau der Resonanz und Wechselwirkung der Kunstschule nachspürte.
Man mag einwenden, dass Deutschland mit der Erinnerung an die Leistungen und Impulse des Bauhauses zugleich Imagepflege betreibt und mit dem in vieler Hinsicht unvergleichlichen künstlerischen Aufbruch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs heute ein Bild vermarktet, das beinahe dazu verleitet, die durch die Naziherrschaft 1933 erzwungene Selbstauflösung des Bauhauses zu vergessen. Doch das Jubiläum ist jeder Kritik zum Trotz eine einzigartige Gelegenheit, die Schule, die unangefochten als die Avantgarde des vergangenen Jahrhunderts in Architektur, Kunst und Design, als klassische Moderne gilt, ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.
Treffpunkt der europäischen Avantgarde
Dass Weimar und Dessau für Dutzende Millionen Euro neue Museen bekamen, ist unmittelbar mit der Geschichte des Bauhauses verknüpft. Denn das Staatliche Bauhaus, wie es damals bezeichnet wurde, entstand 1919 in Weimar. Schon in seinen Anfängen wirkten dort als Lehrer Künstler wie Lyonel Feininger, Paul Klee, Oskar Schlemmer oder Wassily Kandinsky. In Weimar, wo zu jener Zeit die Nationalversammlung tagte und die Verfassung der jungen Republik entstand, wurde das Bauhaus zum Treffpunkt der europäischen Avantgarde. Hier forderte dessen Leiter Walter Gropius einen Neubeginn der Baukultur, hier sollten Kunst und Handwerk mit-einander verbunden werden. Mit dem neuen, kubusförmigen Museum und seiner Fassade aus gegossenem Beton versucht Weimar zugleich, seinen Ruf als Klassiker-Stadt um den als Heimstätte der Moderne zu erweitern.
Dessau hat diesbezüglich aber viel mehr zu bieten: Hier steht das 1926 eingeweihte und von Gropius entworfene Bauhausgebäude, in das die Lehranstalt einzog, nachdem sie ein Jahr zuvor Weimar auf den Druck der konservativ-nationalistischen politischen Kräfte verlassen musste, hier stehen die sogenannten Meisterhäuser, die, inzwischen renoviert, wirken, als seien sie in unseren Tagen erbaut worden. Und hier steht neben weiteren Bauten aus der Hochzeit des Bauhauses das neue Museum im Zentrum der Stadt. Die von einem Architekturbüro aus Barcelona entworfene Konstruktion lässt sich durchaus mit den genannten denkmalgeschützten Bauten vergleichen: Den eigentlichen Ausstellungsraum bildet die sogenannte Black Box im Obergeschoss, ein Kubus aus Stahlbeton, der über den Köpfen der Besucher zu schweben scheint. Im Erdgeschoss hingegen befindet sich ein multifunktionaler, offener Bereich und umgeben wird das über 100 Meter lange, 25 Meter breite und 12 Meter hohe Gebäude von einer gläsernen Fassade, in der sich die Umgebung spiegelt.
Architektonisches Schmuckstück - das Bauhaus Museum in Dessau
Wer erwartet, in diesem Schmuckstück der während des Zweiten Weltkrieges zu 95 Prozent zerstörten Stadt an der Elbe den Ikonen des Bauhauses zu begegnen, wird jedoch eine kleine Enttäuschung erleben. Freilich sind sie zu sehen: die 1923 von Wilhelm Wagenfeld entworfene Tischleuchte, die bis heute nachgebaut wird, der Stahlrohrsessel B 3 von Marcel Breuer oder dessen von der Firma Thonet hergestellte Freischwinger mit oder ohne Armlehne. Unter dem Titel „Versuchsstätte Bauhaus. Die Sammlung“ präsentiert das neue Museum das Bauhaus als das, was heute als Thinktank gilt. Mehr als 1000 Exponate erzählen einen Teil der Geschichte der Schule und ihrer Studierenden, wobei es um Lehrkonzepte und Unterrichtsarbeiten geht, um das Bauhaus als Partner für die Industrie. In einem der Säle wird auf die Geschichte der Sammlung hingewiesen: In der DDR tat man sich schwer mit dem Erbe des Bauhauses. Erst zum 50-jährigen Jubiläum der Dessauer Schule wurden 148 Arbeiten von Bauhäuslern angekauft. Das Interesse des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und seiner Regierungsmitglieder galt nämlich vor allem der Jagd. Heute umfasst die Sammlung der Stiftung Bauhaus Museum Dessau rund 49.000 Exponate.
Mehr davon besitzt nur das Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung in Berlin, wo das Bauhaus als private Einrichtung von 1932 bis 1933 funktionierte. Seine Geschichte, die sich auf insgesamt nur 14 Jahre beschränkt, ist auch eine Geschichte der Vertreibung. Als die Nationalsozialisten in Dessau die Macht übernahmen, schlossen sie die Einrichtung. Anders als in Weimar und in Dessau gibt es in Berlin aber bislang keinen Neubau. Vielmehr scheint auch das inzwischen zu Deutschland zu gehören: Mit den Arbeiten zur Sanierung und Erweiterung des Bauhaus-Archivs/Museums für Gestaltung wurde erst im vergangenen Juni begonnen. Ähnlich wie in Dessau wird auch hier vermieden, Objekte zu musealisieren. Über 1000 Exponate führen die Vielfalt der künstlerischen Praxis vor Augen. Zu sehen sind zwar mehrere Varianten des Tee-Extraktkännchens von Marianne Brandt, Töpferware von Otto Lindig oder Fotogramme des Ehepaars Moholy-Nagy, doch die zahlreichen Arbeiten der Studierenden zeigen, wie sehr man sich am Bauhaus darum bemühte, Alltag und Kunst zusammenzuführen. Es wurde gezeichnet, getischlert, gewebt, getanzt und geschraubt, das Bauhaus war viel mehr als Architektur, auf die es heute oft reduziert wird. Mit Werken der bildenden Kunst, die dem Expressionismus, dem Konstruktivismus oder der Neuen Sachlichkeit zugeordnet werden und die das Bauhaus in die künstlerisch außerordentlich produktive Zeit einbetten, wird die Schau sinnfällig ergänzt.
Die Strahlkraft des Bauhauses wirkt bis heute fort
Die Strahlkraft des Bauhauses war immens und wirkt bis heute fort. Gropius, der erste Direktor der Einrichtung, und Mies van der Rohe, der dritte und letzte, wirkten später als Lehrer und Architekten in den USA, László Moholy-Nagy gründete 1937 in Chicago das spätere Illinois Institute of Technology, jüdische Bauhaus-Architekten, die nach Palästina emigrierten, errichteten in Tel Aviv die sogenannte Weiße Stadt, die Tausende von Gebäuden umfasst und inzwischen zum Weltkulturerbe zählt. Auch rumänische Architekten der Zwischenkriegszeit, darun-ter Marcel Iancu, Horia Creang˛, Duiliu Marcu oder Henrieta Delavrancea übernahmen Architektur-Konzepte des Bauhauses. Viele der Bauten in Bukarest befinden sich heute leider in einem beklagenswerten Zustand, ihre ideelle Herkunft ist jedoch aufgrund der klaren, funktionellen Formen leicht zu erkennen. Delavrancea baute unter anderem das Rathaus im einst rumänischen und heute bulgarischen Küstenort Balcic.
Die Besucher strömen in Scharen in die neuen Einrichtungen, an Wochenenden empfiehlt es sich, Tickets online zu reservieren. Auch das mediale Echo lässt nichts zu wünschen übrig, der Kultursender ARTE strahlte Anfang September eine sechsteilige Serie aus, die Dokumentation und Fiktion verbindet. Und selbstverständlich gibt es Kataloge, Bücher, Workshops, Symposien und Konferenzen. Ein Internetportal informiert über die landesweiten Veranstaltungen, lädt zu einer „Grand Tour der Moderne“ ein und bietet Reisevorschläge an: Per Bahn, Bus, PKW, Fahrrad oder zu Fuß können zentrale Wirkungsstätten des Bauhauses in Weimar und Dessau-Roßlau sowie Siedlungsbauten in Potsdam und Berlin besichtigt werden, die auf seinen revolutionären Ideen beruhen. Es gibt Architektur-Zeugnisse im nordrhein-westfälischen Krefeld und es gibt Spuren der Schule in der Malerei, im Design und in der Fotografie in der Kunstsammlung in Düsseldorf zu entdecken. Es gibt eine dreitägige Tour, die zu einer Siedlung in Celle und dem von Walter Gropius entworfenen Fagus-Werk im niedersächsischen Alfeld sowie zu einem Bergwerk in Goslar führt, das ebenso wie das Fagus-Werk zum Weltkulturerbe zählt. Und, und… Mit einem Wort: Bauhaus, Bauhaus über alles!