Bürgermeister Fritz: Kampf von 1989 noch längst nicht zu Ende

Feierliche Stadtratssitzung / Revolutionär schimpft auf erbärmliche Politiker

Temeswar (ADZ) – Der Temeswarer Stadtrat hat am 16. Dezember, dem 33. Jahrestag des Volksaufstandes von 1989, der damaligen Helden in einer feierlichen Sitzung gedacht. Eine Schauspielerin des Deutschen Staatstheaters Temeswar, Olga Török, trug Gedichte vor, darunter einige von Ion Monoran (1953-1993). Am 16. Dezember 1989 hatte dieser vor der ungarisch-reformierten Kirche „an der Maria“ die vorbeifahrenden Straßenbahnen gemeinsam mit anderen aufgehalten. Im Anschluss wurde ein Interview mit dem vor Kurzem verstorbenen Schriftsteller Daniel Vighi (1956-2022) gezeigt, der an den damaligen Ereignissen ebenfalls teilgenommen hat. Kurz vor seinem Tod hat die Stadt ihm als engagierten Temeswarer und Kämpfer für Freiheit und Toleranz das Ehrenbürgerrecht verliehen.

In seiner feierlichen Ansprache ging Bürgermeister Dominic Fritz auf den identitätsstiftenden Charakter des antikommunistischen Volksaufstandes ein und bedankte sich bei den Revolutionären, die maßgebend dazu beigetragen hätten, dass die Stadt sich nun als Ort des Kampfes gegen Diktatur und Totalitarismus präsentieren dürfe. Allerdings wies Fritz darauf hin, dass das Gedenken an den heldenmütigen Kampf der Temeswarer von vor 33 Jahren heute eine besondere Bedeutung habe: In der  Ukraine werde für Freiheit gekämpft und gestorben, die Bürger des Nachbarlandes würden sich aufopfern, damit ihr Land zu Europa gehören dürfe. Im Iran haben sich inzwischen nicht nur Frauen, sondern alle Generationen im Kampf gegen die dortigen Machthaber erhoben und auch in China sehe man nun, zum ersten Mal seit 1989, wie sich Bürger gegen das Regime auflehnen, auch wenn sie es nur mit einem leeren Blatt Papier in der Hand tun; es handele sich um ein Symbol, das einen ins Gefängnis bringen könne, sagte Fritz. Das bedeute, dass der 1989 begonnene Kampf noch längst nicht zu Ende sei. Damals habe nicht jeder für sich gekämpft, sondern man habe für alle gekämpft, für den Nachbarn und für jedermanns Nächsten. Man müsse sich deshalb solidarisch mit all jenen zeigen, die heute nicht die Rechte und Freiheiten genießen, in deren Genuss wir nach der Wende gekommen seien.

Der Temescher Kreisratsvorsitzende Alin Nica, der an der Stadtratssitzung teilnahm, sagte, die größte Gefahr sei das Vergessen. Sowohl jene, die die Ereignisse von damals erlebt haben, als auch die jungen Generationen würden den symbolischen Wert des Dezembers 1989 minimieren. Die Jungen müsse man fragen, was sie denn denken würden, wenn man ihnen TikTok und Facebook nehmen würde. Sie müssten erkennen, was es bedeute, ohne Angst zu leben.

Vizepräfekt Sorin Ionescu (PSD), von Haus aus Geschichtslehrer, erklärte, dass man heute eine der damaligen Parolen („Mai bine golan decat activist“, auf Deutsch: „Besser Hooligan als Parteiaktivist“) wieder sehr gut nachvollziehen könne, er erkenne diesen Satz in seinem Gewissen. Bemerkenswert, da Ionescu nichts anderes ist als ein treuer Aktivist der Sozialdemokratischen Partei, nur in dieser Eigenschaft lange Jahre das Banater Nationalkollegium leiten durfte und seit wenigen Monaten das Amt des Vizepräfekten bekleidet. Er habe große Angst vor dem Tag, an dem er von seinen Schülern ein leeres Blatt bekommen werde, weil keiner mehr in der Lage sein werde, die Ereignisse vom Dezember 1989 zusammenzufassen.

Im Anschluss an die Politiker sprachen die Vertreter der Revolutionärsverbände, einer davon fasste die Gemütslage zusammen: Man sei froh, dass man den Kommunismus losbekommen konnte, aber man sei äußerst unzufrieden über die unfähigen Politiker. Die politische Klasse sei erbärmlich.