Temeswar - „Das war für mich das Buch, das ich am schwersten übersetzt habe. Nicht die Sprache hat mir Schwierigkeiten bereitet, sondern der Inhalt. Der Inhalt trifft dich wie ein Stein auf den Kopf“, sagte Herausgeber und Übersetzer Werner Kremm am Montag bei der Vorstellung des Buchs „Deportarea germanilor din Banat în Uniunea Sovietică. O prezentare a perspectivei copiilor lor prin relat²ri (re)povestite“ in der Temeswar-Filiale der Rumänischen Akademie. Es war die vierte Präsentation des Bandes im Banat, nachdem dieses bereits im Temeswarer Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus, im Museum des Banater Montangebiets in Reschitza und im Nakó-Schloss in Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare vorgestellt worden war. „Ich konnte nur zwei, drei Erzählungen pro Tag übersetzen. Damit ich den Abgabetermin einhalten kann, bat ich meine Schwester, mir bei der Übersetzung zu helfen“, gestand ADZ-Journalist Werner Kremm. Den Band, der Ende 2022 im Cosmopolitan Art Verlag Temeswar erschienen war und in dessen Mittelpunkt die Deportation der Rumäniendeutschen 1945 zur Zwangsarbeit in die einstige Sowjetunion steht, hatten Werner Kremm und Sigrid Kuhn ins Rumänische übertragen. Es ist jedoch keine reine Übersetzung der deutschen Ausgabe, sondern in der rumänischsprachigen Variante findet sich jede Menge zusätzliche Dokumentation wieder (die ADZ berichtete darüber). Bei der Buchvorstellung war auch der deutsche Vizekonsul in Temeswar, Siegfried Geilhausen, zugegen.
Der Band, herausgegeben von drei Gründungsmitgliedern der Aktionsgruppe „Banat“ – Werner Kremm, Albert Bohn und Anton Sterbling – sowie von dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Peter-Dietmar Leber, und dem Chefredakteur der „Banater Post“, Walter Tonța, umfasst Erzählberichte von mehr als einhundert Kindern ehemaliger Russlandverschleppter, die dem Leser das Grauen der Deportation der Banater Deutschen in die ehemalige Sowjetunion näher bringen. Eine Erzählung fehlt jedoch, hob der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat, Johann Fernbach, hervor: die des emeritierten römisch-katholischen Temeswarer Bischofs Martin Roos, dessen Mutter zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert worden war. Die Geschichte hatte Bischof Roos vor Jahren bei den Heimattagen erzählt, erinnerte sich Johann Fernbach. Der Bischof selbst war eines der vielen Kinder gewesen, die bei der Rückkehr der Deutschen aus der Deportation die eigene Mutter nicht mehr erkannt hatten. Davon berichten mehrere Nachfahren der Deportierten in dem am Montag vorgestellten Band.
„Das Buch erinnert mich auch an die ´Erzählungen aus Kolyma´“, sagte Prof. Dr. Rudolf Gräf von der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg, der das Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt/Sibiu leitet. Professor Gräf beschrieb den historischen Rahmen der Russlanddeportation der Rumäniendeutschen, während der Soziologe Prof. em. Anton Sterbling aus Fürth, Deutschland, u.a. auch über das Kollektivgedächtnis sprach – in dem Band ist auch eine wissenschaftliche Analyse der gesammelten Berichte nachzulesen. „Die Hauptthemen der Erinnerungen sind subjektiv und einzigartig. Unsere Dokumente, unsere Berichte, bringen die Perspektive der Kinder der Deportierten näher.
Es gibt auch Erinnerungen, die nicht erzählt werden – sie werden einfach unterdrückt, um gewisse Gehirnstrukturen zu schützen“, sagte Anton Sterbling. Viele der Lebensgeschichten, die in dem Buch zum Vorschein kommen, sind sehr traumatisch.
Professor Viorel Marineasa von der West-Universität berichtete über seine Kindheits- und Jugendjahre bei einer deutschen Familie aus Lippa/Lipova, wo die Mutter in die Sowjetunion deportiert worden war und nach ihrer Rückkehr von der Familie, einschließlich dem eigenen Kind, abgewiesen wurde. Auch erinnerte er sich an ein junges Pärchen – sie eine Deutsche, er Rumäne -, das während der Deportation zusammenfand. Der junge Mann war von den Russen zwangsmäßig vom Bahnsteig gerissen und in einen der Viehwaggons gesteckt worden, damit die Zahl der Deportierten stimmte. Auch in dem vorgestellten Band ist eine ähnliche Geschichte nachzulesen – ein Mitarbeiter der Eisenbahngesellschaft, ein Rumäne, wird mit den Deutschen in die Sowjetunion verschleppt, nachdem ein Deportierter entkommen war.
„Diese Deportation hat das Leben mehrerer Generationen zerstört. Es erinnert an das Böse, das dich einst umgeben hat und das dich wieder heimsucht“, sagte Viorel Marineasa in Anspielung an den Krieg in der Ukraine. Herausgeber Werner Kremm erinnerte daran, dass etwa 70 Prozent aller rund 70.000 deportierten Deutschen aus Rumänien gerade in den Donbass verschleppt worden waren – eine Region, die wegen dem russisch-ukrainischen Territorialkonflikt wieder im Fokus steht. Im Anschluss an die Buchvorstellung waren alle 35 Bücher, die den Anwesenden kostenlos zur Verfügung standen, in wenigen Minuten vergriffen. Das Buch konnte mit finanzieller Unterstützung des Departements für Interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens gedruckt werden.