Hermannstadt – Ein „privater, kleiner und kuschelig warmer Raum der Arbeit und der Organisation“ sei das Bischofspalais der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR), wohingegen die renovierte evangelische Stadtpfarrkirche am Huetplatz/Piața Huet in Hermannstadt/Sibiu „öffentlich, weit und kälter“ sowie als „ein Raum des Gebets“ dastehe, sagte Dr. Stefan Tobler Mittwoch, am 12. Januar, beim Neujahrsempfang der EKR. Zum ersten Mal fand er nicht im dafür prädestinierten Bischofspalais am Großen Ring/Piața Mare, sondern in jenem Gotteshaus statt, das seit jeher als „Bischofskirche“ der Siebenbürger Sachsen gilt. Als Stammgast dieser ethnisch-konfessionell minderheitlichen Neujahrsbegegnung seit vielen Jahren und Professor am Studiengang für Protestantische Theologie an der lokalen Lucian-Blaga-Universität (ULBS) hatte Dr. Tobler die hier zitierten Attribute nicht zufällig gewählt. Besonders vom Sprechen über „Kälte“ machte er auch im übertragenen Sinn Gebrauch, wo er doch im Sommer 2021 die formale und zugleich juristische Schließung des sechzehn Jahre zuvor gründeten Instituts für Ökumenische Forschung Hermannstadt (IÖFH) vornehmen musste, nachdem die Siebenbürgische Metropolie der Orthodoxen Kirche Rumäniens (BOR) ihm beruflich und persönlich zugleich über Gebühr harsch kritisierend den Rücken gekehrt hatte (die ADZ berichtete ausführlich). Das Gebet jedoch ist „das Wichtigste in unserer Beziehung zu Gott. Von wo es auch auf andere wirkt, so dass uns auch die Kälte nichts anhaben kann“, schloss Dr. Stefan Tobler.
„Unser Hermannstadt ist, so glauben wir es, eine liebenswürdige Stadt!“, schickte Friedrich Gunesch, Hauptanwalt der EKR, dem Grußwort von Bürgermeisterin Astrid Fodor (Demokratisches Forum der Deutschen in Hermannstadt, DFDH) als Moderator des Neujahrsempfangs voraus – „Ellenbogen“ wären für Babylon, nicht aber für Hermannstadt kennzeichnend. Astrid Fodor versprach die Fertigstellung der baulichen Erweiterung des städtischen Stadions bis Sommer 2022, lobte das von Grund auf renovierte und bereits wieder voll in Betrieb genommene Neptun-Volksbad und sprach etwas ungelenk aus, dass die Stadtpfarrkirche mit ihrem neuen prächtigen Aussehen dem immobilen Umfeld vor Ort die Schau stehle.
„Sogar mir fällt es schwer, das Forum selbstständig einzuordnen“, leitete Friedrich Gunesch zur pragmatischen Kurzansprache von Dr. Paul-Jürgen Porr über. 2021 habe sich angefühlt, „als ob die Welt aus allen Fugen geraten sei“, interpretierte der Vorsitzende des DFDR am Holzpult mit den in Gold aufgemalten Ziffern der Jahreszahl 1783, auf dem üblicherweise ein dickes Gästebuch für unterschreibende Besucher der Stadtpfarrkirche liegt. „Aber auch selbst provozierte politische Krisen in Rumänien“ waren laut Dr. Porr 2021 zu verzeichnen. „Ich wünsche uns Frieden trotz des Säbelrasselns in relativer Nähe!“, so der Forums-Obmann in der größten Kirche genau der Stadt, die zu einem NATO-Stützpunkt bestimmt wurde. Zur Honterusgemeinde Kronstadt/Bra{ov der EKR, die sich entgegen ihres immobil beispielhaften Reichtums aktuell „vor dem finanziellem Ruin“ zu sehen glaubt, bemerkte Dr. Paul-Jürgen Porr, es könne nicht sein, dass sie „den einzigen Posten im Honterus-Archiv auflöst! Das ist ein Armutszeugnis für uns alle!“
Just darauf setzte Jürg Leutert, Musikwart der EKR, im Querschiff an der hier sichergestellten Orgel der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburg von Stolzenburg/Slimnic mit einer Abfolge laut und schwer wiegender Moll-Akkorde ein. Gemeinsam mit Brita Falch Leutert, Kantorin der EKR in Hermannstadt, gab er im weiteren Verlauf des Neujahrsempfangs aber auch optimistisch stimmende Musikliteratur zum Besten. Daniel Plier, Ensemble-Mitglied des Radu-Stanca-Theaters und Honoralkonsul Luxemburgs, der auf das „Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“ aus Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ hinwies, und Daniela Siefken, die als Vizekonsulin Deutschlands betonte, dass „das Glätten der Wogen Aufgabe der Kirche wie der Diplomatie ist“, trafen den ein oder anderen Nagel des heiß umkämpften Rednerpults sprechend auf den Kopf.
Thomas Șindilariu, im Auftrag des DFDR Unterstaatssekretär des Regierungs-Departements für Interethnische Beziehungen, legte es der Empfangsgesellschaft ans Herz, die Online-Etappe der 2022 bevorstehenden nationalen Volkszählung ja nicht zu verpassen. Es gelte, besonders auch hochbetagte Mitglieder der im ganzen Land verstreuten deutschen Sprachgemeinschaft zu erfassen, um einer „statistischen Bedeutungslosigkeit“ zuvorzukommen. Dr. Elfriede Dörr, Beauftragte der EKR für die Fortbildung der Pfarrer und Pfarrerinnen, zitierte ihren Ehemann und S
Spannend drangen der Rückblick und die Neujahrswünsche der leitenden Religionsunterricht-Referentinnen Gunda Wittich und Britta Wünsch durch die gastgebende Stadtpfarrkirche. Passend zum „Jahr des Religionsunterrichts“, das die EKR 2022 ausrichtet, präsentierte Gunda Wittich dazu den Wandkalender. Wünschend, „dass der Religionsunterricht sowie die Lehrerinnen und Lehrer wahrgenommen werden, und dass die Schülerinnen und Schüler so richtig was davon haben!“
Den schließenden Neujahrswunsch betete Bischof Reinhart Guib selbst am Altartisch. „Was war, ist wohlbekannt, was kommt, ist allein Gott vertraut.“ Landeskirchenkurator Friedrich Philippi hatte anfangs die EKR für ihr Stehvermögen im vergangenen Jahr gelobt, aber auch ihr Online-Publikum in die Kritik genommen und sich für den „physischen Präsenz-Gottesdienst“ ausgesprochen: „Weil wir Gott die Ehre geben und nebenbei nicht Cola trinken, Snacks essen oder kurz abschalten, weil gerade die Milch überkocht.“ Zum Buffet des Neujahrsempfangs in der Ferula der Stadtpfarrkirche am Hermannstädter Huetplatz wurde alkoholfreier Sekt ausgeschenkt.