Hermannstadt – „Wie vermittelt man etwas, was gar nicht da ist?“ - Dr. Dipl.-Rest. Ralf Buchholz´ Frage an das gastgebende Kultur- und Begegnungszentrum „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) Hermannstadt/Sibiu, dem aktuellen Standort der Wanderausstellung „Das Tobsdorfer Chorgestühl und seine Restaurierung“, war berechtigt. Die Lebenstage des Schreinermeisters Johannes Reychmut aus Schäßburg/Sighişoara waren noch vor Ende des 16. Jahrhunderts gezählt. 1537 stellte er das Chorgestühl für die evangelische Kirche Tobsdorf/Dupuş fertig.
In direkter Folge der siebenbürgisch-sächsischen Auswanderungswelle und des demografischen Einschnitts im ersten Jahrzehnt der Nachwendezeit Rumäniens nagten das hohe Alter und mangelnde Wartung an dem überaus wertvollen Möbelstück, das 2002 in ein Depot der EKR im Dorf Großau/Cristian nahe Hermannstadt zur Schadensbegrenzung und weiteren Aufbewahrung verlegt wurde. Einem damaligen Tipp des derzeitigen technischen Leiters des Teutsch-Hauses, Hans-Jürgen Binder, ist es zu verdanken, dass ein Team der Fakultät Bauen und Erhalten der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK, Niedersachsen) das stark vom Holzwurm befallene Tobsdorfer Chorgestühl im selben Jahr in Großau entdeckte und auf der Stelle das Angebot und den Entschluss fasste, den Holzanteilen und Intarsien stilgerecht neues Leben einzuhauchen.
15 Jahre lang hatten zig Lehrpersonen, Mitarbeitende und Studierende der HAWK das Tobsdorfer Chorgestühl in den Hochschulwerkstätten Hildesheim aufbewahrt. Das Ergebnis der an dem Objekt vorgenommenen Forschungen und Restaurierungen kann sich seit November 2018 im Chorraum der evangelischen Margarethenkirche Mediasch sehen lassen. Doch müssen Betrachter sich mit dem Anblick begnügen, da das Betreten des rekonstruierten Holzbodens und das eigentliche Verwenden der hochklappbaren Sitzflächen des Chorgestühls Gastgebern und Touristen gleichermaßen untersagt ist. Das Tobsdorfer Chorgestühl macht weder geistlich noch weltlich hervorgehobenen Stellungen Einzelner Zugeständnisse. Ausdrücklich empfohlen ist hingegen das genussvolle Platznehmen auf einem exemplarischen Nachbau, den die Wanderausstellung „Das Tobsdorfer Chorgestühl und seine Restaurierung“ im Hermannstädter Teutsch-Haus bis einschließlich Samstag, den 15. Juni 2019, bereithält.
Nächster Ort der Wanderausstellung ist Odorhellen/Odorheiu Secuiesc/Székelyudvarhely im Kreis Harghita, der zudem eine Tagung für Holzrestauratoren in rumänischer und ungarischer Sprache beherbergen wird. Die dokumentarischen Schautafeln werden 2020 reihum in Düsseldorf, Dinkelsbühl, Gundelsheim, Nürnberg, und, falls auf diplomatischem Wege realisierbar, auch in der Rumänischen Botschaft in Berlin aufgestellt werden. Wegen einer Reise nach Japan konnte Prof. Dr. Gertraud Maierbacher-Legl von der HAWK nicht an der Vernissage der Wanderausstellung in Hermannstadt am Montag, dem 1. April, teilnehmen. Dr. Dipl.-Rest. Ralf Buchholz kündigte eine zukünftige Zusammenarbeit der HAWK mit der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt (ULBS) und der Babe{-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca (UBB) an. Nächste hölzerne Zielobjekte der HAWK auf der kunstreichen Landkarte Siebenbürgens sind sächsische Truhen der Ortschaft Henndorf/Brădeni im Kreis Hermannstadt, die September 2019 Instandhaltungsarbeiten unterzogen werden.
Christine Fiedler ist Autorin des Layouts der Broschüre der Wanderausstellung, die zum Preis von 10 Lei im Teutsch-Haus erhältlich ist. Simona Mihalache und Teodora Szanto fertigen zurzeit die rumänische Übersetzung derselben Broschüre aus, die ab Anfang Mai zur Verfügung steht. Bis dahin wird die makellose rumänische Übersetzung der zweisprachigen Schautafeln so manches Augenpaar hinreichend von der Qualität der Wanderausstellung überzeugen können. Eine der HAWK befreundete Fachdozentin aus Budapest arbeitet derzeit an der ungarischen Übersetzung derselben Texte. Auf einigen der Schautafeln warten QR-Codes darauf, mit dem Smartphone gescannt zu werden, um Interessenten direkt an dokumentarische Kurzfilme weiterzuleiten.
Dr. Dipl.-Rest. Ralf Buchholz bestätigt den einzigartigen Wert des umfassenden materiellen Nachlasses von Johannes Reychmut, dessen Name es verdient, in einem Atemzug mit Berühmtheiten abendländischer Kunstgeschichte genannt zu werden. Gerhild Rudolf, Kulturreferentin des Teutsch-Hauses, Philipp Harfmann, Geschäftsführer der Stiftung Kirchenburgen der EKR und Bischof Reinhart Guib gaben der Vernissage das formelle Geleit.