Dostojewskij mit dem Intendanten des Radu-Stanca-Theaters

Kostenlose Hommage an „Der Idiot“ läuft bis Ende Februar

Hermannstadt – Berufsschauspieler Constantin Chiriac, seit mehr als zwanzig Jahren unbestrittener Intendant des Radu-Stanca-Theaters Sibiu (TNRS) und des Internationalen Theaterfestivals Hermannstadt (FITS), denkt gerne an die aufwühlende und im Jahr 2000 am Napodol-Theater Kiew von Regisseur Andriy Zholdak vorgestellte Inszenierung des Romans „Der Idiot“ (1868) von Fjodor Michailowitsch Dostojewskij zurück, worin er auf der Bühne in russischer Sprache die Rolle von Kaufmann und Widersacher Rogoschin interpretiert hat. Die Vorstellung war als Gastspiel Programmpunkt des FITS 2000 und dürfte, weil sie zum Zeitpunkt ihrer Weltpremiere Ensemble und Zuschauer eingeladen hatte, an ein und demselben Theaterabend nachein-ander drei verschiedene Orte der ukrainischen Hauptstadt zu bespielen und zu besuchen, von Constantin Chiriac und Regisseur Silviu Purcărete als Vorzeigeveranstaltung für die sieben Jahre später am TNRS gefeierte Premiere der ebenfalls wandernden Faust-Inszenierung mit Starschauspielerin Ofelia Popii in der Rolle des Mephisto aufgenommen worden sein. Dostojewskij wurde vor 200 Jahren in Moskau geboren. 2021 erfüllen sich 140 Jahre seit seinem Tod in Sankt Petersburg.

Abonnenten der digitalen Bühne des TNRS steht ab sofort bis Ende Februar eine in rumänischer Sprache untertitelte Aufzeichnung jener Bühnenbearbeitung  von„Der Idiot“ gratis zur Verfügung. Constantin Chiriac ist noch heute von ihr begeistert und räumt ein, dass ihm bei retrospektiven Gedanken an die lebensecht nachgestellte Inszenierung in Kiew bisweilen kalte Schauer einer zutiefst prägenden Erinnerung über den Rücken laufen. Der umtriebige Theatermacher Hermannstadts wuchs in der Ortschaft Prisăcani am rumänischen Ufer des Pruth auf und gibt nicht ohne einen kräftigen Schuss Flunkern vor, die russische Sprache nur vom Hören während seiner Kindheit gekannt und eigens für die besagte Inszenierung von „Der Idiot“ in nur 25 Tagen bühnenreif erlernt zu haben.

Dostojewski selbst wurde 60 Jahre alt und liefert der Welt nach wie vor manch polarisierenden Gesprächsstoff. Thomas Mann schrieb 1945 ein Vorwort für einen US-amerikanischen Auswahlband mit Erzählungen aus der Hand seines russischen Vorbilds, von dem er jedoch „mit Maßen“ zu kosten empfahl. Freunden der Weltliteratur, die großes Gewicht auf abendländische Rezeption legen, fordert Dostojewskij tatsächlich viel ab. Doch „der Held von ´Schuld und Sühne´, Raskolnikow, ist selbst ein Gespaltener (Raskol = Spaltung): gespalten in ein rationales, westeuropäisch ´aufgeklärtes´ Ich, das zur Selbstverabsolutierung und Selbstverwirklichung drängt, und ein unterbewusstes, volkstümlich-russisches Ich, das sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt“, wie Literaturwissenschaftler Ulrich Busch im Nachwort der deutschsprachigen Übersetzung von „Prestuplenie i nakazanie“ im Manesse Verlag Zürich urteilt. Einen spannenden Interpretationsschlüssel zu Dostojewskij bietet auch Theologe, Autor und Kirchenkritiker Eugen Drewermann (Jahrgang 1940) in einem Interview für die Sendung „Sternstunde Religion“ vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), das im November 2020 in Basel aufgezeichnet wurde und auf Youtube bereits über 222.000 Mal aufgerufen wurde.