„Wenn das Lied ‘Stille Nacht’ nicht dabei ist, dann interessiert es mich nicht!“ Solche Reaktionen kamen, als der Hermannstädter Bachchor vor vielen Jahren seine erste CD herausbrachte. Das titelgebende Stück dieser Weihnachts-CD, das Dictum „Machet die Tore weit“ von Johann Sartorius sen. (1682-1756) ist nun als Notendruck erschienen. Pünktlich zu Weihnachten, aber wohl zu spät, um heuer aufgeführt zu werden. Der alte „Cantor cibiniensis“ hat es für ein großes Ensemble komponiert. Dieses sieht eine Besetzung von „8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. und mehr Stimmen“ vor. Vermutlich machte Sartorius später als Pfarrer in Holzmengen die Erfahrung, dass die dörflichen Musiker durch diese reiche Besetzung überfordert waren. So entstand auch eine vereinfachte Fassung für 5 Singstimmen, 2 Violinen und Orgelbass.
Die ursprüngliche Fassung des Dictums „Auf den heiligen Christtag“ liegt nun in einer Erstausgabe durch den Schiller-Verlag Hermannstadt-Bonn als Heft Nummer 19 der Reihe „Musik aus Siebenbürgen” vor.
Die Herausgabe eines solchen Werkes, zwischen Kantate und Geistlichem Konzert anzusiedeln, hat oft etwas mit kriminalistischer Forschung zu tun. In guter barocker Tradition ist dieses Werk wie auch alle anderen der gleichen Gattung nur in einzelnen Stimmheften überliefert. Das sind meist unvollständige oder einander widersprechende Manuskripte. Soll man der Variante aus den Beständen des Hermannstädter Staatsarchivs folgen, weil sie die älteste ist? Oder den interessanten Stimmheften aus dem Dorf Großschenk? Wer hat heute das beste Fingerspitzengefühl für diese kirchliche Gebrauchsmusik des frühen 18. Jahrhunderts und kann Fehlendes ergänzen? Und wie weit geht man mit dem ach so bekannten stillschweigenden Verbessern? Sind da Satzfehler, Schreibfehler oder ist es Absicht des Komponisten?
Dieses bunte und vom Text her auch heute aktuelle weihnachtliche Konzert für viele Mitwirkende ist schon lange bekannt. In Siebenbürgen erklang es sehr zur Freude des Publikums in den letzten Jahren wiederholte Male. Nun betritt es als gedruckte Partitur samt Einzelstimmen die große Welt: schüchtern zwar, denn es kommt ja aus Transsylvanien, dem Land jenseits der Wälder, aber im Bewusstsein, etwas Gelungenes und auch etwas Besonderes zu sein.
Das Lied „Stille Nacht“ sollte erst rund 100 Jahre nach diesem Dictum im alpenländischen Oberndorf bei Salzburg entstehen.