Hermannstadt – Schriftstellerin Marie Charlotte Bardeleben aus Greifswald am deutschen Ostseeufer, die 1875 als Ehefrau von Arzt Wilhelm Kremnitz ihren Wohnort von Berlin nach Bukarest verlegt und mit Königin Elisabeth als Trägerin des Pseudonyms „Carmen Sylva“ enge Freundschaft geschlossen hatte, um ihrerseits ab 1890 als „Mite Kremnitz“ literarisch Karriere zu treiben, soll das Deutsch von Mihai Eminescu „besser als ihr eigenes“ gefunden haben, war Freitagabend, am 1. November, im Untergeschoss der Humanitas-Buchhandlung Hermannstadt/Sibiu ein schon älterer Zuhörer der Buchvorstellung von Ion Dur festzuhalten bemüht. Der unleugbar größte Dichter Rumäniens aller Zeiten übrigens bleibe „auch trotz deiner Studie immer noch unbekannt“, wie der gleiche Pensionär sich bei ganz und gar nicht steifer Stimmung rhetorisch an seinen Freund auf dem Podium der Veranstaltung wandte. Und sie war nicht nur bis auf den letzten Stehplatz ausgebucht, nein, sondern auch von einem Publikum ausgespäht worden, wie es in gesamt Hermannstadt vom offensichtlichen Altersdurchschnitt her nicht reifer hätte aufgestellt werden können. Dass mehrheitlich Rentner dem Lockruf desjenigen rumänischen Autoren folgten, der sich im späten 19. Jahrhundert gerne persönlich in die deutsche Sprache zu übersetzen pflegte, konnte somit auch kaum verwundern. Ion Dur, 74 Jahre alt und 2015 in den Ruhestand getretener Professor an der Lucian-Blaga-Universität, eröffnete die Präsentation seines kräftige 476 Seiten starken Bands „M. Eminescu – Gânditor privat și gazetar cu ´metod științifică“ (Junimea-Verlag Iași) auf die Minute exakt um Punkt 17 Uhr.
Es stünden „keine kategorischen Sätze“ darin, bemerkte er selbst zu Ende seiner Ausführungen, ehe es dem wach aufgelegten Publikum freigestellt wurde, das Wort der Buchvorstellung unter dem Plakat-Titel „Despre un alt Eminescu“ zu ergreifen. Bald fielen die Namen von Kritikern wie Historiker Lucian Boia und Politikwissenschaftler Ioan Stanomir, deren Thesen betreffend Mihai Eminescu Buchautor Ion Dur deutlich widerspräche, worauf Daniel Deleanu und Gabriel Hasmațuchi als Podiums-Mitredner hinwiesen. Obschon der geistig und körperlich in bester Verfassung stehende Hauptprotagonist der Stunde persönlich vorgegeben hatte, nichts dagegen zu haben, von seinen zwei Ex-Studenten, die ihn rechts und links an der Spitze der Veranstaltung flankierten, kritisch gekontert zu werden. Klar dafür war ohne Zweifel, welchen „anderen“ Mihai Eminescu Ion Dur im Allgemeinbewusstsein verankert sehen möchte: jenen Lyriker und Leitartikel-Journalisten eben, dessen Wortwahl man am besten auf den Geschmack kommt, wenn Interesse auch am Werk von Größen wie Nicolae Iorga und Constantin Noica gegeben ist. „Ich habe die Kraft, zuzugeben, dass ich nicht alles weiß“, räumte Ion Dur gleich zu Beginn des Abends ein, auf dessen Höhepunkt er zum Vergleich einen Interpretations-Schlüssel artikulierte, der ihm das Wichtigste bedeutet: „Eminescu wollte alles wissen und starb, wie er es selber zu sagen verstand, mit der Schande, nicht alles zu wissen.“ Mit dem Vorausschicken der Zusicherung an das Publikum, dass Ion Dur als der Autor des neuesten Buches über Mihai Eminescu sich weder als ein „literarischer Gendarm“ behauptet, „kostenloses Lob anbringt“, „Statuen umstößt“ noch eine „aggressive Gegenwart“ zum Zuge kommen lässt, sollte Daniel Deleanu Recht behalten. Und Gabriel Hasmațuchi resümierte, dass der frische Band „die Interpretation mancher Gedichte von Eminescu auffrischen“ helfen könne. Ein willkommenes Fazit am Abend von Allerheiligen, im rumänisch-orthodoxen Brauch nicht nur „Ziua Morților“ (Gedenktag für die Toten) genannt, sondern auch „Luminația“ (Erleuchtung).