Hermannstadt – Dokumentarfilm-Profi Lucian Dobrovicescu aus Bukarest und ein von ihm koordiniertes Team von Forschern einschließlich Lavinia Betea, das dem Streifen „Tovarășu: facerea, gloria și desfacerea unui dictator“ von Trevor Poots und dem US-amerikanisch gesteuerten Produktions-Studio Chainsaw Europe zugearbeitet hat, behaupten sich als Entdecker der Überraschung, dass Nicolae Ceaușescu seine Reden persönlich aufgesetzt haben soll. Rentner Ion Dur jedoch, bis 2015 Professor an der leider nicht mehr länger eigenständigen Journalistischen Fakultät der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt/Sibiu, stand Dienstagabend, am 16. Juli, im Kellerraum der städtischen Humanitas-Buchhandlung zu Ende der Einführungsveranstaltung mit Stenographin Daciana Codruța Frățilă kritisch von seinem Publikums-Sitzplatz auf und machte klar, dass es mit der intellektuellen Selbstständigkeit von Diktator Ceaușescu bekanntlich nicht weit her gewesen sein kann. Ein Zurechtrücken, das Daciana Codruța Frățilă, ihre Zuhörer und ihr Fanclub dem regional prominenten Stammgast der fast einzigen rumänischen Buchhandlung Hermannstadts mit Niveau gern ohne Widerrede überließen, ohne sich aber für die Neugierde betreffend den Inhalt der Ceaușescu-Stenogramme schämen zu müssen. Eines schließlich hat die Übersetzerin dieser Protokolle von Begegnungen und Sitzungen im In- wie Ausland in die rumänische Schriftsprache zweifellos richtig erkannt: beide Stenographen von Paranoiker und Diktator Nicolae Ceaușescu haben halbe statt ganze Arbeit geleistet. Sie „verwendeten keine Abkürzungen“ und „brachten die Absätze nicht zu Ende“.
Und beim Entziffern der Stenogramme gemäß des Schriftzeichen-Alphabets von Henri Stahl und seinem Schüler Aurel Boia sei ihr auch aufgefallen, dass Ceaușescu, der am Mikrofon aus dem Eifer des Augenblicks heraus manche abgedroschenen kommunistischen Leitsätze oft gerne bis zu 13 oder 14 Mal repetierte, „einen Anflug von Autismus“ hatte, führt Daciana Codruța Frățilă aus. „Meinem Volk befiehlt niemand!“, wetterte Rumäniens Peiniger, der zur Zeit seiner letzten Auslandsreise im Dezember 1989 nicht wusste, was zeitgleich in der Heimat vor sich ging. Aktuell übrigens, so Daciana Codruța Frățilă in der Hermannstädter Humanitas-Buchhandlung, ist „Rumänien das einzige Land weltweit, dessen Parlament nicht mehr auf Stenographie zurückgreift“. Ein Gegenteil wären die USA, wo Stenographen und Kalligraphen im Dienst des Weißen Hauses vor zehn Jahren mit einem Jahresgehalt von umgerechnet 100.000 Euro pro Person entlohnt worden wären. „Jede Einladung, die von dort verschickt wird, ist von Hand geschrieben, Vereinheitlichung gibt es nicht.“
„Sooft ich erzählt habe, die Stenogramme von Ceaușescu für einen Film zu entziffern, fragten mich alle nach der Bezahlung“, äußerte sich Daciana Codruța Frțăilă Mitte des Monats über ihre Arbeit von 2020 bis 2023. „Niemand fragte mich, wie ich mich dadurch fühle.“ Dabei wäre „die Stenographie dem Digitalen überlegen, weil nur das Feuer sie vernichten kann. Eine Stunde Schreibens, Zeichnens oder Malens von Hand täglich ist sehr vorteilhaft für das Gehirn, weil es die neuronalen Bahnen verbessert“. Aber „wir sind alle zu Anhängseln der Computer und Mobiltelefone geworden“. Eine Schlussfolgerung, der als Mitrednerinnen in Hermannstadt auch Psychotherapeutin Dora-Luciana Prisăcaru, Französisch- sowie Rumänisch-Lehrerin Melania Tătar und Hochschuldozentin Dr. Ioana-Narcisa Cre]u nichts hinzufügen konnten. Letztere hatte vorausgeschickt, dass „in China Erstklässler 4000 ideografische Schriftzeichen kennen müssen, das japanische Schreiben dafür schon höherwertig ist, also durch Silben geschieht, und bei uns Schreiben wörtlich läuft“. Als Ex-Direktorin des Gymnasiums in Mediasch, wo Daciana Codruța Frățilă 1992 das Abitur abgelegt hat, schätzt Dora-Luciana Pris˛caru ihre ehemalige Schülerin für deren stenographisches Lernen und Leistungs-Erbringen, das ihr „sowohl ein Einkommen als auch etwas Therapeutisches“ sichere. Melania Tătar zudem, nur wenige Jahre jünger als Stenographin und ihre Ex-Lehrerin Daciana Codruța Frățilă an einer Schule der Kleinstadt Sankt Martin/Târnăveni, hatte ein Zitat von Jim Carrey parat: „Was bleibt übrig, wenn du alle deine Träume aufgibst?“ Die Karriere von Daciana Codruța Frățilă hat durch das Entziffern von Ceaușescu-Stenogrammen ihre vorläufige Spitze erreicht. „Leistung erbringe ich mit dem Bleistift in meiner Hand, nicht am Computer.“