Hermannstadt – „Mehr als 200 Pflanzenarten“ hätten Botaniker im zwei mal drei Meter großen Meisterwerk „La Primavera“ (Der Frühling) von Sandro Botticelli gezählt, ließ Mihaela Brătuianu als Rednerin im Auftrag der in über 50 Ländern weltweit vertretenen Kultur-Organisation „Neue Akropolis“ aufhorchen – so geschehen am Dienstagabend, dem 18. März, im Foyer des modernen beider Hauptgebäude der Astra-Bibliothek Hermannstadt/Sibiu. Es war nicht das erste Mal, dass die 1957 in Buenos Aires von Argentinier Jorge Ángel Livraga Rizzi gegründete und seit 1990 auch in neun Städten Rumäniens für stärkere Allgemeinbildung im Kulturellen und Philosophischen werbende NGO zu einem Vortrag bezüglich eines spezifischen Themas in die Astra-Bibliothek eingeladen hatte. Sollte sich hinter den populärwissenschaftlich lockenden Plakaten der „Neuen Akropolis“ tatsächlich ein hierarchisch starres Gehabe nach Art und Weise einer Sekte verbergen, war der Veranstaltung im Hermannstädter Bibliotheks-Foyer keine Spur von Gängelung anzumerken, der womöglich Eingeweihte intern ohne Widerrede Folge leisten zu hätten. Die kulturgeschichtlichen Personennamen und Einblicke nämlich, wodurch Mihaela Brătuianu ihr Publikum programmatisch zu überzeugen verstand, ergaben ein schlüssiges Informations-Netz, dem akademisch Gebildete mitunter schwierig weitere aufschlüsselnde Details hätten hinzufügen können: um die Renaissance, um Florenz und Sandro Botticelli ging es eine Stunde lang, während der so gut wie alle großen Namen des Rinascimento fielen und das Wiederaufgreifen zentraler Lehren der griechischen Antike unter Loslösung von mittelalterlich harschen Dogmen breit erklärt wurde.
Dante Alighieri, Giotto di Bondone, Francesco Petrarca, Leonardo da Vinci, Erasmus von Rotterdam, Giordano Bruno, Michelangelo Buonarroti, Pico della Mirandola, Marsilio Ficino und natürlich die Mäzene aus der florentinischen Dynastie der kunstsinnigen Medici blieben dabei nicht unerwähnt, und dass dank Visionären solchen Schlags vornehmlich im nördlichen Italien die Vorzüge des „uomo universale“ geprägt wurden, brachte Mihaela Brătuianu gleichfalls selbstsicher zur Sprache. Literatur, Philosophie, Kunst, Religiöses, Symbolisches und Rhetorisches – wer wünscht sich nicht, es ganz nach Muster der Renaissance als allumfassende Einheit verstehen und praktizieren zu können, mit der man wie der griechische Gott Hermes zum Beispiel Geheimnissen und Mysterien auf den Grund zu schauen vermag?
„Es braucht viel Zeit, bis man begreift, dass man die Personen auf ihren Bildern alle Tage in den Straßen von Florenz und Pisa trifft“, wusste Albert Camus als bereits junger Italien-Reisender am Werk toskanischer Meister groß zu verstehen. „Aber wir haben ohnehin verlernt, die wirklichen Gesichter der Leute in unserer Umgebung zu sehen.“ Weil „wir uns unsere Zeitgenossen nicht mehr ansehen, sondern nur noch das an ihnen, was uns nützt und unser Verhalten bestimmt“. Ähnlich ging es einige Jahrzehnte zuvor auch Hermann Hesse, dem Botticellis „Frühling“ im April 1901 „mir, seit ich an die blassen Farben gewöhnt bin, immer lieber geworden ist, auch der famose Hintergrund, der von stärkster dekorativer Wirkung ist und an Modernes erinnert“. Literarische Referenzen übrigens waren das Einzige, womit Mihaela Brătuianu in der Astra-Bibliothek nicht vor die Zuhörerschaft trat, und statt jeglicher Wegmarken ihres eigenen Werdegangs zählte sie bloß die Grundzüge der „Neuen Akropolis“ auf. Zumal die handgroßen Werbezettel für den Philosophie-Kurs, den Mihaela Brătuianu in Hermannstadt im Wochenrhythmus und gegen Bezahlung offeriert, die Agenda der „Neuen Akropolis“ teils eher im Esoterischen statt der Philosophie und ihren großen Fragen vermuten lassen. Nicht zu verschweigen auch, dass Organisations-Gründer Jorge Ángel Livraga Rizzi 1988 in Madrid wegen Führens einer Schusswaffe verurteilt wurde, die er als Zivilmann nicht hätte besitzen dürfen. Was über unverbindliches Zuhören bei Vorträgen der „Neuen Akropolis“ hinausgeht, erfordert unter Umständen die Sturheit, seinen persönlichen Kompromiss zwischen Egoismus und Selbstlosigkeit gegen ein Zuviel an Hinterfragung durch Kontakt zu Dritten zu verteidigen.