Hermannstadt – „Ich glaube an die Größe des politischen Berufsauftrages, wenn er von dem Willen getragen ist, die Menschen zusammenzubringen“. Der 1992 vom luxemburgischen Ex-Premierminister und internationalen Ausnahmepolitiker Pierre Werner (1913-2002) persönlich aufgestellte Kernsatz steht dem Inhaltsverzeichnis des Fachbuches in englischer Sprache „Pierre Werner and Europe. The Family Archives Behind the Werner Report“ von Autorin Elena Danescu, Forscherin am Zentrum für Zeitgenössische und Digitale Geschichte der Universität Luxemburg in Eschsur-Alzette, voran. Mehr als 500 Seiten dick und schwer liegt der mit grünem Buchdeckel versehene und vergangenes Jahr vom Londoner Palgrave-Macmillan-Verlag herausgegebene Band in den Händen eines Publikums, dessen Sympathisanten und begeisterte Anhänger sich mit hohem Interesse und Zeitaufwand durch biographisch aufhellende Details aus dem Nachlass und Privatarchiv der luxemburgischen Intellektuellenfamilie französischer Kulturidentität Werner lesen möchten.
Breiten Wählermassen, die auf ihrer öffentlichen Teilhabe am politischen Alltagsgeschehen bestehen und nichtsdestotrotz nur ein begrenztes Maß an Zeit für die Teilnahme an Debatten und Wahlgängen aufbringen können, wird das neue Fachbuch selbstverständlich nicht zum eingehenden Studium empfohlen. Mit vergleichsweise tiefgehender Bedeutung behaftet ist dasselbe Fachbuch allenfalls im Geschäftshorizont beschlagener Leser und Berufstätiger, die alltäglich mit Verwaltungsangelegenheiten und politischen Fragestellungen in Berührung treten und sich mit mehr oder weniger Absicht dem sozialen Fortschritt verschrieben haben. Harold James, gebürtiger Brite und seit 1986 Dozent für Geschichte an der Universität Princeton (USA), und der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeichnen für je einen der im Buch abgedruckten Vorwortaufsätze verantwortlich.
Elena Danescu war am späten Freitagnachmittag, dem 24. Mai, in der Nobelgaststätte „Atrium“ im Luxemburg-Haus Hermannstadt/Sibiu zu Gast und gab einen informationsreichen Abriss der eigenhändig erforschten Erkenntnisse, die sich ausdauernden Lesern und Kennern der Fachsprache vollständig erschließen. Pierre Werner, dessen Nachname mit französischem Akzent auf der zweiten Silbe zu intonieren ist, studierte Rechtswissenschaften in Paris und wurde 1937 zum stellvertretenden Vorsitzenden der Internationalen Katholischen Bewegung „Pax Romana“ für Intellektuelle und Kulturelle Angelegenheiten ernannt. Sozialpolitische Horizonte christdemokratischen Ursprungs und die Gewissheit, dass junge Politikanwärter sich der Messlatte einer sowohl beruflich als auch moralisch einwandfreien Visitenkarte beugen müssen, begleiteten Pierre Werner sein gesamtes Leben hindurch. Die innenpolitische Nachkriegsgeschichte des Großherzogtums Luxemburg, die Gründung und Ausweitung der Europäischen Union und die politische Laufbahn Pierre Werners sind überaus eng miteinander verwoben. Seiner visionären Lobby für die Idee Gemeinschaftswährung, deren Verwirklichung zu erleben ihm nicht mehr vergönnt war, ist es in führender Rolle mit zu verdanken, dass man heutzutage in nicht wenigen EU-Mitgliedsstaaten ungeachtet vieler Innengrenzen mit ein und derselben Währung bezahlen und reisen kann.
Zum Vortrag von Forscherin Elena Danescu unter Schirmherrschaft von Jean-Claude Juncker und Premierminister Xavier Bettel hatte Gastgeber Daniel Plier, Honorarkonsul des Großherzogtums Luxemburg in Hermannstadt, eingeladen. Obwohl er und die Referentin am Veranstaltungsort nur eine Handvoll interessierter Personen begrüßen konnten, untermauerte das polarisierende Wahl- und Justizgeschehen der nachfolgenden Tage ausdrücklich, dass Rumänien zwar keine überdurchschnittlich intellektuelle Hochburg Europas darstellt, sich aber der enormen Wichtigkeit ziviler Mitbestimmung rettender Schachzüge auf dem geistigen und zweifarbigen EU-Spielbrett klar bewusst ist.